Mit künstlicher Intelligenz lassen sich die Stile verschiedener Koautoren auseinanderhalten – was sich Forscher nun zu Nutze machten: Wer steckt wirklich hinter »Heinrich VIII.«? Shakespeares Bühnenstück »Heinrich VIII.« ist nicht nur bekannt dafür, dass bei seiner Aufführung 1613 das berühmte Globe Theater in Brand geriet und bis auf die Grundmauern niederbrannte, sondern auch für seine merkwürdige Entstehungsgeschichte. Wie Mitte des 19. Jahrhunderts dem englischen Literaturwissenschaftler James Spedding auffiel, stammen weite Passagen des Stücks überhaupt nicht aus der Feder des berühmten Schriftstellers.
Stattdessen ermittelte schon Spedding einen anderen Vielschreiber und Zeitgenossen Shakespeares namens John Fletcher als wahrscheinlichen Koautoren. Dieser These hat sich in den anderthalb Jahrhunderten seitdem die Mehrheit der Experten angeschlossen. Offen ist allerdings, an welchen Stellen des Dramas genau die Autorenschaft wechselt und ob manche Szenen eine Gemeinschaftsproduktion sind. Diesem Problem widmete sich nun Petr Plecháč von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag in einem auf dem Preprint-Server arXiv eingereichtem Bericht, den das Magazin „Technology Review“ aufgegriffen hat.
Für seine kleine Studie trainierte Plecháč ein neuronales Netz darauf, die beiden Autoren Shakespeare und Fletcher anhand von Wort- und Reimstatistiken ihrer Werke auseinanderzuhalten. Zusätzlich nahm der Wissenschaftler noch Dramen eines weiteren Zeitgenossen in die Trainingsbeispiele auf: Die eines gewissen Philip Massinger, der ebenfalls schon als Koautor von »Heinrich VIII.« ins Spiel gebracht worden war.
Anstatt das Werk in seine logischen Bestandteile – Akte und Szenen – aufzuteilen und für diese nach einem Autor zu suchen, betrachtete Plecháč ein kontinuierliches Fenster, das er Vers für Vers weiterschob. Dadurch war es ihm möglich, auch einen fliegenden Wechsel der Autorenschaft zu identifizieren.
Beispielsweise ergaben seine Tests, dass in der zweiten Szene des dritten Akts ab Zeile 2200 ein Abschnitt gemischter Autorenschaft beginnt, der bis zum Ende der Szene andauert, wo mit dem Beginn des vierten Akts Shakespeare wieder allein das Ruder übernimmt – und nicht Fletcher, wie Plecháčs Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert vermutete. Insgesamt jedoch decken sich die Ergebnisse des tschechischen Forschers sehr gut mit den Erkenntnissen Speddings.
Auch wenn sein Modell für die Frage nach dem Autor eines Abschnitts immer nur Wahrscheinlichkeiten ausspuckt und keine definitiven Antworten, kann Plecháč praktisch ausschließen, dass der vermeintliche Dritte im Bunde, Philip Massinger, einen substanziellen Beitrag geleistet hat. Nur an ganz wenigen Stellen erkannte die KI leichte Anklänge an Massinger.