Jahrhundertelang waren die Blätter verschwunden. Zwei Forscher entdeckten jetzt in Weimar Handschriften des jungen Johann Sebastian Bach. Der Komponist zeigte schon mit 15 Jahren hohe Fähigkeiten. j-s-bach.jpgFür den Laien sehen sie aus wie Hieroglyphen, dem Fachmann offenbaren sich die verblaßaten Zeichen auf den bräunlichen Blätter als fachmännische Noten-Abschriften von der Hand des jungen Johann Sebastian Bach (1685-1750). Die Wissenschaftler Michael Maul und Peter Wollny vom Bach-Archiv Leipzig entdeckten die beiden Dokumente in der Mittelalter-Sammlung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar. Damit kann das Team erneut einen Erfolg verbuchen. Seit Jahren forscht das Archiv in einem groß angelegten Projekt nach unbekannten Dokumenten der weit verzweigten Musikerfamilie Bach in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Im vergangenen Jahr hatte Maul bereits die Bach-Arie „Alles mit Gott und nichts ohn’ ihn“ aus dem Jahr 1713 in Huldigungsschriften der Weimarer Bibliothek gefunden.
„Es ist ein schöner und unerwarteter Fund“, sagte der Direktor des Bach-Archivs Leipzig, Christoph Wolff, bei der Präsentation in der Klassik Stiftung Weimar. „Für die Bach-Forschung ist es wichtig, die alten Dokumente nicht nur immer wieder neu zu interpretieren, sondern durch neue Fakten zu bereichern.“ Die Blätter von der Hand des 15 Jahre alten Bach zeigen Abschriften von Dietrich Buxtehudes Choralfantasien „Nun freut euch lieben Christen gmein“ und Johann Adam Reinkens „An Wasserflüssen Babylons“. Nach diesem Fund muss für Wolff die Biografie des Barockmusikers zwar nicht umgeschrieben, aber überarbeitet werden.

„Wir können unserem Bach-Bild ein weiteres Mosaik hinzufügen“, sagte Wollny. „Die Daten aus der Jugendzeit Bachs sind an einer Hand abzuzählen.“ Rund zehn Monate haben die beiden akribisch die Handschrift mit den wenigen erhaltenen frühen Belegen von Bach verglichen. Wichtige Eigenheiten wie das P im Wort Pedal belegten eindeutig, daß es Bachs Handschrift sei. Zudem ergaben Nachforschungen im Archiv Lüneburg, daß der junge Musiker auf Papier mit Wasserzeichen des Lüneburger Organisten Georg Böhm (1661-1733) geschrieben hat.

Die beiden Forscher sehen darin den ersten dokumentarischen Beleg, daß der 15-Jährige ein Schüler von Böhm war und wahrscheinlich in dessen Haus wohnte. Darauf deutet auch eine Notiz auf der Reinken- Abschrift. „Wir glauben, wir haben neben dem älteren Bruder Johann Christoph Bach in Böhm einen sehr wichtigen Lehrmeister von Johann Sebastian gefunden“, sagte Wollny. Ob Bach nach kurzer Zeit in Lüneburg als Lateinschüler die Schule verlassen hat, ist nicht bekannt. Die Forscher schließen jedoch nicht aus, daß Johann Sebastian damals schon genau wußte, was er wollte: Orgel spielen.

bachnoten.jpg „Das ist kein Kind, das hier schreibt“, sagte Wollny. Bach habe die schwierige Buchstabenschrift für Noten, auch Tabulatur genannt, beherrscht. Deshalb gehen die Wissenschaftler davon aus, daß er bereits früh eine hohe virtuose Fähigkeiten besaß und vom Blatt spielen konnte. „Hier zeigt sich eine Begabung, die vielleicht nur mit Mozart vergleichbar ist“, sagte Wollny. Ob der Forscher aber hier nicht ein wenig übertreibt, um zu Mozarts 250. Geburtstag auch noch gehört zu werden? Die Begabungen beider Komponisten lagen sicher auf unterschiedlicher Wellenlänge und vom kindlichen Bach sind keine Kompositionen bekannt.

Als bereits 18-Jähriger startete Bach freilich in Thüringen seine Karriere, zunächst in Arnstadt, dann in Mühlhausen und Weimar. Die beiden jetzt entdeckten Werke haben die Residenzstadt Weimar vermutlich nie verlassen.

Als bisher unbekannter Anhang klebten sie an Notenpartituren von Johann Pachelbel, die im Tresor im Stadtschloss aufbewahrt werden. Deshalb waren sie auch nicht vom Brand der Bibliothek vor zwei Jahren betroffen, sagte Bibliotheksdirektor Michael Knoche. tno

Feb. 2007 | Allgemein | 1 Kommentar