Zhang Yimous elegantes Schlachtengemälde „Shadow“ zeigt den chinesischen Filmregisseur auf der Höhe seiner Kunst der radikalen Farbdramaturgie: diesmal in tausend Schattierungen von Grau – als Monochrome Augenweide. In der Zeit der Drei Reiche, im dritten Jahrhundert n.Chr., war China in drei konkurrierende Königreiche zerfallen, von denen keines stark genug war, die beiden Rivalen zu erobern.

Schauplatz des neuen Films von Zhang Yimou ist das Königreich Pei, Movens der zahllosen Intrigen seines Plots ist der Verlust der ursprünglich dem Hause Pei zugehörigen Stadt Jingzhou an das Königreich Yang, dessen Herrscher – der legendenumwobene, unbesiegte Kampfkünstler Yang Cang – die Kontrolle über Jingzhou im Duell gegen den Pei-Feldherrn Ziyu gewann. „Shadow“ beginnt mit der Rückkehr Ziyus, der Yang ohne Auftrag des Königshauses zu einem weiteren Duell um die Zukunft der Stadt aufgefordert hat – was einer Kriegserklärung gleichkommt. Der König von Pei ist wütend über diesen Alleingang und bietet Yangs Sohn, um den kostbaren Frieden zu retten, seine Schwester Qingping als Ehefrau an. Das Gegenangebot des bereits anderweitig versprochenen Thronfolgers, die Prinzessin stattdessen als Konkubine zu nehmen, wird im Hause Pei eher missmutig entgegengenommen.

Die Dinge liegen noch weit komplizierter, als diese Einführung in den Plot erahnen lässt, handelt es sich doch bei dem vermeintlichen Feldherrn Ziyu um einen sogenannten „Schatten“ – ein zum Verwechseln ähnliches Double, von Ziyus Vater bereits im Kindesalter aufgenommen und im Geheimen aufgezogen, um in lebensbedrohlichen Zeiten die Rolle des Sohnes einnehmen zu können. Der wahre Ziyu hingegen, von einer schweren Verwundung aus dem Duell mit Yang bis an den Rande des Todes mitgenommen, haust in einem höhlenartigen Verlies unter dem Königshaus, wo er Jing, seinen „Schatten“, mit allen Mitteln auf seine Rolle in diesem höchst verwickelten Intrigenspiel vorbereitet. Die einzige Eingeweihte, Ziyus Ehefrau, entwickelt allmählich amouröse Gefühle für das Double ihres Gatten…

Nach einer Reihe eher mäßiger bis enttäuschender Filme knüpft der einst dissidente, inzwischen mitunter geradezu staatstragende chinesische Regisseur Zhang Yimou mit „Shadow“ an seine beiden großen, hochstilisierten Kampfkunstfilme „Hero“ und „House of Flying Daggers“ an – inhaltlich wie qualitativ. Insbesondere die radikale Farbdramaturgie, die bereits im eigentlich dramaturgischen Zentrum von „Hero“ stand, kommt angesichts des nahezu monochromen, aber visuell nicht weniger überwältigenden „Shadow“ in Erinnerung.

Dabei handelt es sich hier vorrangig um einen Actionfilm oder ein Schlachtengemälde. Im Herzen von „Shadow“ steht eine ungemein wuchtige, so brutale wie elegante Actionsequenz – oder eher mehrere, ineinander verschlungene Sequenzen. Zu diesem Zeitpunkt ist allerdings bereits über eine Stunde vergangen, die Zhang darin investiert, die komplexen persönlichen wie diplomatischen Beziehungen zwischen den Figuren und den politischen Kräften, die sie vertreten, sorgfältig zu zeichnen. Das zahlt sich aus, da es sowohl in dieser langen Sequenz, die wie ein Gewitterschlag in das dauerverregnete Szenario des Films hineinbricht, als auch in der darauffolgenden Coda spürbar um vieles, um alles geht.

Die Welt von „Shadow“ ist Grau in Grau in Grau, sie wirkt monolithisch, als wäre sie am Stück aus einem gigantischen, grauglitzernden, granitenen Felsen herausgeschlagen worden. Die Nuancen dieses Grau sind mannigfaltig, und ebenso die Schattierungen in der Charakterzeichnung der Protagonisten. Man sieht den König Pei einmal bei einer kalligraphischen Übung, und auch dies überhöht Zhang zum Stilprinzip für „Shadow“: Manches darin wirkt wie mit dickem, aber gleichwohl filigranem Pinsel in dieses ewige Grau-in-Grau hineingewischt. Irgendwann platzt es dann auf, das Grau, und dickflüssiges, sehr rotes Blut strömt heraus.

„Shadow“ ist ein Film, der sich Zeit nimmt, aber nur soviel Zeit, wie er eben braucht, um das, was er erzählt, so zu erzählen, dass es etwas bedeutet. Dass etwas auf dem Spiel steht. Und die Welt, in der er spielt, diese monochrome Augenweide, die man eigentlich nach dem Kinobesuch nicht mehr verlassen will, diese Welt, die einen dazu veranlasst, sich zu fragen, wozu eigentlich all diese anderen Farben im Kino notwendig sind, wenn doch allein das Grau schon in so unzähligen Facetten schillern kann, leuchten kann, wie es vielleicht seit den Tagen Marcel Carnés und seines poetischen Realismus nicht mehr geleuchtet hat; diese Welt, die auf der Kinoleinwand sichtbar wird, ist die eigentliche Attraktion von „Shadow“. Es ist eine Welt, wie man sie so noch nie zuvor gesehen hat.

Shadow – China 2018 – OT: Ying – Regie: Zhang Yimou – Darsteller: Deng Chao, Sun Li, Ryan Zheng, Wang Qianyuan – Laufzeit: 116 Minuten.

„Shadow“ ist derzeit beim Fantasy Filmfest 2019 in sieben deutschen Städten zu sehen.

Sep. 2019 | Allgemein, Feuilleton, Junge Rundschau, Film | Kommentieren