Die Geburtsstunde des Frauenwahlrechts in Deutschland am 12. November 1918 ist der Aufruf „An das Deutsche Volk“ vom Rat der Volksbeauftragten. Am 9. November 1918 hatten sich die Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands (MSPD) und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) auf die Bildung eines „entscheidenden Kabinetts“ geeinigt, das die Regierungsgeschäfte bis zum Zusammentritt einer noch zu wählenden Nationalversammlung führen sollte. Am Ende dieses Beitrags finden sie Informationen über eine Ausstellung im Landratsamt Heidelberg.
Der Rat der Volksbeauftragten war ein sechsköpfiges paritätisch besetztes Kabinett, bestehend aus USPD- und MSPD-Politikern unter der Führung des Reichskanzlers Friedrich Eberts (MSPD) und Hugo Haases (USPD). Weitere Mitglieder waren Philipp Scheidemann und Otto Landsberg von der MSPD, sowie Emil Barth und Wilhelm Dittmann von der USPD.
Einen Tag nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandes in Compiègne am 11. November 1918 durch Matthias Erzberger und Ferdinand Foch (Kriegsende 1. Weltkrieg) wurde der Rat der Volksbeauftragten in Berlin mit dem Aufruf „An das deutsche Volk“ am 12. November 1918 gesetzgeberisch tätig.
Dieser Aufruf bedeutete einen erheblichen Schritt in Richtung einer neuen, demokratischen Gesellschaftsordnung. Im zweiten Teil des Aufrufs verkündete das „mit Gesetzeskraft“ von da an geltende Recht. Wichtige Punkte waren z.B. die Meinungsfreiheit (Punkt vier) und die Religionsfreiheit (Punkt fünf).
Am Ende der Erklärung stand die Ankündigung eines neuen Wahlrechts:
„Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen“. |
Die ersten Wahlen für und mit Frauen
Am 30. November 1918 trat in Deutschland das Reichswahlgesetz mit dem allgemeinen aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen in Kraft.
Im Januar 1919 war es erstmals so weit: Bei den ersten demokratischen Wahlen können Frauen und Männer wählen und gewählt werden – am 5. Januar 1919 zur Wahl der Verfassunggebenden Landesversammlung der Republik Baden, am 12. Januar 1919 zur Wahl der Verfassunggebenden Landesversammlung des Freien Württembergischen Volksstaats und schließlich am 19. Januar 1919 zur Deutschen Nationalversammlung.
Wegbereiterinnen der Demokratie im Südwesten
Am 19. Januar 1919 konnten Frauen zum ersten Mal in Deutschland reichsweit wählen und gewählt werden, es fanden allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlen zur verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung statt. 300 Frauen kandidierten. 37 Frauen – insgesamt gab es 423 Abgeordnete – werden schließlich gewählt. Auch wenn die Wählerinnen in ihrer Mehrzahl den konservativen Parteien ihre Stimme gaben, waren die meisten weiblichen Abgeordneten doch in den Reihen der SPD zu finden.
Auf Landesebene ging es sogar früher: In Baden konnten Frauen erstmals am 5. Januar 1919 und in Württemberg erstmals am 12. Januar 1919 dieses demokratische Grundrecht ausüben.
Die ersten Worte von Frauen im Parlament
Als erste Frau überhaupt ergriff Marianne Weber (DDP), die Frau des Soziologen Max Weber, bei der konstituierenden Sitzung am 15. Januar 1919 im Karlsruher Ständehaus das Wort und wandte sich an ihre männlichen Kollegen:
„Wir Frauen können nur unserer hohen Freude und Befriedigung darüber Ausdruck geben, dass wir zu dieser Aufgabe mitberufen sind, und ich glaube, sagen zu dürfen, dass wir besser für sie vorbereitet sind, als vielleicht die meisten von Ihnen glauben.“ |
Als erste Frau in der Weimarer Nationalversammlung spricht am 19. Februar 1919 die Sozialdemokratin Marie Juchacz aus Berlin:
„Ich möchte hier feststellen …, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ |
Zum Frauenwahlrecht war es ein langer Weg
Das Frauenwahlrecht ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Das Wahlrecht musste von den Frauen genauso ersehnt, eingefordert und erkämpft werden wie das allgemeine Wahlrecht für die männlichen Bürger. Doch der Weg dahin war für Frauen deutlich länger.
Historische Wurzeln des Wahlrechts liegen in der Französischen Revolution von 1789 mit ihren Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ von 1789 ermöglichte das Wahlrecht für alle männlichen Bürger. Dass die „Brüderlichkeit“ Frauenrechte ausschloss und dies Frauen durchaus deutlich wurde, zeigt die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“, die Olympe de Gouges (1748-1793) bereits 1791 verfasste. Da sie eine Regierung ablehnte, die Frauenrechte nicht anerkannte, führte ihr Weg sie zwei Jahre später unter die Guillotine – ihr Engagement für Gleichberechtigung von Männern und Frauen bezahlte sie mit dem Leben.
In Preußen galt seit 1848 das so genannte Dreiklassenwahlrecht
Das aktive Wahlrecht stand allen Männern nach Vollendung des 24. Lebensjahres zu. Frauen und Fürsorgeempfänger durften nicht wählen. Die Wähler wurden entsprechend der Höhe ihrer Steuerzahlungen in drei Abteilungen (Klassen) eingeteilt. Der ersten Abteilung, die sich aus Adeligen und Großgrundbesitzern zusammensetzte, gehörten die Wähler an, die die höchsten Steuerzahlungen leisteten. Die zweite Abteilung, in der z.B. Kaufleute vertreten waren, umfasste die Wähler mit einem mittleren Steueraufkommen. Die übrigen Wähler, die die geringsten Steuern zahlten, bildeten die dritte Abteilung. 1850 umfasste die erste Abteilung ca. 5 Prozent, die zweite Abteilung ca. 13 Prozent und die dritte Abteilung ca. 83 Prozent der preußischen Wähler.
Die Abgeordneten wurden indirekt von Wahlmännern gewählt. Jede der drei Abteilungen wählte ein Drittel der Wahlmänner durch öffentliche Stimmabgabe. Die gewählten Wahlmänner wählten ebenfalls öffentlich die Landtagsabgeordneten. Aufgrund dieses Wahlsystems hatte die Stimme eines wohlhabenden Wählers der ersten Abteilung im Jahr 1850 ungefähr das 17,5-fache Gewicht der Stimme eines ‚einfachen‘ Wählers der dritten Abteilung.
Das Frauenwahlrecht in Deutschland
In Deutschland kämpften um 1900 besonders insbesondere die SPD für das Wahlrecht. Auch engagierte Frauen außerhalb der Sozialdemokratischen Partei setzten sich vehement für das Frauenwahlrecht ein, waren sie doch unabhängig von Alter, Einkommen oder Tätigkeit davon komplett ausgeschlossen. Die gemäßigte bürgerliche Frauenbewegung strebte ein eingeschränktes Wahlrecht an. Die radikaleren sozialistischen Frauen um Clara Zetkin forderten dagegen auf dem ersten internationalen sozialistischen Frauenkongress 1907 in Stuttgart das allgemeine Frauenwahlrecht.
Das Frauenwahlrecht, das uns heute so selbstverständlich ist, musste sich gegen viele Vorurteile von Männern und Frauen durchsetzen. So wurde Frauen etwa verminderte Intelligenz und durch ihre Gebärfähigkeit eine „natürliche“ Bestimmung für den privaten, scheinbar politikfernen Bereich zugeschrieben. Viele weitere politische Schritte mussten in der Folgezeit gegangen, viele weitere Rechte und Ansprüche gesetzlich verankert werden.
Die Juristin Elisabeth Selbert, eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“, setzte mit großem Einsatz durch, dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ am 23. Mai 1949 im Artikel 3, Abs. 2 unseres Grundgesetzes als Verfassungsgrundsatz aufgenommen wurde. Trotz dieser formalen Gleichberechtigung stoßen Frauen selbst 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts immer noch an eine „gläserne Decke“: Sie meinen sich (und sind es auch oft genug) gesellschaftlichen Führungspositionen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft nach wie vor unterrepräsentiert – was aber, mal eben nur zum Beispiel nicht immer und ausschließlich den „männlichen Menschen“ muß angelastet werden dürfen.
Derzeit nämlich stellen sich (muß ja auch mal gesagt werden dürfen) gefragte SPD-Damen aus welchen Gründen auch immer – in gleichberechtigtem Tandem mit einem Mann – nicht zu Verfügung.
Das Zahlenverhältnis von Männern und Frauen in den Parlamenten hat sich über die Jahre hinweg verbessert. Dennoch liegt der Anteil weiblicher Parlamentarier (obgleich sie sich ja wie erwähnt nun seit 100 Jahren zur Wahl stellen dürfen) im Deutschen Bundestag heute lediglich bei 31 Prozent. Alsdann: Nicht nur beschweren – stellt Euch zur Wahl!
Frauenwahlrecht – gegen alle Widerstände
(ver.di-Video 6:15):
Ω
Als sich Frauen in Deutschland im November 1918 das passive und aktive Wahlrecht gegen tumbe Chauvinisten erkämpfen mußten und erkämpfte haben, lagen jahrelange Anstrengungen gegen immense Widerstände hinter ihnen. Auch 100 Jahre nach der neu erworbenen politischen Ermächtigung sind engagierten Frauen ähnliche Auseinandersetzungen – zwar – bis heute nicht fremd.
Wenn nun – aber – heute Chauvinist*Innen meinen, sich unter Anderem als militante Feminist*Innen gebärden – und als gendernde Sprachverhunzer*Innen meinen auftreten zu müssen, soll – damit das ganz klar ist – allerdings eben solchen von uns hier nicht das Wort geredet worden sein. (got)
Ausstellung im Landratsamt in Heidelberg
Wie vergleichsweise jung unsere Demokratie ist, wird angesichts der Tatsache deutlich, dass Frauen hierzulande erst seit 100 Jahren an politischen Wahlen teilnehmen dürfen.
Am 30. November 1918 trat das Reichswahlgesetz mit dem allgemeinen aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen in Kraft. Diese konnten damit erstmals am 19. Januar 1919 reichsweit wählen und gewählt werden. Aus diesem Anlass wird im Foyer des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis in Heidel-berg von Montag, 2. September, bis Freitag, 4. Oktober,
die Ausstellung „Menschenrechte haben kein Geschlecht – 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland“ gezeigt, die vom Gleichstellungsreferat der Universität Stuttgart konzipiert wurde.
Auf insgesamt zehn Roll-Ups wird dargestellt, wie das Frauenwahlrecht und weitere Frauenrechte, die heute als so selbstverständlich erscheinen, von der frühen Frauenbewegung hart erkämpft werden mussten. Dies geschieht vor allem anhand von Porträts der damaligen Protagonistinnen wie Louise Otto Petes, Hedwig Dohm (von ihr stammt die berühmte Feststellung „Menschenrechte haben kein Geschlecht“), Helene Lange oder Rosa Luxemburg.
Die Ausstellung ist kostenlos und kann zu den üblichen Öffnungszeiten des Landratsamtes Rhein-Neckar-Kreis besichtigt werden. Die Gleichstellungsbeauftragte Anna Held bietet zudem für Schulklassen Führungen an (Terminver-einbarungen per E-Mail an Anna.Held@Rhein-Neckar-Kreis.de)
Ausstellung „Menschenrechte haben kein Geschlecht
100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland“
2. September bis 4. Oktober im Landratsamt in Heidelberg