Nachdem er seine Tat auf 8chan angekündigt hatte, erschoß ein Mann in Elpaso Kunden und Angestellte.

Drei blutige Attentate innerhalb von einem halben Jahr, motiviert durch blanken Hass. Was sie gemeinsam haben: Alle Attentäter luden kurz vor ihrer Tat «Manifeste» auf die Website 8chan. Was ist das für eine Plattform? – Wenige Minuten vor dem Amoklauf in El Paso veröffentlichte der Schütze einen vierseitigen Beitrag auf der Plattform 8chan und kündigte seine Tat an. Damit folgte er dem Beispiel der Attentäter von Pittsburgh und Christchurch, die ebenfalls die Website genutzt hatten, um ihre Hassbotschaften zu verbreiten und ihre Taten anzukünden. Nun hat sich der IT-Sicherheitsdienstleister Cloudflare dazu entschieden, die Website nicht weiter vor Cyberattacken zu schützen – mit sofortigem Effekt.

 

Ob sich das Problem damit lösen lässt, ist allerdings äusserst zweifelhaft. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zur Internetplattform 8chan.

Was ist 8chan, und wie funktioniert es?

8chan ist ein englischsprachiges Imageboard. Die Plattform setzt sich zusammen aus verschiedenen Internetforen, die von Nutzern gegründet und von einem Moderator betreut werden. Alle Nutzer auf der Plattform sind anonym, sie nennen sich deshalb auch selbst «Anons». Die Seiten-Administration nimmt so gut wie keinen Einfluss auf die Inhalte, die in den Foren verbreitet werden. Es gibt nur eine Regel: Man darf keine in den USA illegalen Inhalte teilen. Das schliesst anscheinend weder Hassrede noch die Aufforderung zu Gewalt mit ein, sondern richtet sich primär gegen Urheberrechtsverletzungen und Kinderpornografie.

In den verschiedenen themengebundenen Foren herrscht ein für die Plattform spezifischer, rauer Umgangston, und sogenannte Memes – Bilder, die humoristisch mit Text verbunden werden – haben einen hohen Stellenwert. Die Foren heissen Random, Girls, Weapons oder Politically Incorrect. Letzteres, das auf der Plattform den Titel /pol/ trägt, ist das Epizentrum des Hasses. Es ist auch das Forum, in dem die wirren «Manifeste» der Attentäter kurz vor ihren Taten erschienen. 8chan ist bekannt dafür, eine Plattform für Rechtsradikale zu sein, die darauf ihre Theorien, Verschwörungen und Hassbotschaften zur Überlegenheit der weissen Rasse frei verbreiten können.

Wer ist der Kopf hinter 8chan?

So sieht die Forumsstruktur auf 8chan aus. (Bild: Screenshot 8chan)

Das Imageboard wurde 2013 vom Programmierer Fredrick Brennan, in der Online-Welt besser bekannt als «Hotwheels», erstellt. Die Idee dazu hatte er eigener Aussage nach während eines Drogentrips mit psychoaktiven Pilzen. Es war seine Reaktion auf eine in seinen Augen steigende Überwachung und Einschränkung der Redefreiheit im Internet und eine direkte Alternative zu 4chan, einem ähnlichen Board, das aber stärker (wobei allemal – noch lasch) moderiert wird. Mittlerweile hat sich der Gründer der Plattform von ihr distanziert und selbst dazu aufgefordert, die Seite zu schliessen. «Sie tut der Welt nichts Gutes», wird er in der «New York Times» zitiert. Heute gehört 8chan dem amerikanischen Kriegsveteranen Jim Watkins, der auf den Philippinen leben und eine Schweinefarm betreiben soll. Er übernahm die Plattform 2016, als Brennan zurücktrat. Zu den Attentaten hat er sich bis heute nicht geäussert.

Welche Inhalte sind auf 8chan zu finden?

8chan ist für eine Vielzahl von rassistischen, sexistischen und pornografischen Inhalten bekannt. Was einst als «Utopie der Meinungsfreiheit» gegründet wurde, ist heute ein Sammelbecken für Hassrede. Zum ersten Mal machte die Plattform von sich reden, als sie als Ausweichplattform genutzt wurde, um eine Belästigungskampagne gegen Frauen in der Gaming-Szene fortzuführen. Ein weiterer Skandal drehte sich um Kinderpornografie und die Sexualisierung von Minderjährigen. Immer wieder tauchten in den Foren von 8chan Links auf, die auf Seiten mit pädophilen Inhalten führten oder zu Foren, die eigens eingerichtet worden waren, um über Vergewaltigungen von Kindern zu schreiben. 8chan-Gründer Fredrick Brennan bezeichnete das Aufkommen solcher Inhalte damals als Preis der Redefreiheit, der sich kaum vermeiden lasse.

Weiter ist 8chan ist Nährboden für Verschwörungstheorien

Bei den Präsidentschaftswahlen in den USA 2016 wurden Inhalte über Hillary Clinton verbreitet, welche die Präsidentschaftskandidatin als korrupt und verlogen darstellten. Auch die rechtsextremistische Verschwörungstheorie QAnon hat ihren Ursprung in einem Forum von 8chan. Ihre Anhänger glauben, dass die amerikanischen Eliten an einem Kinderhändlerring beteiligt sind und nur Trump Amerika zum «Erwachen» bringen könne.

Die Ereignisse um die jüngsten hassmotivierten Attentate von Christchurch, Pittsburgh und El Paso rückten die Plattform endgültig von den dunkelsten Ecken des Internets ins Licht der Öffentlichkeit. Die Attentäter radikalisierten sich in den Foren, teilten dort ihr rassistisches Gedankengut und verkündeten ihre Mordabsichten. Die Nutzer feiern die Mörder, feuern sie an und verbreiten deren Inhalte.

Was wird gegen 8chan unternommen?

Die gute Nachricht: Es tut sich etwas. Der IT-Sicherheitsdienstleister Cloudflare hat sich lange gesträubt, etwas gegen die Website zu unternehmen: «Wir wollen nicht entscheiden, welche Inhalte angemessen und welche nicht angemessen sind. Wir bieten nur die Infrastruktur», liess der Anwalt des Unternehmens gegenüber einem Online-Magazin im Mai dieses Jahres noch verlauten. Diese Haltung hat sich nun offenbar geändert. «8chan hat wiederholt bewiesen, dass es eine Jauchegrube für Hass ist», so Cloudflare-CEO Matthew Prince in einem Blogbeitrag am Montagmorgen. Man werde 8chan nicht weiter vor Cyberattacken schützen. Cloudflare hatte die Website bis heute mit sogenanntem DDoS-Schutz versehen. Dieser verhindert, dass der Server der Seite mit gezielten Massenabfragen lahmgelegt wird.

Kurz nach der Ankündigung durch Cloudflare am Montag
war die Webseite bereits offline.

Wie geht es mit 8chan weiter?

Wie einem Tweet von 8chan zu entnehmen ist, möchte die Plattform ihren Dienst weiter anbieten, und man arbeite an einer Lösung. Es müsse allerdings damit gerechnet werden, dass 8chan die nächsten 24 bis 48 Stunden nicht verfügbar sei. Cloudflare ist sich sicher, dass 8chan zu einem anderen Anbieter wechseln und der Dienst in Kürze wieder verfügbar sein wird: «Durch unser Handeln haben wir unser eigenes Problem gelöst, nicht aber das Problem des Internets.»

8chan wird ausweichen. Und wenn 8chan nicht ausweichen kann, werden es dessen rechtsradikale Nutzer tun.

Aug. 2019 | Allgemein, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren