Im Juli 1996 wurde in Wien ein Abkommen der deutschsprachigen Staaten unterzeichnet, durch das die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung gemäß einem von einer internationalen Kommission vorgelegten Regelwerk mit Wörterverzeichnis beschlossen wurde, die am 1. August 1998 mit einer Übergangszeit von sieben Jahren in Kraft zu treten hatte.
Wie 1901 bei der damals beschlossenen ersten amtlichen Regelung der deutschen Orthographie weiß auch 1997 noch niemand so recht Bescheid, obgleich das alles so lange öffentlich diskutiert worden ist. Das Institut für deutsche Sprache stellt sich vor, dass nun Literaturverleger um ihre Klassikerausgaben fürchten, Untergangsphilosophen predigen das Ende der deutschen Sprache, Poeten sehen ihre Intimsphäre verletzt, Lehrer mögen das alles nicht ausbaden müssen, Beamte ahnen den finanziellen Ruin, in unserer Neuen Rundschau fordern wir (weiter unten) die bislang vermisste „rewoluzirte Rechtschreib-Anarschi“, die ”ZEIT” verweigerte sich alledem zwar erst einmal dieses (siehe) Kuddelmuddels, hat sich dann aber alsbald doch der neuen dudeaskanischen Sprachregelung angeschlossen und – aktuelle Anmerkung – die FAZ hat nach einer kurzen Phase mit der Neuen Regelung „wieder zur bewährten Rechtschreibung zurückgefunden“.
Schauen wir mal, wo das alles noch hingeht? Und, hadern wir nicht, führte das dann anderswo hin!
Derweil rufen wir schon mal zu ziwilem Ungehorsam auf
Wir (!) Konservativen toben, Schulkinder, Anarchisten, Legastheniker (und – aber dem widmen wir ein eigenes Kapitel – militant-genadernde Feminist*Inen jubeln: der gesezzlose Zustand scheint am Horizont, spätestens in zehn Jahren haben wir ihn. Zumindest in der deutschen Ortographie. Wer aber das deutsche Gemüth kennt, der weiß, wie wichtig sprache ist. Sie zu beherrschen, wahrlich, heist die deutsche Denke zu beherrschen, insofern die deutsche Politik und damit natürlich Gesamteuropa. Es hat die deutsche Historie noch nie eine so erfolgreiche Kampagne zum ziwilen Ungehorsam erlebt, wie die von den Schriftstellern gegen die Rechtschreibrephorm ausgerufene. Wir wissen uns damit zusammen mit Hans Magnus Enzensberger, der offen, wie das auch unsere Art ist, dazu aufrief, die neuen regelungen zu sabbotieren.
Sprache als Waffe
Kurt Tucholsky wußte und schrieb ”Sprache ist eine Waffe” und schärfte seinen Mitmenschen ein, sie nur auch ja immer brav stumpf zu halten. Das taten sie denn auch ganz begeistert und riefen: Ja! Genau! Sprache ist die Waffel, an der wir alle einen haben und an der wir – biblisch quasi – einander erkennen! Hurra & Halleluja!
Auf diese nachgerade babylonische Sprachverwirrung folgte postwendend der Faschismus – zumindest jedenfalls, will man unseren Sprachpflegern Glauben schenken, die treuherzig herumtröten, der Brutalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse gehe voraus, was nun ausgerechnet jene diese Reform hervortretenden Sprachhüter und Lenker sprachliche Verrohung nannten. Sonntagsstolz darauf aus, Ursache und Wirkung zu verwechseln, küren sie – selbstredend, um Schlimmstes zu verhüten – Jahr um Jahr das Unwort des Jahres. Und machen so dingfest, was sie uns nun als Reform vieler Wörter verkaufen wollen. Philosophie zum Unwort des Jahres zu küren, käme uns nicht in den Sinn. Es sei denn, so: Filosofi!
Sprache als Heilmittel
Ist es nicht so, dass jene Gesinnungsabgreifer, die da nun meinen, Sprache in einer Weise verhunzen zu dürfen und/oder zu müssen, wie sie der Straße aufs Maul geschaut und gehört haben, der Welt die Krankheit der Sprache als Heilmittel andrehen wollen, jene, wir nennen sie Verrohung, vor der sie so behende zu mahnen und zu warnen bislang vorgegeben haben: Sprach-Pflegeversicherung! Aber: Bitte, wer hat sich aufgeregt, als der ”Duden” klammheimlich nach dem Komperativ das ”Wie” erlaubt hat? Eine schönre Sprache, wie die deutsche, gibts nimmer … Au weia.
1999 – das war vor 20 Jahren
Wir erinnern uns: Am 1. Juli vor zwanzig Jahren war die Reform in einer zwischenstaatlichen Erklärung verkündet worden. 2006 sollten die Neuen regeln bereitz ”vorab tolleriert” werde. 1908 sollten sie verbindlich in kraft treten. Die alten regeln sollten allerdings noch bis 2010 in einer art doppelherschaft weiter gelten dürfen, bis sie anfang eben dises Jares endgültig würden abgeschafft werden solten.
Aufhören mit Halbherzigkeiten!
Wir fordern: Sprachrewoluzijon!
in einem modernen europa ist die zeit so wie so überreif für die abschaffung dumpfdeutscher sonder rechte wie das beharren auf dem sonst welt weit nirgendwo existierende ”ß”. dass das alte ”daß” nun ”dass” geschrieben werden muss, ist doch lediglich eine foltervorschrift von anal fixierten zwangskarakteren und entbehrt angesichts der weiter geltenden schreib weise von ”maß”, ”straße” oder ”draußen” jeder logik. einzig mögliche abhilfe: abschaffung jeder verbindlichen ß-, s- und ss-regelung. Anfangs, mag ja sein, sind die menschen wegen der immer kaotischer werdenden ortografie einfach nur verwirrt. jedoch sind wir sicher, dass sich unser forschlag durchsezen wird:
was heisstn hier rewoluzijon?
wir woln die anarschi!
jedes mensch muss doch so schreibn dürfen, wi er wil, in den kompjuter oder auf ein blatt papir. alle sollen so schreiben dürfen, wi si lustig sind. freilich fürchtet Jürgen Gott-Schling, dass, wenn wir irgendwann schreiben, daß wir es ganz so nun denn doch nicht gemeint haben und (!) zu guter Letzt inter venieren, der Allgemeine sprachferfall dann dennoch nicht mehr würde aufzuhalten sein. Seis drum: Jedder nach seinen fähigkeiten, jedernach seinen bedrüfnisen:
konsekwenz für fünf schritte – Wir, was dran verdienen? Wie kommt Ihr denn bitte darauf?
einer sofortigen einführung des wegfalls der großschreibung steht nichts im weg, zumal längst viele grafiker und dichter (erinnern wir uns an stefan george) zur kleinschreibung übergegangen sind. als zweiten schritt empfelen wir den wegfall der dehnungen und schärfungen. diese masname eliminirt die gröste felersuche schon in der grundschule, den sin oder unsin der konsonantenverdopelung hat onehin nimand kapirt. dritens wird v und ph ersetzt durch f; z und sch durch s. so wird das alfabet um swei buchstaben redusirt, sreibmasinen und sesmasinen fereinfachen sich, wertfole arbeitskräfte könen der wirtsaft sugefürt werden. im firten srit ersesen wir q, c und ch durch k; j und y durch i, pf durch f, nun haben wir also sek bukstaben ausgesaltet, di sulseit kan endlich riktig fon neun auf swei iare ferkürst werden, anstat aktsig prosent reksreibunterikt könen nüslikere fäker wi fisik, kemi oder reknen mehr geflegt werden. last not list blediren wir für den wegfal fon ä, ö und ü: ales uberflusige ist iest ausgemerst, di ortografi wider slikt und einfak; naturlik benotigt man einige seit, bis dise fereinfakung uberal riktig ferdaut ist. filekt sasungsweise ein bis swei iare, anslisend durfte als nakstes sil di fereinfakung der nok swirigeren und unsinigeren gramatik anfisirt werden. Soweit dies, jedoch wollen wir noch nicht aufgeben:
”Schlußwort zur Falschschreibdebatte”
von Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) :
”Buchstabenersparnis ist alles, was diese Tröpfe im Kopf haben. Diesem hohen Zweck sollen Logik, Grammatik, Wohlklang, Deutlichkeit und Bestimmtheit des Ausdrucks und Schönheit des Stils geopfert werden. Dabei ist die Allgemeinheit dieser Bestrebungen wahrhaft niederschlagend, indem sie einen seltenen Umstand beweisen, der sich über die ganze schreibende Welt in Deutschland erstreckt, vielleicht mit drei bis vier Ausnahmen, welche ich herzlich um Verzeihung bitte, daß ich sie nicht kenne … Kaum bin ich über eine neue grammatische und orthographische Eselei erschrocken, so sehe ich auch schon andere Schreiber sie eifrig adoptiren und nachschreiben: denn jeder dieser Esel ist dem andern eine Autorität”.
Und von uns:
Nachdem unser für Sprache zuständiges Kompendium Duden mittlerweile nach dem Komperativ das „wie“ zuläßt, meinen wir, fragen müssen zu dürfen, wer für ein solches Zulassen denn w i r k l i c h zuständig wäre, erlauben uns zudem (und lassen diese unsere Frage dann auch selber zu), wie denn um alles in der Welt der Langenscheidt-Verlag dazu kommt, solche „Jugendworte des Jahres“ sowohl aufzunehmen und auch zu „erlauben“ – und, ob sich an solcherlei Verhunzungen alle Jugendlichen zu halten haben, wenn sie nicht von Restriktionen von wem auch immer betroffen sein wollen:
2011 statt „coole Ausstrahlung“ : das Wort „Swag“
2016 statt „abgehen“ : „fly sein“
2017 statt „ich bins“ : „i bims“ – und so weiter …
wen wundert es bei alledem noch, dass der deutschen Sprache aus welchen Gründen auch mächtig sein müssende Schulabgänger nochmal einen „Grundkurs Deutsch“ besuchen müssen?
Wenn aber wir wieder ernst machen wollen: mit nicht vergewaltigter Sprache und Literatur, die kein bekanntes, vermessenes und aufgeteiltes Land ist, sondern ein unbekanntes, in dem wir lesend reisen können, weil wir unsere Sprache lieben, dann bleibt uns nur jene bewusste, langsame und unumkehrbare Fluchtbewegung, die ein Entlaufen ist: Desertieren wir von jenem Haufen von Berufs wegen legasthen-ministerial-sesselfurzenden Sprachzurechtbiegern mit ihren Fahnen, Kommandos und eingedrillten Bewegungen – all Jenen, die mit alledem nicht einverstanden sein wollen, sei versus Sprachverhunzer*ihnen dies mit auf den Weg gegeben: Macht kaputt, was Euch kaputt macht …