„Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe. Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und alle gefiederten Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels. Die Erde bringe hervor: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes –
… ein jedes nach seiner Art.“
Hat „die Bibel doch recht?“ Und, wenn ja, war dereinst die Fruchtfliege bereits eingeplant? Wir wissen es nicht, wahrscheinlich hat durch Jahrtausende die Evoltion daran mitgewirkt, dass es diese winzigen, im Sommer sich immer auf unseren Fruchtsalaten oder Weingläsern tummelnden, herumschwirrenden und störenden Mücken gibt.
Wie auch immer, heute jedenfalls spielen sie – von der Öffentlichkeit eher weniger zur Kenntnis genommen – eine wichtige Rolle in der medizinischen Forschung: 1989 hat das in Heidelberg angesiedelte Deutsche Krebsforschungszentrum drei neue Abteilungen eingerichtet – durch die Berufung von Prof. Dr. Bernard Mechler wurde die neue Abteilung „Entwicklungsgenetik“ etabliert, unter dessen Leitung 1989 auch die zierlich Fruchtfliege (Bild) Drosophila melanogaster ins DKFZ eingezogen ist.
Vorzeiten schon haben sich Menschen den Kopf zerbrochen, wie sich aus einer Eizelle so komplexe Organismen wie Heuschrecken, Mäuse und schließlich sogar Menschen würden entwickeln können. Auch auf Fragen, woher zum Beispiel eine Zelle „weiß“, ob sie zum Magen oder zum Darm gehört und Verdauungsenzyme produzieren müsse, hatten die Wissenschaftler lange Zeit keine Antworten. Denn grundsätzlich enthält jede Zelle im Organismus die gleichen Erbinformationen. Zu einer bestimmten Zeit und in einer bestimmten Umgebung werden aber nur wenige von ihnen „angeschaltet“, die restlichen Gene haben zu „schweigen“.
Erst in den vergangenen Jahrzehnten gelang es Wissenschaftlern, einige grundlegende Mechanismen der „Gestaltbildung“ zu enträtseln. Diese Erkenntnisse verdanken wir der Drosophila – Die Frucht- oder Taufliege ist quasi das „Haustier“ der Genetiker und wird als Modell für viele Lebensprozesse benutzt. Denn es gibt grundlegende biologische Prinzipien, die zwar bei allen Organismen gleich sind, aber bei der Fruchtfliege am einfachsten beobachtet werden können. Verändert man eine Erbanlage kann man die Auswirkungen schon am Äußeren des Tieres erkennen: Die Augenfarbe verändert sich oder Beine, Flügel und Antennen nehmen eine andere Form ein. Weitere Vorteile des kleinen Insekts sind die schnelle Generationsfolge und einfache Haltung. Die Fliege legt Eier, die innerhalb von 14 Tagen über ein Larvenstadium und Verpuppung zu fertigen Tieren heranwachsen.
Die Fliege in der Forschung
Das winzige Insekt dient als Modellorganismus, um die Rolle von Tumor-Supressorgenen bei der Krebsentstehung zu entschlüsseln. Diese Gene helfen normalerweise Teilung und Differenzierung von Zellen zu kontrollieren. Wenn sie aber verloren gehen oder sich verändern, fehlt ein entscheidender Kontrollmechanismus: Die Zelle entartet, ein Tumor entsteht. Bei Drosophila konnte nun ein solches Gen isoliert werden, Bernard Mechler arbeitete daran, dieses Gen zu entschlüsseln. Auf dieser Arbeit an der Fruchtfliege aufbauend wurde untersucht, ob es auch beim Menschen Tumor-Suppressorgene gibt.
Die Forschungsarbeiten zielen nun auf das Verständnis der molekularen Mechanismen, die das Wachstum von Zellen und die Aktivität der beteiligten Gene miteinander verknüpfen. Krebszellen sind unter anderem dadurch charakterisiert, dass sie sich unkontrolliert vermehren und sich nicht differenzieren. Je höher die Wachstumsrate eines Zellverbandes ist, desto mehr Proteine werden synthetisiert und desto höher ist zugleich der Bedarf an Ribosomen, denn an diesen Zellorganellen erfolgt die Umschreibung genetischer Information in Protoine.
Diese Schaltstellen stehen im Mittelpunkt der Untersuchungen: Wie hängt die Aktivität von Genen in Säugetierzellen von der Vermehrungsrate der Zellen ab? Wie werden die beteiligten Gene an- und abgeschaltet? Den Wissenschftlern ist beispielsweisebereits gelungen, den Regulationsmechanismus aufzuklären, der es Zellen erlaubt, auf eine Vielzahl von wachstumsfördernden und wachstumshemmenden Sübstanzen zu reagieren, all diese Kenntnisse verdanken wir der Forschung an dieser kleinen Fliege.
Lebewesen bestehen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Proteine – mehr, als im Erbgut in Form von Bauanleitungen vorliegen. Dahinter stecken Strategien, mit denen Lebewesen Proteine verändern; so machen sie mehr aus dem, was ihnen zur Verfügung steht. Die Körpereiweiße steuern etwa die Übertragung von Signalen, die Verpackung des Erbguts oder den Transport von Molekülen.
Zu den „Dekorateuren“ in der Zelle gehören die Methyltransferasen. Diese Proteine hängen Kohlenwasserstoffe, so genannte Methylgruppen, an andere Proteine an. Das Methylierungsmuster entscheidet zum Beispiel darüber, mit welchen Molekülpartnern ein Protein interagiert – und ob es überhaupt aktiv ist. Fehler bei der Methylierung können schwer wiegen, Körpereiweiße funktionsuntüchtig machen und stehen im Zusammenhang mit Krebs.
Die Wissenschaftler um (im Bild) Professor em. Bernard Mechler, dem Leiter der Abteilung Entwicklungsgenetik im Deutschen Krebsforschungszentrum, entdeckten eine interessante Funktion der Methyltransferase Capsuléen, die für die Fruchtbarkeit von Taufliegen unverzichtbar ist. Ihnen war aufgefallen, dass Taufliegen, denen zwei funktionstüchtige Genkopien von Capsuléen fehlen, ohne Kindeskinder bleiben, denn ihre Nachkommen besitzen keine Geschlechtszellen. Durch weitere Experimente entdeckten die Forscher, dass den Nährzellen, die die Eizelle mit allem Nötigen versorgen, in den genetisch veränderten Fliegen ein wichtiges Detail verloren geht: Sie entbehren die „Nuage“, eine Zellstruktur, die einen verschwommenen Ring um den Zellkern der Nährzellen formt und nach dem französischen Wort für Wolke benannt ist. Bestimmte Proteine, die für die Entstehung der Geschlechtszellen unerlässlich sind – zum Beispiel das Protein Tudor – fehlen in der Nuage der betroffenen Tiere.
Man könnte nun meinen, dass der Verlust von Tudor auf die gestörte Regulation eines Zielproteins, das Capsuléen methyliert, zurück gehe. Die Wissenschaftler machten zwar mehrere solcher Proteine ausfindig, demonstrierten jedoch auch, dass die Methylierung dieser Zielproteine nichts mit der Verteilung von Tudor zu tun hat. „So konnten wir die beiden biologischen Prozesse voneinander trennen“, sagt Joël Anne aus der Abteilung Entwicklungsgenetik. Capsuléen agiert allerdings nicht allein, weiß darüber hinaus Dr. Bernard Mechler, denn es bindet an ein anderes Protein, das nach der ausgestorbenen französischen Dynastie Valois benannt ist. Derzeit suchen die Wissenschaftler einen weiteren wichtigen Baustein, der aus molekularer Sicht erklärt, wie es zur Unfruchtbarkeit der Fliegen kommt. Mechler ist überzeugt, dass mindestens ein zusätzliches Molekül mit im Spiel ist, dessen Verlust ebenfalls zu Fliegen ohne Kindeskinder führt.
Bakir Yassin
Joël Anne, Roger Ollo, Anne Ephrussi, and Bernard M. Mechler. Arginine methyltransferase Capsuléen is essential for methylation of spliceosomal Sm proteins and germ cell formation in Drosophila, Development (2006), doi: 02687.
„Das Deutsche Krebsforschungszentrum hat sich zur Aufgabe gemacht, die Mechanismen der Krebsentstehung systematisch zu untersuchen und Krebsrisikofaktoren zu erfassen. Die Ergebnisse dieser Grundlagenforschung sollen zu neuen Ansätzen in Vorbeugung, Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen führen. Das Zentrum wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert; es ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.