Wie auch immer, die Republik – und die Kommunen – scheinen zu ergrünen. Getragen von den Schwingen der Klimaschutzproteste, fliegen die Grünen von einem Umfragegipfel zum nächsten. Am Küchentisch debattieren Familien darüber, wie sie ihren Plastiktütenverbrauch drosseln und den Balkon bienenfreundlich aufmöbeln können. Leitartikler überschlagen sich in Lobpreisungen des knuffigen Robert Habeck. Die CDU stürzt sich verängstigt in eine Kanzlerkandidatendebatte. Und in den allabendlichen TV-Talkshows beobachten wir gebannt den neuen Diskussionsstil: Haudrauf war gestern, heute zählen Verständnis, Empathie und – aber hallo! – Sachargumente.

Tut sie das also wirklich, die Republik? Ergrünen?

In Zeiten grenzenloser Euphorie empfiehlt es sich, einen kühlen Kopf zu bewahren. Die Fieberkurve der politischen Stimmungen mag uns derzeit mit starken Ausschlägen überraschen, aber die Volatilität der dauererregten Mediengesellschaft bringt es mit sich, dass kein Hype von langer Dauer ist. Vorgestern war es die Wiederauferstehung der FDP, gestern der Durchmarsch der AfD, heute ist es der Höhenflug der Grünen. Was kommt morgen – die Gründung eines deutschen Pendants zur französischen En-Marche-Bewegung? Selbst wenn uns Auguren anderes weismachen wollen: Parteipolitische Prognosen sind in diesen Tagen nur so zuverlässig wie der Blick in die Glaskugel. Die Schwäche der SPD-Politiker muss nicht das Ende der Sozialdemokratie bedeuten. Die Unsicherheit der CDU-Chefin macht ihre Chancen auf die Kanzlerkandidatur nicht zunichte. Die Einfallslosigkeit der FDP-Spitze macht liberale Politik nicht irrelevant.

Trotz alledem und alledem“ sind Trends zu be (ob)achten!

Den Volksparteien gelingt es erstens immer weniger, die divergierenden Kräfte der Gesellschaft unter ihrem Mantel zu vereinen. Zweitens fehlt Ihnen sowohl das Know-how als auch das Personal, um alle Revolutionen unserer Zeit – Klimakrise, Digitalisierung, Migration, Landflucht in die Städte – gleichzeitig zu bewältigen. In die programmatischen und kommunikativen Lücken stoßen von links und rechts des Spektrums Akteure vor, die sich kurzerhand von Zwergen zu Riesen aufplustern. Sie jagen den verunsicherten Platzhirschen so viel Angst ein, dass diese noch viel schneller schrumpfen als bereits ohnehin.

Freilich stehen die „Neuen Riesen“ auf nur einem Bein:

die AfD im Osten, die Grünen im Westen. Ebenso wenig wie die Sachsen, Thüringer und Brandenburger im Herbst mehrheitlich grün wählen würden, würden Westdeutsche die AfD zur Wahlsiegerin küren. Die Grünen sind de facto eine westdeutsche Partei; und die AfD kann sich allenfalls in den neuen Bundesländern Hoffnungen auf eine Regierungsübernahme machen.

Riesen entlarven sich selbst: Als Scheinriesen:

Weder die AfD noch die Grünen haben derzeit das Profil und die Kraft, eine Bundesregierung anzuführen und die Geschicke des Landes zum Wohle aller Bevölkerungsgruppen zu lenken. Die AfD ist im Kern eine Protestpartei, die Rechtsradikale in ihren Reihen duldet und für entscheidende Themen wie die Rente kein klares Konzept hat. Die Grünen mögen die größte Kompetenz in Klima- und Umweltfragen besitzen, aber in der Sozial-, Finanz- oder Wirtschaftspolitik klaffen bei ihnen große Lücken.

Die Grünen trauen dem System ‘Leitplanke der Marktwirtschaft‘ nicht“

Solange man nur als kleiner Koalitionspartner infrage kommt, kann das funktionieren: Das David-gegen-Goliath-Narrativ ist mächtig. Als Kanzlerpartei sind die Grünen aber nicht mehr David. Sie wären groß. Sie müssten große Themen groß schreiben. So weit aber sind die Grünen bisher nur in ihren Kerngebieten Umwelt und Klimaschutz.“ Und: “Das neue Grundsatzprogramm der Partei, das alle offenen Fragen beantworten wird, wird erst im kommenden Jahr fertig. Die Grünen sollten sich damit beeilen.

Schon klar. Niemand wählt die Grünen wegen ihrer Vorstellungen zur Wirtschafts- oder Finanzpolitik. Und doch ist wichtig zu wissen, was sich die Partei in den Politikbereichen vorgenommen hat, die nicht zu ihrem Gründungsmythos gehören.

Keine Partei hat soziale Marktwirtschaft so wenig verinnerlicht

„Alle wissen, dass wir jetzt liefern müssen“, sagt der Parteivorsitzende Robert Habeck nach der erfolgreichen Europawahl. Das heißt: Die Grünen dürfen nicht Klima- und Umweltpartei bleiben. Sie müssen in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik realistische Vorstellungen entwickeln. Davon sind sie noch weit entfernt.

Kaum eine Partei führt das Wort der ökologisch sozialen Marktwirtschaft so gern im Mund wie die Grünen. Doch keine Partei hat das Wesen der Marktwirtschaft so wenig verinnerlicht.
In der sozialen Marktwirtschaft gibt es zwar einen starken Staat. Doch der setzt nur die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, in Details mischt er sich nicht ein. Die Grünen ticken anders. Sie glauben, dass der Staat einen Auftrag hat, gegen Schottergärten – das sind Vorgärten, die mit Steinen, Schiefer oder Kies ausgelegt werden – vorzugehen. Sie sind davon überzeugt, dass nur staatliches Handeln gegen Einweg-Kaffeebecher hilft. Sie planen Maßnahmen gegen das Böllern an Silvester, gegen süße Limonade, gegen das Vernichten zurückgeschickter Produkte.

Die Grünen sind nicht mehr David, der gegen Goliath kämpft

Die Grünen trauen dem System „Leitplanke der Marktwirtschaft“ nicht. Solange man nur als kleiner Koalitionspartner infrage kommt, kann das funktionieren: Das David-gegen-Goliath-Narrativ ist mächtig. Als Kanzlerpartei sind die Grünen aber nicht mehr David. Sie wären groß. Sie müssten große Themen groß schreiben. So weit aber sind die Grünen bisher nur in ihren Kerngebieten Umwelt und Klimaschutz.

Ergrünt sie also, die Republik?

Noch sehen wir nur grüne Knospen. Ob sie wirklich irgendwann aufblühen, wird nicht der Sommer, sondern frühestens der Herbst zeigen.

Juni 2019 | Allgemein, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Senioren, Zeitgeschehen | Kommentieren