Klaus Wettig nutzt seien längjährige Erfahrung mit den Inhalten und Strukturen der SPD, um die Ursache für die jetzige desolate Lage in einer überkommenen Organisationsstruktur zu finden. „Eine in den 1970er Jahren beginnende Langzeitanalyse zeigt die programmatischen und organisatorischen Schwächen der SPD. Sie findet keine Antwort auf die ökologische Frage, was zu den Verlusten an die neue Partei Die Grünen führte, sie handelte unsicher in der sozialen Frage der Globalisierung und beantwortete sie dann unter Gerhard Schröder fehlerhaft mit der Übernahme von neoliberalen Positionen, die den Markenkern der SPD, ihre soziale Zuverlässigkeit, erodieren ließen.
Die SPD muss sich programmatisch neu aufstellen, was nicht verlangt, dass sie sich auf den mühsamen Weg zu einem neuen Parteiprogramm begibt. Sichten des Bestandes, Korrekturen von Fehlern, Überprüfen der Tagespolitik auf allen Ebenen sollten dafür ausreichen.
Dringender ist die Generalüberholung ihrer Organisation. Vieles ist hier alt und funktioniert seit der Rückkehr aus dem Parteiverbot durch die Nazis. Gar nicht wenig hat sich seit 1945/46 gewandelt, dass die SPD in der Partei trotzdem für das 21. Jahrhundert unzureichend aufgestellt ist, bestimmte schon die Reformdiskussion im ausgehenden 20. Jahrhundert, doch gehandelt wurde selten. Die ständige Diskontinuität in der Parteiführung ließ Reformansätze versanden. Der Stillstand in der Parteireform ist eine Ursache für die gegenwärtige Lage der SPD, deshalb beschäftigt sich dieses Buch mit den Versäumten Reformen. Wären sie geschehen, stünde die SPD heute besser da, einen Teil der negativen Auswirkungen der Ära Schröder hätte sie auffangen können.“

Über soziale Gerechtigkeit hat – lange nach ihm auch Rezo beschäftigt – bereits Plato nachgedacht. Für ihn war ihr Ziel die Harmonie zwischen den verschiedenen Klassen der Gesellschaft. Soziale Gerechtigkeit aber bedeutet Gleichheit, nicht Gleichmacherei, vor allem Chancengleichheit, sowie die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zugunsten der Schwächeren in der Gesellschaft. Keineswegs aber bedeutet sie, die Reichen in der Hoffnung noch reicher zu machen, es kämen ein paar Arbeitsplätze mehr dabei heraus. Die Beliebigkeit jedenfalls, mit der führende Sozialdemokraten soziale Gerechtigkeit definieren zeigt an, dass sie diesen Grundwert allenfalls noch als Hülle zu betrachten belieben.
Schauen wir mal, wie weit die altvorderen SPD-Obergenossen Kevin Kühnert gehen zu lassen bereit sind und ob sie auch künftig wieder mit jämmerlichen Lamentationen gegen ihn aufmucken, der doch – eigentlich – lediglich streckenweise aus dem SPD-Parteiprogramm zitiert hat.
Eine ausführliche Rezension des gerade erschienenen Wettigschen Titels lesen Sie demnächst hier.

Klaus Wettig

Klaus Wettig wurde 1940 in Göttingen geboren. Er stammt aus einer großen Arbeiterfamilie, die vor 1933 gewerkschaftlich-sozialdemokratisch-kommunistisch organisiert war und in der NS-Zeit politische Distanz hielt. Seine Eltern organisierten sich gewerkschaftlich und in der SPD. Sein Vater war Jahrzehnte Betriebsrat.

Für die SPD ging er 1975/76 als Politikberater in das revolutionäre Portugal. Dem demokratischen Aufbau in Portugal und dem Weg Portugals in die Europäische Union blieb er als Mitglied des Europäischen Parlaments verbunden.
Dem Europäischen Parlament gehörte Klaus Wettig von 1979 bis 1994 an. Wegen seiner besonderen Wahlkampferfahrungen organisierte er gemeinsam mit Peter Glotz und Anke Fuchs die Europawahlkämpfe 1984 und 1989, auch 1994 gehörte er der Wahlkampfleitung an.

Nach seinem Ausscheiden aus dem Europäischen Parlament arbeitete er zunächst als Politikberater, bis er ab 1996 die Kulturorganisation Freundeskreis Willy-Brandt-Haus in Berlin aufbaute, die dort Ausstellungen, Diskussionen, Buchvorstellungen, Filmabende veranstaltet. Geschäftsführer des Freundeskreises blieb er bis 2011. In diesem Zeitraum war er auch Programmleiter der Verlagsgruppe PARTHAS, Verlag für Berlin-Brandenburg, vorwärts buch.

Von 1985 bis 2007 hatte Klaus Wettig einen Lehrauftrag für Europapolitik und Wahlsoziologie an der Universität Göttingen. Aus seiner publizistischen Tätigkeit sind Spurensuche und Fundstücke (Wallstein Verlag), Orte der Sozialdemokratie (vorwärts buch) sowie «Ich wohne nicht in stehenden Gewässern.» Der Politische Günter Grass (Steidl) zu nennen.

Leseprobe

Klaus Wettig
Reformen wagen
Schüren Verlag 2019
120 Seiten
März 2019

Buch 14,90 € / E-Book 9,99 €
ISBN 978-3-7410-0263-2

 

Juni 2019 | Allgemein, Buchempfehlungen, Feuilleton, Junge Rundschau, Politik, Senioren, Zeitgeschehen | Kommentieren