Die hochdosierte Frau: Wie eine Homöopathin ihre Arbeit von einem Tag auf den andern nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte
Die deutsche Ärztin Natalie Grams war Homöopathin. Heute bekämpft sie den Glauben an die «sanfte Medizin» dermassen heftig, dass sie selber etwas Missionarisches bekommt dabei. Ihr Vorteil: Sie kennt die gegnerische Mentalität.

Verantwortlich:

Dr. med. Natalie Grams
Postanschrift: Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP e.V.), Arheilger Weg 11, 64380 Roßdorf

Kontakt:
E-Mail: grams@gwup.org

Telefon: bitte per E-Mail erfragen

 

Die Berufsbezeichnung „Ärztin“ und die Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ wurden in Baden-Württemberg erworben.

 

Landesärztekammer Baden-Württemberg
Jahnstr. 40, 70597 Stuttgart

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Die Bilder hat die Fotografin Dorothée Piroelle gemacht (http://www.dorotheepiroelle.com).

 

Die Homöopathie wirkt bis heute in ihr nach – als Motivation, sie zu bekämpfen: die deutsche Ärztin Natalie Grams. (Bild: Dorothee Piroelle)

Es wird immer schwerer, Natalie Grams zu ignorieren. Denn ihrer Bekanntheit nützt, was ihr als Ärztin Sorgen bereitet: die steigende Zahl der Masernfälle, eine mit der Homöopathie sympathisierende Ministerin, die Wissenschaftsskepsis im Netz, dieser Terror der Meinungen gegen die Aufklärung. Die Deutsche erklärt fast täglich in Interviews, warum sie Homöopathie für eine Pseudomedizin hält. Sie weist in Vorträgen auf deren fehlende Wirksamkeit hin und stellt sich den Homöopathen im Publikum, als ob eine Annäherung möglich wäre. Doch Befürworter und Kritiker stehen sich so unversöhnlich gegenüber wie je.

Glaubt sie ernsthaft, dass sie jemanden überzeugen kann? Ist ihr das schon gelungen?

«Selten», gibt sie zu und lacht. «Ich versuche jene zu erreichen, die sich noch nicht in den Glauben verrannt haben.» Das Skype-Gespräch führt sie bei sich zu Hause in Heidelberg, sie trägt einen grauen Hoodie, die Haare sind ungestylt. Es ist zehn Uhr morgens, die ersten Tweets, von denen sie täglich Dutzende verschickt, hat sie ihren über 11 500 Followern da bereits zukommen lassen.

Provokativ, aber nicht polemisch

Natalie Grams gehörte einst selber zu den Gläubigen, gegen die sie anredet. Sie führte einige Jahre eine Praxis für Homöopathie. Bei der Recherche zu einem Buch las sie Hunderte von Studien und erkannte, dass der Methode jede wissenschaftliche Grundlage fehlt. In «Homöopathie neu gedacht» (2015) schildert sie ihre Kehrtwende: Sie hörte von einem Tag auf den andern auf zu praktizieren und hat sich seither dem Kampf gegen die Glaubenslehre verschrieben. Heute leitet die 41-Jährige das Informationsnetzwerk Homöopathie und arbeitet für die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). Ihr Ziel: aufklären, aufklären, aufklären.

An Fernsehauftritten schluckt sie auch einmal medienwirksam ein ganzes Fläschchen Globuli, um zu beweisen, dass das Mittel wirkungslos ist – «Zauberzucker», wie sie es nennt. Sie provoziert gern, dies jedoch weniger polemisch als etwa der Berner Immunologe Beda Stadler. Denn so widersprüchlich es klingt: Sie nimmt die Gegenseite ernst. «Ich will niemandem die Homöopathie wegnehmen», sagt sie dann auch. Sie hört denen zu, die eine andere Meinung haben, antwortet ruhig, geduldig und sachlich.

 

 

 

 

Das konnte man neulich an einem Podium in Winterthur erleben, zu dem Grams eingeladen war. Im Anschluss meldete sich der St. Galler Psychiater und Homöopath Hansjörg Hée im Publikum. Er sei beeindruckt, sagte er, mit welchem Enthusiasmus Grams «in die Gegnerschaft» gewechselt sei. Und er frage sich, was bei ihrer Ausbildung falsch gelaufen sei. Die Ärztin sei von der Wissenschaftlichkeit «ausserordentlich eingenommen», der Mensch komme nicht vor, nur «Studien, Studien. Das ist ja langweilig bis zum Gehtnichtmehr.»
Sie sage nicht, dass Homöopathie nicht wirke, entgegnete sie auch diesmal. Aber es gebe keinen Nachweis, dass dies aufgrund der homöopathischen Substanz passiere. Diese wird so stark verdünnt, dass sie keine pharmakologische Wirkung mehr haben kann.

Dabei stimmt Grams der Kritik ihrer früheren Verbündeten in diesem Punkt zu: Die Medizin sollte den Menschen wieder mehr in seiner Individualität wahrnehmen und ihn nicht bloss als Fallnummer betrachten, was beim Spardruck im Gesundheitswesen zunehmend geschehe. Der Homöopathie hält sie zugute, wie viel Zuwendung sie dem Patienten schenkt. Man nimmt sich Zeit, versucht, ein Leiden ganzheitlich zu ergründen. Falls es zur Heilung komme, sei das deshalb schlicht und einfach dem Placeboeffekt zuzuschreiben, so Grams: Arzt und Patient glauben, dass die Kügelchen guttun, also können sie eine psychologische Wirkung haben. Mehr nicht.

Die Macht als Heilerin

Diese Empathie nahm auch Natalie Grams, Tochter eines Chemikers, für die Homöopathie ein. Sie studierte Medizin mit dem Ziel, Chirurgin zu werden, als sie einen Autounfall hatte. Sie litt lange an unerklärlichen Folgebeschwerden, für die die Ärzte keine Ursache fanden. Schliesslich ging sie zu einer Heilpraktikerin. Von dieser fühlte sie sich verstanden und angenommen, eine Welt tat sich auf. So liess sie sich selber zur Homöopathin ausbilden.

Seit ihrer Abkehr von jener Welt hat sich ihr Ton verändert. Wollte sie mit ihrem Buch noch zwischen Schulmedizin und alternativer Heilmethode vermitteln, teilt sie heute härter aus. Denn sie bekommt ihren angeblichen Verrat von der Gemeinde zu spüren. Freunde wandten sich ab, sie erhält Hassnachrichten und Drohungen, für einen Auftritt musste sie Polizeischutz anfordern. Deshalb redet sie nicht über ihre Familie. Ihr Mann arbeitet als Wirtschaftsprüfer, sie ist Mutter von drei Kindern. Als sie mit dem jüngsten schwanger war, entwickelte sie einen Diabetes. Da schrieb sie gerade ihr Buch, Homöopathie half schon nicht mehr: Der Placeboeffekt war weg.

«Natürlich befeuere ich die Debatte durch mein permanentes Dagegenreden.»

Klar erfüllte sie der Verlust eines Lebenssinns auch mit Trauer. Sie verdiente nichts mehr, und auch ihr Selbstbild war infrage gestellt. «Ich verstand mich als Heilerin, und als solche hat man eine gewisse Macht.» Gerade das enge Verhältnis zwischen Homöopathen und Patient könne zu einer Abhängigkeit führen, die das Ego des Behandelnden nähre. Auch sie hatte Patienten, die aus den USA zweimal im Jahr nach Deutschland flogen, um sich weiter von ihr behandeln zu lassen. «Man meint, die Homöopathie sei freiheitlich, weil sie jeden so individuell behandelt. Im Grunde ist sie patriarchalisch.»

Könnte es sein, dass sie die entstandene Leere mit dem Kampf gegen die Homöopathie kompensiert? Sie antwortet: «Natürlich befeuere ich die Debatte durch mein permanentes Dagegenreden.»

Gelegenheit gibt ihr gerade die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Manuela Schwesig (SPD) übernahm vor ein paar Tagen die Schirmherrschaft über den Deutschen Ärztekongress für Homöopathie, der Ende Mai stattfindet. Grams protestierte mit einem offenen Brief. Auch der von Gesundheitsminister Jens Spahn geforderte Impfzwang für Masern beschäftigt sie. Die hochansteckende Krankheit ist ein gutes Beispiel, weshalb sie einen oft geäusserten Satz über Homöopathie nicht gelten lässt: «Wenn es nicht nützt, dann schadet es wenigstens nicht.» Sie hat Kinder mit Mittelohrentzündung leiden gesehen, weil der Homöopath keine Antibiotika verabreichen wollte mit der Behauptung, «Heilung im Kern» erfolge erst, wenn man durch die Beschwerden hindurchgehe. Sie selber überlegt es sich noch immer zweimal, ob sie bei Kopfschmerzen ein Aspirin schlucken soll. Nachwehen, sie lacht. Einer Masern-Impfpflicht steht sie trotzdem skeptisch gegenüber. Andere Impfungen könnten dadurch an Bedeutung verlieren.

Aktivismus ist anstrengend, und deshalb denkt Natalie Grams darüber nach, den Facharzttitel nachzuholen, mehr Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Tango tanzen, Velotouren machen, all das, was in den letzten Jahren zu kurz kam.
Was sie daran hindert:
Dann könnten ihre Gegner denken, sie hätten sie kleingekriegt.

 

Natalie Grams ist Ärztin, Autorin und ehemalige Homöopathin.

 

In ihrem ersten Buch „Homöopathie neu gedacht“ beschreibt sie ihren Weg heraus aus der Homöopathie, bricht darin aber auch eine Lanze für mehr Empathie und Zuwendung in der normalen Medizin.

 

Als Kommunikations-Managerin der GWUPund als Leiterin des Informationsnetzwerks Homöopathie setzt sie sich mit Leidenschaft und Engagement dafür ein, dass Patienten und Laien über die Homöopathie und andere pseudomedizinische Verfahren zunehmend richtig informiert werden.

Dazu und zu ihrem Anliegen einer insgesamt besseren und patientengerechten Medizin erschien ihr zweites Buch „Gesundheit! Ein Buch nicht ohne Nebenwirkungen“.

 

Aufklärung rund um falschen Glauben, Esoterik und unehrliche Medizin sind ihre Profession geworden. In dieser Sache arbeitet sie als Angestellte für Verbraucherschutz-Organisationen wie die GWUP und den Deutschen Konsumentenbund.

 

Ehrenamtlich engagiert sie sich als Vize-Präsidentin des Humanistischen Pressedienstes, als Beirätin der Giordano-Bruno-Stiftung sowie im Münsteraner Kreis und setzt sich öffentlich auf vielfältige Weise für kritisches Denken ein.

 

Regelmäßig schreibt sie eine Kolumne für Spektrum der Wissenschaft unter Grams` Sprechstunde.

 

Mai 2019 | €uropa | Kommentieren