Überrascht vom Wirbel um die Begegnungszone: Baustadtrat Florian Schmidt erklärt das Modellprojekt ganz ausführlich.

Überrascht vom Wirbel um die Begegnungszone: Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt erklärt das Modellprojekt ganz ausführlich.

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Markus Waechter

Tempo 20, grüne Punkte auf dem Asphalt und Sitzecken am Straßenrand, wo es früher Parkplätze gab – selten hat ein Modellprojekt zur Verkehrsberuhigung im öffentlichen Raum zu solch heftigen Debatten und politischen Auseinandersetzungen geführt wie im Falle der neu geschaffenen Begegnungszone Bergmannstraße in Kreuzberg. Im Blickpunkt der Kritiker steht der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne). Am Mittwochabend sprachen ihm die Fraktionen von Linke, SPD, CDU und FDP im Bezirksparlament eine Missbilligung aus. 30 Verordnete stimmten dafür, 17 dagegen, einer enthielt sich.  Es geht um einen BVV-Beschluss vom Januar 2019, in dem Schmidt aufgefordert worden war, die Testphase für die Sitzmöbel am Straßenrand im Juni vorzeitig zu beenden, damit das Bergmannstraßenfest stattfinden kann. Denn wenn die Parklets am Straßenrand stehen, so wurde der Beschluss damals begründet, könnten die Buden und Stände nicht mehr wie sonst aufgestellt werden. In einer Mitteilung vom Mittwochabend unterstützte Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) ausdrücklich die Befürworter einer weitergehenden Testphase, also den Baustadtrat Schmidt. „Die Bergmannstraße ist ein spannendes Experimentierfeld für die Verkehrswende“, sagte Günther. Es erfreue sie, dass  Bezirksbürgermeisterin und Baustadtrat sich dort so engagiert dafür einsetzten, etwas Neues zu probieren.

Herr Schmidt, die anderen Parteien werfen Ihnen jetzt vor, den BVV-Beschluss zum vorzeitigen Ende der Parklet-Testphase einfach so missachtet zu haben. Warum widersetzen Sie sich diesem Beschluss?

In der Begründung des Antrags stand damals an oberster Stelle, dass das Jazzfest auf der Bergmannstraße gesichert werden soll. Schon zum Zeitpunkt der Antragstellung war aber klar, dass das Bergmannstraßenfest gar nicht mehr dahin will in diesem Jahr, sondern in die Kreuzbergstraße. Das wird nun auch so auch passieren. Das heißt, ein wesentlicher Grund für diesen Antrag war der Erhalt des Jazzfestes. Die Testphase soll zudem Ende Juni beendet werden, und das machen wir auch so. Da steht aber nicht, dass alle Parklets, Fahrradbügel und alles andere abgebaut werden sollen.

Was stellen Sie sich darunter vor?

Wir beenden die Testphase und dann folgt die Evaluationsphase. Das heißt, wir beobachten bis Ende Juni, was auf der Bergmannstraße passiert und dann werten wir diese Erkenntnisse aus. Das ghanze Verfahren wollen wir am 21. Mai auf einer Bürgerinfoveranstaltung vorstellen, zudem soll es zwei Sommerwerkstätten geben. Danach werden wir die Ergebnisse in der Bergmannstraße ausstellen, und dann beginnt die Diskussion.

Vielleicht haben Sie das Projekt falsch kommuniziert. Wenn eine Erprobungsphase endet, muss das doch auch Konsequenzen haben.

Hat es ja auch. Aber wenn Sie aus dem Antrag herauslesen, dass die Parklets abgebaut werden sollen, dann stimmt das so eben nicht. Das steht da auch nicht.

Haben Sie die Anwohner der Bergmannstraße in ausreichendem Maße über die Parklets mitentscheiden lassen?

Wir haben seit 2017 regelmäßig Veranstaltungen zu diesem Thema gemacht.

Und haben Sie den Eindruck, dass die Parklets gut angenommen werden?

Die Menschen sitzen dort, die Fahrradbügel werden genutzt, die Gehwege sind frei.

In den Parklets liegt Müll, Pflanzen werden herausgerissen …

.. das ist eine subjektive Wahrnehmung. Es wird jetzt mehr gereinigt als vorher. Es ist nicht wahr, dass die Parklets vermüllt sind.

Parklets und Fahrbahnmarkierungen in der Bergmannstraße.

Parklets und Fahrbahnmarkierungen in der Bergmannstraße.

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Warum wird über die Gestaltung der Bergmannstraße so heftig gestritten?

Es gibt Gewerbetreibende, die schon immer dagegen waren. Sie haben Angst, dass ihre Geschäfte schlecht laufen, wenn keine Autos mehr vor ihrer Ladentür parken können. Dann gibt es die Leute, die fragen, was das denn mit den Parklets soll, die wären doch hässlich und dann wird das eifrig in den sozialen Medien gepostet. Manche sind auch der Meinung, es würden Parkplätze weggenommen, das könne doch wohl nicht sein.

Halten Sie keines dieser Argumente für gerechtfertigt?

Jede Kritik bei einem Pilotprojekt ist willkommen. Das Problem ist diese Hysterie, der Aufschrei, das Projekt sei gescheitert, bevor es überhaupt aufgebaut war – um in der Konsequenz den Abbruch zu fordern. Eine fachliche Diskussion wird dabei gar nicht geführt. Ich habe kein Problem damit, dass manche Leute sauer sind. Ich habe nur ein Problem damit, wenn Parteien im Bezirk aus politischen Motiven dieses Pilotprojekt ausnutzen, um das Thema Verkehrswende und meine Person damit beschädigen. Es ist ein Testprojekt!

Dazu gehören auch die grünen Punkte auf der Straße, die schon nach wenigen Tagen abgenutzt sind.

Die Punkte sind dreckig. Da sieht man mal, wie dreckig diese Stadt ist! Die Punkte sind ein Gestaltungselement. Den Autofahrern wird signalisiert, dass es in der Bergmannstraße eine neue Situation gibt, sie sind irritiert. Ob die Punkte wirksam sind, wird sich zeigen. Sie haben medial viel Aufmerksamkeit bekommen und werden als Unsinn vorverurteilt.

Ist die Bergmannstraße jetzt Ihr Hauptbetätigungsfeld geworden?

Nein. Aber wenn man neue Sachen ausprobiert und die Ziele der Verkehrswende in einem Pilotprojekt umsetzen will, dann kann das zu Verwerfungen führen. Doch die politischen Reaktionen halte ich für übertrieben und inszeniert. Vielleicht sind die Grünen und ich persönlich den anderen Parteien ein Dorn im Auge. Das Projekt Begegnungszone Bergmannstraße bleibt eben ein spannendes Experiment. Man wirft etwas Radikales in die Waagschale und alle drehen durch. Na ja, nicht alle. Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Projekt einen solchen Wirbel auslösen wird.

Warum haben Sie eigentlich gerade die Bergmannstraße für dieses Pilotprojekt ausgewählt?

Es gab dort viele Beschwerden: Der Bürgersteig sei vollgeparkt mit Fahrrädern, auf der Straße würde ständig in der zweiten Reihe geparkt. Alle waren sich damals einig, dagegen muss was passieren. Und viele haben sich daran beteiligt. Auch Kinder und Jugendliche haben sich an der Planung beteiligt. Es wurde nicht gegen die Menschen im Kiez gehandelt.

Warum hat man die Straße nicht komplett für den Durchgangsverkehr gesperrt?

Das ist doch alles möglich jetzt. Wir haben eine Testphase und jetzt die Chance, den Stadtraum in den Wohnstraßen anders zu gestalten. Die Straße als Lebensraum, in der auch Autofahrer merken, dass sie hier nicht die Chefs sind, die einfach mal da durchbrettern. Die Debatte geht jetzt erst los.

Dann ist eine Sperrung der Straße also gar nicht von Tisch?

Auf keinen Fall! In Bürgerwerkstätten werden mit Nachbarn, Experten und Nutzern verschiedene Varianten erarbeitet. Was war gut und was nicht? Auch über die Parklets wird dann neu nachgedacht. Wir haben viel Platz für Debatten. Die Verkehrswende wird hier nicht durchgekloppt von „grünen Autoritarismus“, wie es einige behaupten.

Die Anwohner der Bergmannstraße haben sich auch über den nächtlichen Lärm beschwert. Was tun Sie dagegen?

Es gibt seit Anfang Mai Kiezläufer in der Begegnungszone Bergmannstraße. Die Parklets dort laden eben auch zu nächtlichen Zusammenkünften ein. Wenn es abends und nachts Konflikte gibt, können Anwohner eine Hotline anrufen, dann kommen die Kiezläufer. Das sind geschulte Security-Mitarbeiter. Auch das ist ein Experiment, ein Präventionsprogramm gegen Lärm. Es geht dabei nicht um Sanktionen und Verbote. Wir müssen Leute vor Ort haben, die einen Diskurs auf der Straße führen.

Haben Sie eine Vision für die Zukunft der Bergmannstraße?

Es wird dort nur noch sehr wenige Autos geben. Und dort, wo es jetzt Parkplätze gibt, können Passanten sitzen oder Kinder spielen. Auch Stellplätze für E-Autos und Lastenräder sind vorgesehen. Damit das alles gut funktioniert, muss es kontrolliert werden.

Warum?

Berlin wird immer dichter besiedelt. Das heißt, immer mehr Menschen teilen sich immer weniger öffentlichen Raum. Da wird es Nutzungskonflikte geben. Deshalb brauchen wir Regeln, die alle einhalten. Die Nachbarschaft braucht Ansprechpartner, so wie es in einem Dorf funktioniert.

Einen Dorfsheriff?

Nein, wir brauchen Mediatoren. Sagen wir Straßenmanager. Eine Stadt wird künftig nicht nur mit ihren technischen Neuerungen und automatisierten Abläufen einer Smart City funktionieren, sie braucht Begegnungszonen im öffentlichen Raum. So wie wir sie in der Bergmannstraße gerade ausprobieren.

Mai 2019 | €uropa | Kommentieren