“Oder soll man es lassen?”
Warum der Zeit-Beitrag zur Flüchtlingsrettung nicht mehr für den Wolff-Preis nominiert ist – Eine Fußnote und ihre Geschichte: Am vergangenen Mittwoch (10. April 2019) wurde über die Shortlist für den Theodor-Wolff-Preis gestritten, auf der auch ein sehr umstrittener Zeit-Beitrag auftauchte – das Pro & Contra zur Seenotrettung von Flüchtlingen mit der provokanten Headline „Oder soll man es lassen?“ Nun ist der Beitrag plötzlich nicht mehr nominiert. Eine der beiden Zeit-Autorinnen hatte etwas dagegen. Die Preisrichter nahmen das Stück daraufhin aus dem Rennen, offenbar zum Ärger einiger Juroren.
Der Theodor-Wolff-Preis gehört zu den wichtigsten Auszeichnungen der Medienbranche
Besucher der Webseite des Zeitungsjournalisten-Wettbewerbs werden über den Vorgang rund um das umstrittene Zeit-Stück lediglich durch einen am gestrigen Montag veröffentlichten Nachtrag unter der dem Artikeln mit den Nominierungen informiert. Dort heißt es:
In der Kategorie Meinung überregional hatte die Jury ursprünglich auch Caterina Lobenstein (Pro) und Mariam Lau (Contra) für den in Die Zeit veröffentlichten Kommentar ‘Oder soll man es lassen?’ nominiert. Dieser Beitrag war ohne Wissen und Zustimmung von Frau Lobenstein durch einen Leser eingereicht worden. Die Autorin hat uns heute mitgeteilt, dass sie für diesen Beitrag nicht nominiert werden möchte. Die Jury hat sich daraufhin entschlossen, das Pro und Contra aus der Wertung zu nehmen.
Eine Begründung liefern auf der Website weder die Zeit-Redakteurin noch das mit dem Preis befasste Kuratorium. Lobenstein hatte ihre Position gegenüber den Organisatoren allerdings deutlich gemacht. In einer Stellungnahme schreibt die Journalistin:
Für die Nominierung (…) möchte ich mich bei Ihnen bedanken, sie ist eine große Ehre. Ich schätze den Theodor-Wolff-Preis, die Arbeit der Jury und die ausgezeichneten Kolleginnen und Kollegen sehr. Dennoch möchte ich Sie bitten, mich von der Liste der Nominierten zu streichen. Ich stehe hinter meinem Text. Ich finde es richtig, über die Legitimität von Seenotrettung durch Nichtregierungsorganisationen zu streiten. Die Aufmachung des nominierten Pro und Contra jedoch, von der ich erst nach dem Druck erfahren habe und für die sich die Zeit im Nachhinein entschuldigt hat, finde ich falsch. Überschrift, Foto und Texte erwecken im Gesamtklang den Eindruck, die generelle Pflicht zur Rettung von Menschenleben sei verhandelbar. Von dieser Darstellung möchte ich mich distanzieren und daraus keinen persönlichen Nutzen ziehen.
Wie aus dem Kuratoriums-Umfeld verlautet, war der Beitrag nicht von der Redaktion der Wochenzeitung, sondern von einem Leser eingereicht worden. Bei der Vorauswahl der Jury setzte sich der Artikel am Ende – wenn auch mit knapper Mehrheit – durch: Das Stück schaffte es in den erlesenen Kreis der Nominierten für den diesjährigen Wolff-Preis.
Die Entscheidung des Gremiums am Dienstag vergangener Woche ließ indes eine Debatte erneut auflodern, die – eigentlich – längst abgeebbt war. Auch bei der Wochenzeitung Die Zeit war das bereits als unrühmliche Episode abgehakte Thema erneut aktuell. Denn die zum Teil höchst emotional geführte Auseinandersetzung darüber, ob es medienethisch legitim ist, die Probleme der Flüchtlingsaufnahme von Schlepperbooten nahe der afrikanischen Küste im Rahmen eines Pro & Contras abzuhandeln, reichte bis in die Zeit-Redaktion und wurde intern kontrovers diskutiert. Aufbereitung und Artikel-Überschrift hatte die Chefredaktion als “klare Fehlentscheidung” bezeichnet und sich hierfür öffentlich bei den Lesern entschuldigt.
Unversöhnliche Auseinandersetzung in der medial-politischen Filterblase
Doch nicht die Blattmacher, sondern Contra-Autorin Mariam Lau war damals ins Kreuzfeuer einer teils ätzenden Kritik geraten, die den Tenor ihrer Argumentation als Zivilisationsbruch geißelte und Lau vorwarf, sie rufe zur Unterlassung von Hilfeleistung auf und nehme so das Ertrinken von Flüchtlingen billigend in Kauf. Die Stimmung in der medial-politischen Filterblase war im Konflikt unversöhnlich und kaum auf den Austausch von Argumenten angelegt.
Zu beklagen haben wir bei alledem noch heute den Stil einer Auseinandersetzung, die mitunter vom festen Willen geprägt gewesen zu sein scheint, den anderen falsch verstanden haben zu wollen.
Monate nach der Veröffentlichung von “Oder soll man es lassen?”
Anfang Juli 2018 zeigt sich (wie auch hier, am 13. April 2019 – nur mal eben zum Beispiel – Fotos: Philipp Rothe „Seebrücke statt Seehofer“: Unterstützer der Seebrücke demonstrieren in der Heidelberger Innenstadt für die Seenotrettung und gegen die Kriminalisierung der Hilfsorganisationen und der Bootsfüchtlinge), dass das Thema an Konfliktpotential keineswegs verloren hat. Der Riss ging nun nicht durch die Redaktion eines Leitmediums, sondern durch die Jury eines Leitmedien-Preises. Dem Vernehmen nach standen sich eine Correctness-Fraktion und Jurymitglieder, die den Mut zu einer heiklen Debatte belohnen wollten, gegenüber. Letztlich wurde das Stück von der Hauptjury unter Vorsitz des Springer-Journalisten Nikolaus Blome mehrheitlich in der Kategorie “Meinung überregional” nominiert und damit per se für preiswürdig befunden.
Ob sich das Pro & Contra der Zeit gegenüber der Konkurrenz durchgesetzt hätte, wird man nun nie erfahren. Denn nach der Veröffentlichung der Preis-Kandidaten erklärte mit Caterina Lobenstein eine der beiden Zeit-Autorinnen, dass sie “für diesen Beitrag nicht nominiert werden möchte”. Eine Vorgabe seitens der Chefredaktion, wie sich die Journalistinnen mit Blick auf die Nominierung verhalten sollten, habe es nicht gegeben, heißt es aus dem Verlagsumfeld. Lobensteins Kollegin Mariam Lau hätte wohl gern die Jury entscheiden lassen. Doch diese stimmte statt dessen darüber ab, ob ein “halber” Beitrag überhaupt final gewertet werden sollte.
Eine Zweidrittel-Mehrheit der Juroren entschied dagegen.
Nach der Streichung von der Liste rumort es in der Jury: „nachgerade ein Indiz …“
Eine Entscheidung, die erneut Diskussionen auslöst. Zum einen sehen einige Juroren Mariam Lau nach der aus ihrer Sicht überzogenen und unfairen Kritik an der Zeit-Autorin im vergangenen Sommer nun erneut gedemütigt, zum anderen sei die Tatsache, dass der Beitrag auch nach so langer Zeit derart polarisiere, doch nachgerade ein Indiz dafür, dass dieser einen Nerv getroffen sowie den Kern einer großen Debatte abgebildet habe. Dass zwei Autorinnen, die beide die Flüchtlingsaufnahme im Mittelmeer von Schiffen aus verfolgt hatten, zu so gegensätzlichen Einschätzungen kamen, sei überdies bemerkenswert und verdeutliche die Relevanz des Stoffes.
Anderswo aber erfreulicherweise noch immer (Kundgebung gerade in Heidelberg), ist nun aber – zumindest offiziell – das Flüchtlingsstück beim Theodor-Wolff-Preis kein Thema mehr. Die nach wie vor unüberbrückbar erscheinenden Gegensätze in der Bewertung des Contra-Standpunktes von Mariam Lau wirken jedoch fort:
Ein Konflikt als Kette von lautstark artikulierten Missverständnissen, die in der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Leitmedien weit mehr beschädigt haben dürften als den Ruf einer in die Kritik geratenen Autorin. Dem unrühmlichen Kapitel wurde nun eine weitere Episode hinzugefügt. Hoffentlich die letzte.