Mächtig scheint die zeitgenössische Kunst vom Glorienschein der (Pop-)Musik angezogen. Diverse Ausstellungen haben sich in den letzten Jahren einmal mehr empathisch, einmal mehr kritisch dem Phänomen genähert. Es tönt und schallt, es surrt und fiepst unter Umständen aus allen Ecken und Enden der zeitgenössischen Kunst. Kuratoren haben ihre liebe Plage mit der immer weiter anschwellenden Soundkulisse. Zumal bei Gruppenschauen kommt sich der Geräuschpegel der filmischen Arbeiten oder klingenden Objekte gegenseitig mitunter so empfindlich in die Quere, dass nur ausstellungsarchitektonisch raffinierte Lösungen Abhilfe vom über die Hallen gleichmäßig ausgebreiteten Klangteppich schaffen können.
Kunsttempel scheinen endgültig ihre sakralen Weihen und damit ihre Stille verloren zu haben. Man nimmt es mittlerweile als selbstverständlich und meist zu Recht auch als mediale Bereicherung hin, dass Sound ein wesentlicher Bestandteil der installativen Kunst geworden ist. Das führt bis zum leibhaftig von Grillen erzeugten Konzert, wie es der schwedische Künstler Henrik Hkansson mit seiner durch Mikrofone verstärkten animalischen Zirpband «Monsters of Rock» zelebrierte. Kaum ein Video, das nicht zur emotionalen oder auch melodramatischen Effektsteigerung mit Musik untermalt wäre. Mehr noch: Musik ist sogar zum Teil puristische Essenz der zeitgenössischen Kunst. Der Turner-Preisträger Martin Creed nutzt den Ton oft radikalminimalistisch als einziges den Raum definierendes Skulpturen-Material und läßt auch schon einmal zum provokativen Thrill das eine oder andere unflätige Geräusch aus den Lautsprechern ertönen. So viel Kakophonie in der Kunst war jedenfalls noch nie wie zurzeit.
Lieber Beat als Art
In den psychedelischen Hochzeiten der Musikkultur spielte die bildende Kunst als zusätzlicher Indikator einer neu herbeigefeierten Lebensideologie nur eine sekundäre Rolle, liefen doch die eher elitären Mechanismen des Zugangs zur Kunst den unhierarchischen Glaubensgrundsätzen der Love-and-Peace-Bewegung zuwider. Man suchte die kollektive Rettung fast ausschliesslich im Beat der Zeit. Es waren jedenfalls massiv jugendbewegte Zeiten, als sich der Rock in den sechziger Jahren zur eigentlichen Avantgarde aufschwang. Die utopistischen Entwürfe der Moderne waren im Grunde schon dabei, zersetzt zu werden, stattdessen machte sich gerade in der Kunstszene eine eher zynische oder – modisch ausgedrückt – coole Haltung breit. Mit dem Pop-Art- Papst Andy Warhol hatte ein Marktstratege medienwirksam die Bühne der Kunst erklommen: «Kunst ist nicht viel mehr als ein Geschäft», verkündete er in durchaus hellseherischer Eingebung. Der geistige, ja transzendente Funke der Kunst, wie ihn etwa Mark Rothko mit seiner kontemplativen Farblichtmalerei pflegte, war längst vom Piktoralen in die Sphären der Musik übergesprungen. Mit der 1969 im Massenauflauf von Woodstock gipfelnden «Counter Culture» schienen sich die mythischen Ideale einer ganz im Erlösungsgedanken der Musik schwelgenden Generation zumindest vorübergehend zu erfüllen.
Rock my Religion
Dan Graham schrieb Mitte der Sechziger noch seine zweifelsohne brillanten Musikkritiken und war auch theoretisch weit von der Idee entfernt, Kunstausstellungsbesucher in das erratische Überwachungssystem seiner mit Videokameras ausgestatteten Spiegelglas-Kabinette zu entsenden. In der Figur des späteren Konzeptkünstlers Dan Graham verkörpert sich letztlich die von zahlreichen Überschneidungen und Reflexen bestimmte Wahlverwandtschaft zwischen der Musik und der Kunst. Mit dem Ende der Hippie-Bewegung und der verebbten Protestreaktion auf Vietnam trat die performativ begabte Punk-Lady Patti Smith auf den Plan. Dan Graham produzierte schließlich 1982/83 sein legendäres Video «Rock my Religion», in dem er die beiden märtyrerhaft angehauchten Priestergestalten Patti Smith und Jim Morrison in ein fast schon melancholisches Gegenlicht setzte. «Rock war dabei, die Skulptur und Malerei und Dichtung zu ersetzen, und wurde dadurch die neue Ausdrucksform schlechthin», behauptete Dan Graham rückblickend in einem Interview.
Die Romantisierung und Heldenverehrung des Rock setzte schon ein Jahrzehnt vor Grahams filmischer Mythenbeschwörung ein und wurde damit peu à peu auch Thema der Kunst. In einer sogenannten «Character Appropriation» gerierte sich der Künstler David Lamelas 1974 in seinem Studio als die lange Haarmähne schüttelnder Rockmusiker; den dafür erforderlichen Bühnen- Glamour des Scheinwerferlichts spendete eine für den Betrachter der Fotoserie nicht kenntliche primitive Glühbirne. Im Rückblick auf die bereits heroischen Jahre des Rock’n’Roll liessen sich bildende Künstler zu wahren Hommagen hinreißen. Es war die Zeit, als Jonas Mekas zum Hoffotografen des nachhaltig von der Fluxusbewegung infizierten Paars Yoko Ono und John Lennon wurde. Allein dieser kurze Ausflug in die mehr als vierzig Jahre währende Liaison zwischen dem Bildnerischen und dem Musikalischen zeigt: Die beiden Künste stahlen sich zwar nicht gegenseitig die Schau, aber mitunter doch ihren Stoff oder Inspirationen.
Marktgerecht standardisiert
Hat man sich in der Vergangenheit auf eine deutliche, wenn auch fruchtbare Konkurrenzsituation eingelassen, so gibt sich heute die bildende Kunst unverblümter denn je von dem Glorienschein angezogen, der über den medial heiss umworbenen Vertretern des Pop und Rock schwebt. Rodney Graham, der selbst gerne auf Plattenalben als melancholisch verlangsamter Folk-/Popsänger dilettiert, scheut sich auch nicht vor dem Kniefall vor ausgesprochenen Musikidolen. Eine musikalisch unterfütterte Slight-Show des kanadischen Künstlers zeigt, wie er traumverlorenen Blicks auf den Spuren des toten Kurt Cobain wandelt: Die Fantour führt durch das sozial heruntergewirtschaftete Seattle, die Heimatstadt Cobains. Auf seinen generalistischen Anspruch ist es zurückzuführen, wenn Graham verschiedene Kunstformen parallel schaltet, etwa in dem von einem Plattenspieler angetriebenen 16-mm-Film «Phonokinetoscope» (2001) Wissenschaftliches, Film und Musik als Flashback auf die psychedelischen Exzesse der Vergangenheit überblendet. Eine konzeptuelle Doppelbegabung wie Stephen Prina aus Los Angeles greift bei seinen gegen den Originalitätsbegriff gerichteten Dekompositionen sowohl auf Werke der Kunst wie der Musik zurück, die als ausgemachte Highlights der Avantgarde gelten. Und auch schon im Adidas-Tainingsanzug ist Prina als Pop-Entertainer bei einer seiner Musikperformances gesichtet worden.
Gesellschaftliche «Werteketten» würden sich seit den Sechzigern über das Beziehungsgeflecht der Musikkultur aufgliedern lassen, glaubt Johannes Fricke-Waldthausen. Der junge, am Pariser Palais de Tokyo und New Yorker P.S.1 geschulte Kurator hat 2005 eine museumsreife Ausstellung zu den Schnittstellen zwischen Kunst und Musik organisiert, die, ausgehend von der Galerie Monika Sprüth Philomene Magers in München, dieses Jahr auch in London Station machte. Über seinen Vater Florian Fricke, der unter anderem die Musik zu Filmen von Werner Herzog wie etwa «Nosferatu» oder «Fitzcarraldo» schrieb, ist Fricke-Waldthausen im Elektronikbereich der Musik quasi sozialisiert worden. Bei der 1. Berlin-Biennale richtete er dann einen sogenannten «Art Club» ein. Fricke-Waldthausen hebt vor allem auf die sich immer weiter annähernden Produktionsbedingungen von Kunst und Musik ab, was natürlich auch auf deren Erscheinungsformen rückwirkt. – Und er hat auch keine Berührungsängste, wenn es darum geht, die Vermarktungsmechanismen und das in Auflösung begriffene Copyright kritisch zu sichten. Nicht zuletzt dadurch geriet seine Schau «Thank you for the Music» zum Überraschungscoup des letzten Ausstellungsjahres. Der Titel ist einem Abba-Song entliehen, bezieht sich aber zugleich auf die Berieselung durch die allgegenwärtige Fahrstuhlmusik auf Mittelfrequenztonbasis, wie sie durch Muzak, eine US-Firma, in den dreissiger Jahren zur Sedierung sowie Animation der Menschenmassen in Supermärkten, Hotels, Flughäfen erfunden wurde. Die Parallele zu unseren aktuellen Kulturerzeugnissen besteht laut Fricke-Waldthausen darin, dass «Originalinhalte marktgerecht standardisiert, komprimiert, neu verpackt und so konsumierbar gemacht werden, damit sich die Menschen wohl fühlen».
Warum aber macht sich der Sound nun auch mehr und mehr in den Ausstellungsräumen breit? Fricke-Waldthausen führt dies auf den von DJs bis direkt in die Museen hineingetragenen Musikhype der Neunziger zurück. «Musik emotionalisiert, da sie wie Farbe auf Frequenz basiert, sie bringt Transzendenz und Magie in den Kunstraum, der vielen Ausstellungsbesuchern oft zu mental, zu schwer vorkommt.» Man hatte also einen Rettungsanker aus dem Dilemma gefunden, dass eine allzu rigide Konzeptkunst jeden Anflug von Sinnenhaftigkeit in der Kunst zu veröden drohte. Noch eine andere Affinität zur Musik scheint mit den veränderten und komplexeren Produktionsformen der (Medien-) Kunst aufzutreten: Ähnlich wie in der Musik ist deren technisch aufwendiger Herstellungsprozess heute an die Partizipation von mehreren – möglichst kongenialen – technisch versierten Kreativen gebunden.
Subtile Spannung
Ein Nebeneffekt, den auch Rirkrit Tiravinija erfahrbar machte, als er 1996 mit «Studio no. 6» eine komplette Tonstudioarchitektur samt Toningenieur in den Ausstellungsraum hievte, um so lokalen Bands eine professionelle Aufnahme ihrer Songs zu ermöglichen. Matthew Barney wiederum hat selbst die Machtposition des Produzenten übernommen, wenn er aus seinen opulenten Videofilmen vertrieblich ein ganzes Paket von Installationen, Objekten, Fotos, Zeichnungen auskoppelt.
Gemäß einer im Neunziger-Jahre-Diskurs verankerten Definition von Nicolas Bourriaud sind wir dank den digitalen Techniken längst in eine Phase der «Postproduction» eingetreten. Das heißt: Über die Wiederaufbereitung vorhandener Bilder und Sounds, über das Mixen als bewußte künstlerische Haltung entkommt der Künstler einer finalen Interpretation beziehungsweise gültigen Endfassung und wird dadurch frei für immer neue experimentelle Arrangements oder Settings. Christopher Marclays Arbeiten kreisen in diesem Sinne einzig und allein um das Sujet der Musik, ob der wie ein DJ tätige Künstler nun in Filmen gefundene Musikszenen remixt, Instrumente zu Skulpturen mutieren läßt oder Collagen aus Plattencovern fertigt. Lange auch als VJ in Techno-Klubs aktiv, schlachtet der Künstler Daniel Pflumm verfügbares Bild- und Soundmaterial nach signethaften Gesichtspunkten aus. Daß er dabei wie ein Programmierer vorgeht, sieht man dem eher industriellen Standard seiner gesampelten Videos an, in denen trotz aller Markenzeichenverwerterei eine subtile Spannung zwischen dem ikonographischen Ursprung und der glatten abstrakten Form aufgebaut wird. – Bei der Reflexion über die Bedingungen der «Postproduction» geht es in einer Zeit, da die Grenze zwischen Originaliät und Piraterie immer durchlässiger wird, natürlich auch um Rechtsansprüche, das Copyright und damit geistiges Eigentum. So zerstückeln Liam Gillick und Philippe Parreno in ihrer digitalen Bild-Sound-Collage «Briannnnnn and Ferryyyyyy» (2004) die Urheberschaft zynischerweise bis knapp an den Rand der Unkenntlichkeit – das Popidol Brian Ferry dient hier nur als nostalgische Maske.
Selbstvergessener Taumel
Nach dem immer antiseptischeren Stakkato des Techno, nach dem Abgesang auf Acid House oder Ambient, nach der langsamen Vertreibung aus den eskapistischen Chill-out-Höhlen der digitalen Musik glauben jetzt nicht nur Musiktheoretiker eine Wiedergeburt des Rock’n’Roll erleben zu dürfen. Dior-Designer Hedi Slimane, der auch britische Rock-Bands wie Franz Ferdinand ausstattet, leistet sich den Luxus, ab und an die Kunstwelt mit seinen Fotografien zur Renaissance des Rock zu beglücken. Er hat vor allem Pete Doherty als schwitzende, von diversen Drogen seelisch und körperlich zerrüttete, damit auch vermeintlich authentische Persönlichkeit der von den Scheintoten wiederauferstandenen Rockszene im Visier. Die grossformatigen Kunstfotografien zeigen einen im selbstvergessenen Auftrittstaumel begriffenen Märtyrer. Da ist sie wieder, die Heldenverehrung des Rock! Bei Thomas Gursky hingegen faltet sich das Fan-Gebaren im Breitwandformat als gleichsam von Geisterhand choreografiertes Ereignis auf: Der fotografische Panoramaausschnitt von einem Konzert der Toten Hosen (2000) zeigt die Deutschrockbegeisterten mit tausendfach zum Gruß an die Band erhobenen Armen. Ein gestisches Ornament, das fatalerweise an die faschistischen Ehrbekundigungen an einen Führer erinnert.
Wollte man all die Ausstellungen aufzählen, die sich zuletzt mit dem nicht nur synästhetischen Aufeinandertreffen von Kunst und Musik beschäftigten, so könnte man eine ganze Seite füllen. Hier seien deshalb nur die wichtigsten genannt: «Sonic Boom» (London, 2000), «Sound Systems» im Salzburger Kunstverein (2003), «While interwoven echoes drip into a hybrid body» im Zürcher Migros-Museum für Gegenwartskunst. Die Frankfurter Schirn Kunsthalle hatte sich bereits mehrfach der Thematik bemächtigt und kam dabei zu Schwerpunkten wie «Frequenzen» (2002), «In Concert» (2005) und «Summer of Love» (2006). Klangforscher Carsten Nicolai, der für das menschliche Ohr gemeinhin nicht wahrnehmbare Töne in visuelle Strukturen übersetzt, erhielt in der Schirn 2005 eine monographische Ausstellung. Und dank der schnittigen Eleganz seiner aus aufgespannten Tonbändern bestehenden Streifenbilder fiel der Berliner Künstler bei den letzten Kunstmessen auf.
Vom Flirt zur festen Beziehung
Was in der zeitgenössischen Kunst mit einem lockeren Flirt begann, ist längst schon zur Gewohnheitsbeziehung mit dennoch immer weiter stimuliertem Reiz geworden: Musikalisches lässt sich als Instrumentarium einer offenbar nach wie vor erlösungsbedürftigen Kunst nicht mehr wegdenken, ob das nun in Reinkultur wie bei Douglas Gordon als trauerndem Velvet-Underground-Interpreten geschieht oder durch eine starke künstlerische Bearbeitung wie bei Mark Leckey gefiltert wird. In «Fiorucci Made Me Hardcore» (1999) sampelte Leckey gefundenes Filmmaterial von den Siebzigern bis Achtzigern und katapultiert uns damit in eine Londoner Nachtklub- Euphorie zurück. Vom musikalischen Groove angetrieben, taucht der Betrachter des Videos unweigerlich mit in die ekstatisch aufgeladenen Tanzhöhlen ab, die sich nicht allein durch die längst abgeschriebenen Modecodes zum schier Phantomhaften verklären.
Manchmal tönt es in der neuen Klangmaschinerie der Kunst im Übrigen am bedeutungsschwersten dort, wo es ganz still ist. Der Minimalist Jonathan Monk hat einen «Silent Tornado» als Erinnerung an den 2003 verstorbenen Künstler Jack Goldstein aufgenommen: Der 16-mm-Stummfilm zeigt nichts als einen unaufhörlich sich drehenden Plattenteller. Goldstein hatte bereits in den achtziger Jahren anhand mehrerer Medien wie auch der Schallplatte ein spekulatives Kulturmodell zu Science-Fiction, Weltraumtechnologie und Sphärenklängen aufgestellt. Erst allmählich erfährt sein Werk eine seiner audiovisuellen Zukunftsmusik wieder angemessene Würdigung. tno