Trauer um die Opfer von Christchurch – in Neuseeland hatte sich ein 18-Jähriger vor Gericht zu verantworten, weil er den Livestream des Attentäters verbreitet hatte. Doch er ist nur einer von Millionen.

Nach dem Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch ist in der deutschen Medienbranche eine Debatte entstanden, wie viel die Berichterstattung zeigen darf – und soll. Ihren Ursprung nahm sie durch die Entscheidung der Bild, Szenen des Videos zu zeigen, das der Attentäter live online stellte. Beim Presserat sind mittlerweile 35 Beschwerden gegen die Bild eingegangen. “Die Bilder, die nach dem Anschlag in Christchurch um die Welt gingen, gehörten zum Kalkül des Täters. Journalisten dürfen sich nicht zum Werkzeug machen lassen – über die Tat informieren müssen sie trotzdem”, schreibt ein SZ-Autor in einem Kommentar zum Anschlag in Christchurch. Dem Attentäter sei “eher weniger wichtig” gewesen, wie viele Menschen er tötet. “Wichtiger war ihm, wie viele Menschen das sehen würden.”

 

Der genaue Blick solle sich nicht “auf die actionfilmhafte Inszenierung” richten, “nicht auf die perverse Ästhetik etwa des Tatvideos, das nun die Bild-Zeitung aufgegriffen und reproduziert hat”. Er fragt: “Der Sog der Egoshooter-Perspektive ist hoch, die Erniedrigung der Opfer jetzt millionenfach, wo bleibt der Erkenntniswert dieser Bilder, der dies rechtfertigen könnte?”

Wie sollte eine Berichterstattung aussehen?

Unter deutschen Journalisten ist eine medienethische Diskussion entbrannt, nachdem die Bild eine kommentierte Fassung einzelner Sequenzen aus dem Video des Täters veröffentlicht hatte. Die neuseeländische Polizei warnte bereits am Freitag kurz nach der Tat davor, das Material zu verbreiten. Bild-Chef Julian Reichelt begründete das Vorgehen in einem Kommentar und musste sich in den sozialen Medien starker Kritik aussetzen. “Durch Journalismus wird aus einem Ego-Shooter-Video ein Dokument, das Hass demaskiert und aufzeigt, was der Terrorist von Christchurch ist: kein Kämpfer, kein Soldat”, argumentierte er. Man dürfe das Video nicht den sozialen Netzwerken überlassen.

Dem widerspricht der Vorsitzende des DJV Frank Überall ausdrücklich, in einer Stellungnahme von Montag teilte er mit: “Journalismus hat die Aufgabe, aufzuklären, Informationen einzuordnen, sie zu recherchieren, Hintergrund zu liefern. Welchen Erkenntnisgewinn haben Mediennutzer davon, durch die Perspektive der Body Cam des Attentäters einen Teil des grauenhaften Geschehens zu sehen?” Für ihn stehe es außer Frage, dass “journalistische Medien nicht das Video des Attentäters zeigen dürfen, auch nicht in längeren Ausschnitten“.

Während Facebook millionenfach das Video löscht, zeigen “hierzulande einzelne Boulevardmedien Teile des Films auf ihren Digitalseiten”. Wenn sich jetzt Bürger beim Deutschen Presserat beschwerten, sei das die logische Konsequenz, so Überall.

Beschwerden beim Presserat

Auf Anfrage von MEEDIA erklärt der Presserat, dass von den Beschwerden zum Video bislang nur die Bild betroffen sei. “Uns liegen derzeit 35 Beschwerden zur Veröffentlichung der Video-Sequenzen auf Bild.de bzw. auf dem Facebook-Auftritt von Bild vor”, so Referentin Sonja Volkmann-Schluck. Eine weitere Person habe zudem die abgedruckten Bildausschnitte aus dem Video in der Print-Ausgabe des Boulevardblattes kritisiert.

Entscheidend für die Prüfung des Videos, erläutert Volkmann-Schluck, sei Ziffer 11 des Pressekodex und dabei vor allem die Richtlinien 11.2 und 11.5. “Hier muss eine Abwägung stattfinden, ob ein öffentliches Interesse an dieser Form der Berichterstattung vorlag oder nicht.”

Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sprach im Interview mit dem Deutschlandfunk über die Verbreitung und er nannte diese “grotesk”. Der Täter plane das mediale Echo in seine Tat ein und habe darauf gesetzt, dass Menschen – und eben auch journalistische Medien – das Video verbreiten. Berichterstattungen wie bei der Bild gleichen einer “Attentatspornografie” mit der Gefahr, “dass wir nun nicht mehr über die entsetzlichen Taten nachdächten und unser Mitgefühl artikulierten”, so der Forscher.

Bewusste Entscheidung gegen die Bilder

Auch andere Redaktionen haben Stellung bezogen: Spiegel Online (SpOn) hat beispielsweise auf eine Veröffentlichung verzichtet und in einem Kommentar  dazu begründet, nicht als Komplize des Attentäters dastehen zu wollen.

SpOn-Kolumnist Sascha Lobo hat in einem anderen Text weitere Punkte angesprochen, beispielsweise wie mit dem Manifest des Mannes umzugehen sei. Er warnt davor, daraus voreilige Schlüsse zu ziehen und nimmt Bezug auf Kevin Roose, der für die New York Times schreibt. Der Tech-Journalist twitterte: “Ich fühle mich nicht 100 Prozent sicher, was echt ist und was nur Trollerei, Zurschaustellung, Medienköder ist. Bitte seid vorsichtig.”

Lobo schreibt: “Nach dem Attentat entscheidet sich, ob Medien und Gesellschaft einen ‘Erfolg’ im Sinne des Täters zulassen. Die Reaktionen und Nicht-Reaktionen auf den Terrorakt sind dafür entscheidend, und dabei gibt es richtige, neutrale und falsche Umgangsweisen.” Unter eine “monströse Umgangsweise” listet er  die Berliner BZ auf, die inklusive Selfie des Täters und Foto seines Sturmgewehrs titelte: “Er tötete Unschuldige als Rache für den Terror am Breitscheidplatz”. Laut Lobo erfülle die Zeitung damit “die PR-Strategie des Terroristen”.

Gegen diese Überschrift der BZ und deren Online-Auftritt erreichten den Presserat bislang vier Beschwerden. “Hier sahen die Beschwerdeführer die Gefahr, die Schlagzeile könne bei islamfeindlichen Personen Zustimmung finden bzw. zur Nachahmung veranlassen”, erläutert Referentin Volkmann-Schluck. Derzeit prüfe der Presserat die Beschwerden und entscheide dann, ob ein Verfahren gegen die BZ eingeleitet wird.

März 2019 | Allgemein | Kommentieren