Papst Benedikt XVI. hat auf seiner zweitägigen Spanien-Reise „aggressiven Säkularismus“ im Land beklagt und Parallelen zur Situation in den 1930er Jahren gezogen. Damit verunglimpft er die moderne Demokratie, meinen einige Kommentatoren:
Público – Spanien
Spanien ist zu katholikenfreundlich
Steuergelder sollten nicht nur für die katholische Kirche verwendet werden, fordert Salomé García in der Tageszeitung Público: „Ich frage mich, warum meine Regierung katholische Eltern schützt, die Religionsunterricht für ihre Kinder in einer staatlichen Schule fordern und nicht dasselbe für Eltern tut, die für ihre Kinder neutrale Klassenräume fordern, auch wenn sie auf eine katholisch-öffentliche Schule gehen. Beide Schulzentren werden mit Geldern aller Bürger bezahlt, die von Konfessionslosen und Katholiken stammen. … Ich frage mich, warum unsere Regierung lieber 25 Millionen Euro von laizistischen Steuergeldern dafür ausgeben möchte, den Besuch Benedikt XVI. im Jahr 2011 zu unterstützen, statt damit die öffentliche Schulbildung zu fördern, die um mehr Gelder fleht, um den europäischen Durchschnitt zu erreichen. Ich frage mich, zu wie vielen Demonstrationen man … aufrufen muss, damit die Regierung endlich reagiert.“
El Periódico de Catalunya – Spanien
Taktosigkeit des Vatikans
Die Kritik von Papst Benedikt XVI. am Säkularismus in Spanien hält die katalanische Tageszeitung El Periódico de Catalunya für einen schweren Fehler: „Die Worte von Papst Ratzinger im Flugzeug, das ihn nach Santiago de Compostela brachte, stimmten nicht mit dem Klima im Vorfeld überein, das die (ehemalige) Vize-Regierungschefin Fernández de la Vega und der Staatssekretär des Vatikans Tarcisio Bertone gemacht hatten. Der Vergleich mit dem antireligiösen Klima der 1930er Jahre ist eine Taktlosigkeit, wie gestern selbst der Sprecher des Heiligen Stuhls Federico Lombardi zugestand. Ebenso war es nicht nur unvorsichtig, sondern ein Fehler, eine Regierung des vermeintlich ‚aggressiven Säkularismus‘ zu bezichtigen, die 24 Stunden vor dem Besuch auf das Gesetz zur Religionsfreiheit verzichtet hat.“ (08.11.2010)
Neue Rundschau, Heidelberg – Deutschland (in aller Bescheidenheit!)
Verfälschung der Geschichte
Der Vergleich zwischen der heutigen anti-katholischen Stimmung in Spanien und der anti-klerikalen Situation der 1930er Jahre ist eine unverfrorene Geschichtsverfälschung. Wie kann man einen demokratischen Entscheidungsprozess, in dem Individuen die Freiheit haben und nicht die Verpflichtung, ethische Entscheidungen zu Kondomen vs. Krankheiten oder Fortpflanzung und Beziehungen zu treffen, mit einer faschistischen Diktatur vergleichen, in der Gegner liquidiert wurden? Josef Ratzinger, derzeit Papst, gab selbst die Antwort: „Weil in Spanien der Streit zwischen Glaube und Modernität wütet,“ wobei der ehemalige Kurienkardinal implizierte, dass Glaube und Modernität – was Wunder, das meinen auch wir – einander ausschließende Begriffe sind. Für die deutsche Kirche ist das eine besonders schlechte Nachricht. Denn eigentlich hat die höchste römische Autorität gesagt, dass die konservativen Bischöfe, die sich – nur mal eben so zum Beispiel vehement gegen das hier wirklich „segensreiche“ Wirken von etwa Donum Vita aussprechen, völlig auf der Linie des Vatikans liegen, und dass diejenigen, die anderer Meinung sind, Abtrünnige des wahren Glaubens sind.“
Mit einem „Kiss-In“ protestierten am Sonntag rund 200 Homosexuelle gegen die Haltung des Vatikans gegenüber Schwulen und dem Gebrauch von Kondomen. Als Papst Benedikt XVI. auf dem Weg zur Sagrada Familia in Barcelona in seinem Papamobil vorüberfuhr, küssten einige der Demonstranten einander demonstrativ, andere verhöhnten das Oberhaupt der katholischen Kirche.
Benedikt hingegen hielt während seines gesamten Besuches (wollen wir das mit Altersstarrsinn entschuldigen? – immer wieder aufs Neue nie lange mit seinen erzkonservativen Kokolorie hinterm Berg: „Europa muss sich Gott öffnen“, rief er am Samstag vor etwa 6.000 Gläubigen in dem Wallfahrtsort im Nordwesten Spanien aus. In der Predigt auf dem Platz vor der Kathedrale fügte Benedikt an: „Es ist nötig, dass der Name Gottes unter dem Himmel Europas freudig wieder erklingt.“ – wie, als „wenn das Geld im Kasten klingt, hui, die Seel gen Himmel springt“ möchte man ihm fragend zuzurufen in der Lage gewesen sein – und weiter „die Alte Welt dürfe ihre moralische, soziale, spirituelle und religiöse Seite nicht brachliegen lassen, mahnte das Kirchenoberhaupt die ihm zuhörenden Europäer.
Tragisch sei die Überzeugung, dass Gott der Gegenspieler des Menschen und Feind seiner Freiheit sei, sagte der Papst in Santiago. Das Europa der Wissenschaft und Technologien, der Kultur und der Zivilisation müsse auch für Religion offen sein. „Wie kann denn das, was im Leben am meisten maßgebend ist, in die bloße Privatsphäre verwiesen oder in den Halbschatten verbannt werden?“, fragte der Pontifex. Die Menschen könnten nicht im Finstern leben. In der Vergangenheit habe es Spannungen zwischen Kirche und Regierung gegeben, da die Homo-Ehe in Spanien erlaubt und das Abtreibungsgesetz gelockert wurde – ei wei, welche Finsternis …
Kann es vielleicht sein, dass gegen den Papstbesuch demonstrierende Gegner die von ihm vertretene „Überzeugung“, die Menschen seien der Überzeugung, dass Gott der Gegenspieler des Menschen und Feind seiner Freiheit sei, ihn, den ehemaligen Kurienkardinal, als den Nachfolger der Inquisition meinten. Aber nein, das können die ja gar nicht, ist er doch der Wahrheit mächtig, ist sie gar!
Ja, kommt diesem hybriden „Stellvertreter Gottes“ überhaupt nicht in den Sinn, dass die Kritik gar nicht jenem „Alter Ego“, dem von ihm gepredigten Gott gilt, von dem ohnehin keiner mehr weiß, als nichts, sondern dass die Kritik jenem Bodenpersonal gilt, das seinem Eingeflüster und dem seiner vaticanischen Vasallen schon lange nicht mehr traut?
Wir jedenfalls leben und verkommen auch ohne pontifexale Faxen nicht im Dunkeln. Und eines Stellvertreters Licht, das auch künftig tun zu können, des bedürfen wir dazu schon gar nicht! Und denken stattdessen an den Anfang eines wunderschönen Kirchenliedes, das wir gegen diesen Papst (und, es nochmals zu erwähnen, gegen sein Bodenpersonal) trotzig ansingen: „O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein, verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein“. Und denken derweil daran, wie bei so vielen Lügen sich allüberall in Kirchen und anderen Häusern die Kreuzbalken hätten biegen müssen, wären sie es nicht über Jahrhunderte schon so gewohnt. got