Die Nachfahren jüdischer Sammler fordern Kunstwerke zurück – Interview mit Julius H. Schoeps
Julius Schoeps, wie beurteilen Sie die gegenwärtige Debatte um die Rückgabeansprüche?
Ich finde es erschreckend, dass die Museumsdirektoren sich weigern, Rückgabeansprüchen stattzugeben. In der öffentlichen Debatte wird hin und herüberlegt, wie mit diesen Restitutionsansprüchen umzugehen ist. Mich irritiert, dass Museumsdirektoren, Politiker und Rechtsanwälte beim Bundesminister für Kultur zu Gesprächen eingeladen werden, nicht aber die Opferverbände – zum Beispiel die Jewish Claims Conference. Erst nach heftigen Protesten erklärte man sich bereit, weitere Gespräche anzusetzen.
Die Rückforderungen sind nicht unumstritten. Was halten Sie dagegen?
Grundsätzlich bin ich der Auffassung, daß die Bundesrepublik, die der Washingtoner Erklärung von 1998 beigetreten ist, verpflichtet ist, Kunstgegenstände, die zwischen 1933 und 1945 unrechtmäßig den Besitzer gewechselt haben, zu restituieren. Widerstände dagegen kann ich einerseits verstehen, weil ich selber einmal Museumsdirektor war. Wer trennt sich schon gern von seinen Schätzen? Andererseits: Wenn ein Museum ungeklärten Besitz im Depot oder an den Wänden hängen hat, sollten die Verantwortlichen klären, wie die Bilder ins Haus kamen uns wie sie den Erben zurückgegeben werden können.
Von den Rückforderungen dürften ziemlich viele Kunstwerke betroffen sein…
Das ist ohne Zweifel so. Es betrifft aber nicht nur Deutschland, sondern auch eine Reihe anderer europäischer Länder – sogar Israel und die USA sind betroffen. In den USA hält man sich allerdings an die Washingtoner Erklärung. Ich wundere mich über die heftigen Reaktionen in Deutschland. Schließlich gilt der alte Satz: Pacta servanda sunt, geschlossene Verträge müssen eingehalten werden. Nicht zu akzeptieren sind Vorschläge, zu restituierende Kunstwerke mit einem Exportsverbot zu belegen. Das halte ich nicht nur für rechtswidrig, sondern auch moralisch bedenklich. Sollen nun im Nachhinein die jüdischen Erben zum zweiten Mal „arisiert“ werden?
Rückgaben können dazu führen, daß die betroffenen Kunstwerke nicht mehr öffentlich zu sehen sind.
Das ist doch nicht so: Das kürzlich bei Christie`s versteigerte Kirchner-Bild etwa wird künftig in Ronald Lauders New Gallery in der Fifth Avenue an der Wand hängen. Im Berliner Brücke-Museum waren es vielleicht 1.000 Besucher wöchentlich, in New York werden es 10.000 Besucher sein, die das sehen werden. Mir ist es letztlich gleichgültig, wo ein Bild zu sehen ist. Hauptsache man kann es sehen…
Hätte der moralische Druck nicht früher kommen müssen?
Dass ihre Vorfahren Bilder besessen haben, wissen die Erben häufig nicht. Früher ist die „Lebensgeschichte“ eines Bildes bei dessen Ankauf meist nicht geprüft worden. Die Provenienzforschung muss deshalb verstärkt werden. Die Museen sind gehalten, Auskunft darüber zu geben, was sich an ungeklärtem Besitz in ihren Depots befindet. Die Angaben müssten veröffentlich werden, am besten im Netz. Dann könnte man nach einer angemessen Frist darüber nachdenken, wie weiter zu verfahren ist. Ich befürchte allerdings, dass Bilder mit ungeklärter Provenienz nicht in den Museen bleiben können. Die Claims Conference oder andere Organisationen werden, wenn sich keine Erben melden, Ansprüche stellen.
Das MMZ plant im April nächsten Jahres eine internationale Konferenz zum Thema „Raubkunst und Restitution“. Was soll dort geschehen?
Das Zentrum plant in der Tat für 2007 eine internationale Konferenz in Potsdam. Dort sollen nicht nur Rechtsfragen diskutiert, Einzelfälle vorgestellt und unterschiedliche Diskussionen diskutiert, sondern auch Empfehlungen erarbeitet werden, wie künftig mit der Thematik umgegangen werden soll.
Ihre Erbengemeinschaft erhebt Anspruch auf ein Gemälde von Picasso. Ist das der Grund, warum sie die Versteigerung bei Christie`s stoppen ließen?
Bitte haben Sie Verständnis: Zu laufenden Rechtsverfahren äußere ich mich nicht.
Julius H. Schoeps ist Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums und Sprecher einer Erbengemeinschaft des Berliner Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy. Diese fordert auch das Picasso-Gemälde „Angel Fernandez de Soto“ zurück.
Julius Schoeps ist 1942 in Djursholm/Schweden geboren. Der Sohn des Religionsphilosophen und Historikers Hans-Joachim Schoeps ist Professor für Neuere Geschichte (mit dem Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte) und Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam. Er hatte Gastprofessuren in Budapest, Tel Aviv, New York, Oxford und Seattle inne und ist Vorsitzender der 1958 von seinem Vater Prof. Dr. Hans-Joachim Schoeps in Erlangen gegründeten Gesellschaft für Geistesgeschichte (GGG), die heute ihren Sitz in Potsdam hat.
Von 1993 bis 1997 war Schoeps Gründungsdirektor des Jüdischen Museums der Stadt Wien.
Schoeps, zu dessen Ahnen Moses Mendelssohn zählt, Enkel des Kgl. preuß. Sanitätsoffiziers Dr. Julius Schoeps (1864-1942) und Sohn des Religionsphilosophen und Historikers Hans-Joachim Schoeps (1909-1980), kam während des Exils seiner Eltern in Schweden zu Welt. Dort wurde auch sein jüngerer Bruder Manfred (*1944) geboren. 1948 siedelten die Eltern sich wieder in Deutschland an.
1963 legte er sein Abitur ab und begann ein Studium der Geschichte, Politikwissenschaft, Kommunikations- und Theaterwissenschaft in Erlangen und an der Freien Universität Berlin. 1969 promovierte er, 1973 habilitierte er sich.
Von 1974 bis 1991 war er Professor für Politische Wissenschaft und Gründungsdirektor des Salomon-Ludwig-Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität/Gesamthochschule Duisburg.
Seit 1991 ist er Professor für Neuere Geschichte (mit dem Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte) und Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam. Schoeps hatte Gastprofessuren in Budapest, Tel Aviv, New York, Oxford und Seattle inne.
Schoeps ist Vorsitzender der 1958 von seinem Vater Prof. Dr. Hans-Joachim Schoeps in Erlangen gegründeten Gesellschaft für Geistesgeschichte (GGG), die heute ihren Sitz in Potsdam hat.
Von 1993 bis 1997 war Schoeps Gründungsdirektor des Jüdischen Museums der Stadt Wien.