SelmaSelmas Leben war kurz. 18 Jahre lang hat sie gelebt. Sie starb am 16. Dezember 1942 im deutschen Arbeitslager Michailowska. Was übrig geblieben und auf abenteuerliche Weise gerettet worden ist, sind 57 Gedichte.

Spurensicherung in Czernowitz, einer Stadt im Osten, weit entfernt von Deutschland. Dort lebte ein jüdisches Mädchen, das Gedichte über eine Liebe schrieb, mehr Traum als Wirklichkeit. Es war die erste Liebe, zu einem jungen Mann und zu einer Sprache, die nicht ihre Muttersprache Rumänisch war. Die Sprache, die sie liebte, war Deutsch.

Selma liebte Blumen und die Natur. Sie liebte Rilke, Heine und Tagore. Sie liebte den Sommer, und im Sommer schrieb sie über den Herbst. Oft stand sie lange an einen Baumstamm gelehnt, den Blick in die Ferne gerichtet, abwesend hier und anwesend dort, wo Träume geboren wurden. Selma wusste, dass die Stadt, in der ihre Träume hätten Wirklichkeit werden können, „nun ganz fern ist, wie ein Bild aus einem alten Märchen.“ In ihrem Gedicht „Rote Nelken“ sagt sie es beinahe entschuldigend, so, als ob sie sich damit abgefunden hätte, daß es ihr nicht mehr zustünde, diese Sehnsucht, dieser Wunsch nach Lachen und Glücklich sein:

„So hör, ich hab’ für dich gelacht.“

Und doch beendet sie einen Brief an ihre Freundin Renée Abramovici, den letzten, den sie in ihrem Leben schreiben wird, mit den Worten:
„Küsse. Chasak – Selma.“
Chasak ist Hebräisch und heißt: „Sei stark.“

Renée Abramovici gelang die Flucht. Zu Fuß, mit dem Pferdewagen, auf Dächern von Personenzügen schlug sie sich quer durch Europa; durch Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei, durch Österreich und Deutschland, nach Paris. 1948 erreichte sie auf dem Schiffsweg Israel, in ihrem Rucksack trug sie Selmas handgeschriebenen Gedichtband „Blütenlese“.

selmajpg.jpg„Mit Selmas Gedichten habe ich die Heimat herumgetragen und hierher gebracht“.

„Und hast du auch noch tausend Sterne in der Hand – sie kann noch zehnmal tausend tragen“, schreibt sie in einem ihrer Gedichte. Sie sprechen von ihrer Liebe und von der Ahnung, dass sie sich nicht erfüllen wird.

Die deutsche Lyrikerin Hilde Domin über Selma: „Ihre Begabung steht sicher auf einer Stufe mit dem jungen Hofmannsthal. Trotz des Sonderschicksals ist dies ein Werk, das deutlich ins Gut der deutschen Poesie gehört, nicht der spezifisch jüdischen. Es ist eine Lyrik, die man weinend vor Aufregung liest: so rein, so schön, so hell und so bedroht“.

Anläßlich der Musik-CD des World Quintets veröffentlichte der Hoffmann&Campe Verlag im Herbst 2005 eine gebundene Jubiläumsausgabe des Gedichtbandes „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“ sowie das Hörbuch mit Gedichtrezitationen, gesprochen von Iris Berben. tno

Jan. 2007 | Allgemein | Kommentieren