BBC – das steht für seriösen Journalismus: Die Angebote des britischen Medienhauses erreichen wöchentlich mehrere hunderte Millionen Menschen weltweit. Jim Egan ist CEO von BBC Global News: Warum – wurde er gefragt – Redaktionen mehr tun müssen, als zwei Seiten einer Medaille abzubilden und zudem, welche Parallelen seiner Meinung nach zum deutschen Medienmarkt bestehen.
“In England gibt es solche Begriffe wie das US-amerikanische, negative ‘Mainstream-Media” oder das deutsche ‘Lügenpresse’ nicht, weil wir derartige Debatten bei uns nicht haben”, erläutert Jim Egan.
Zumindest seien sie nicht so erhitzt, wie sie vor allem in Deutschland aktuell sind”, schränkt er ein. Zum Zeitpunkt des Gesprächs, das Mitte September während der Digitalmesse Dmexco in Köln stattgefunden hat, diskutiert Deutschland die Folgen von Chemnitz und Köthen sowie die umstrittenen Aussagen von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen gegenüber der Bild, die mittlerweile zu seiner besser dotierten Versetzung auf den Posten des Staatssekretärs geführt haben.
Egan ist als Chef von Global News verantwortlich für BBC.com und BBC World News. Der TV-Sender ist dabei allein in über 200 Ländern zu empfangen und erreicht laut Unternehmensangaben 454 Millionen Haushalte weltweit. 114,5 Millionen Menschen nutzen wöchentlich die Angebote von Global News. Die Reichweite des Senders, das belegen diese Zahlen, ist im englischsprachigen Raum enorm. In den vergangenen Jahren scheint die allgemeine Deutungshoheit und das Vertrauen etablierter Medien jedoch vermehrt zu sinken. Die Ursachen sind vielfältig, sagt Egan. Dass Bürger teils derart großes Misstrauen gegenüber Medien zeigen, liege an den Veränderungen in der Gesellschaft und Wirtschaft, aber hänge ebenso mit den Entwicklungen im Journalismus zusammen, glaubt der 49-Jährige. “Unsere Reaktion sollte sich darauf konzentrieren, auf echte Nachrichten zu setzen statt sich zu sehr darüber zu sorgen, was wir ändern müssen”, sagt er im Pressezentrum der Koelnmesse. Gleichwohl, so etwas wie der “He-said-she-said”-Journalismus – bei aller Daseinsberechtigung –helfe den Nutzern kaum. “Bei uns gibt es derzeit eine große Debatte über ‘false balance’”, so der Chef des britischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. “Klar, wir müssen unparteiisch bleiben, aber wir müssen ebenso in die Tiefe gehen und den Leuten mehr bei der Entscheidung helfen, wie sie gewisse Dinge betrachten können.”
Rolle der Verlagshäuser bei der Medienkompetenz
Er habe beobachtet, dass Menschen in den sozialen Medien merkwürdigerweise nicht allzu kompetent auftreten, wenn es um öffentliche Informationen geht. Merkwürdig sei es eben deshalb, “weil sie extrem kompetent sind, wenn es um das Teilen von Inhalten mit der Familie oder mit Freunden geht.” Seine Kinder zum Beispiel könnten in einem Feed schnell einschätzen, wie eine Person etwas gemeint habe. Die Forschung, so Egan, bestätigt ihn. “Wenn es um Informationen von Medien und anderen Organisationen geht, sind einzelne Personen nicht sonderlich gut darin zwischen richtig und falsch zu unterscheiden.” Dass die Nachrichtenorganisationen bei der Verbesserung der Medienkompetenz eine Rolle spielen, sei selbstverständlich, er stellt aber auch klar, wie die BBC dazu steht: “Wir fassen es nicht als unsere Aufgabe auf, die Medienkompetenz der Bürger in Ordnung zu bringen.”
Dabei unternimmt das britische Medienhaus einiges, um verschiedene Altersgruppen an Nachrichten heranzuführen. Neben dem Reality-Check, der vergleichbar ist mit deutschen Formaten wie dem Faktenfinder von der Tagesschau oder EchtJetzt von Correctiv, gibt es den sogenannten “School Report”, bei dem Schüler die Chance haben die Redaktionsräume der BBC zu besuchen. Dort produzieren sie dann selbst Nachrichten und sehen, wie Journalisten arbeiten. Hinzu kommen Medienkompetenz-Konferenzen, die mittlerweile auch fernab der Insel zum Beispiel in Indien und Kenia stattfinden.
Die sozialen Medien sind ein weiteres großes Thema, das Jim Egan umtreibt. Dass große Unternehmen wie Facebook, Twitter & Co. mehr und mehr reguliert werden, sei konsequent. “Es ist unausweichlich, dass es eine Art der Regulierung geben wird”, sagt er und fügt an: “Die Netzwerke regulieren sich ja bereits selbst.” Dazu gehören die AGBs, Moderation und ebenso Richtlinien für die Kategorisierung von Beiträgen. Dabei hätten selbst die Erfinder die Macht der sozialen Medien unterschätzt, glaubt Egan, und nun realisieren sie, dass Regulierung ein Teil ihrer zukünftigen Strategien sein müsse. Aber reicht Selbstregulation aus, wenn es um Probleme geht, in deren Zuge bereits Wahlen beeinflusst wurden? Nein, sicherlich nicht.
Trotz aller Kritik an den sozialen Netzwerken arbeitet die BBC eng mit den Digitalkonzernen zusammen. Im Zuge der von Facebook-Chef Mark Zuckerberg ausgerufenen “Qualitätsoffensive” für den Video-on-Demand-Dienst Watch produziert das englische Medienhaus künftig die wöchentliche Nachrichtensendung “Cut Through the Noise”, die noch in diesem Jahr starten wird. Die BBC ist damit neben medialen US-Flaggschiffen wie ABC, Fox News und CNN der erste nicht-amerikanische Medienanbieter auf der Plattform. Für die Engländer ist die Kooperation ein logischer Schritt in der Erhöhung der Reichweite: 2017 soll die digitale Präsenz der Angebote auf den sozialen Plattformen innerhalb der Staaten stark gestiegen sein und zudem komme das neue Format den Nutzungsgewohnheiten entgegen, glaubt Egan, da Facebook für viele US-Bürger eine wichtige Nachrichtenquelle sei.
Ein Versuch, mehr positive Aspekte aufzuzeigen
Ein Kritikpunkt, der von Bürgern immer mal wieder angebracht wird, ist, Medien würden zu negativ berichten. Täglich zeigten Journalisten nur Krisen, Kriege und Katastrophen. Egan kennt die Einwände nur zu gut. Im Englischen gibt es das Sprichwort: “If it bleeds, it leads.” Auf seine Weise stimme es auch weiterhin. “Zwangsläufig ist es so, dass Journalismus dazu neigt, über sehr schwierige und erschütternde Ereignisse in der Welt zu berichten.” Dennoch versuche auch die BBC den Interessen der Nutzer gerecht zu werden und mehr positive Geschichten zu erzählen. “Solutions focused journalism” nennt Egan das. Ähnlich wie der recht bekannte Konstruktive Journalismus geht es im Kern darum, trotz negativer Ereignisse einen Lösungsvorschlag für ein Problem aufzuzeigen.
Bei der BBC gibt es in diesem Jahr beispielsweise eine Reihe mit dem Namen “Crossing divides”, in der Menschen aus verschiedenen Ländern, mit unterschiedlichen Glauben und aus verschiedenen sozialen Schichten “tatsächlich zusammen kommen”. Eine Idee, die sich in vergleichbarer Form hierzulande finden lässt: Die ZEIT hat im vorigen Jahr die Aktion “Deutschland spricht” initiiert, heute, am 23. September geht das Projekt in Kooperation mit vielen weiteren Medien in die zweite Runde. Dabei treffen viele tausend Diskussionspaare unterschiedlichen Hintergrunds aufeinander. Auch das BBC-Projekt zielt darauf ab. “Es soll Verbindungen zwischen Menschen herstellen, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben”, meint Egan.
Neue Lösung soll Lieferketten nachhaltig optimieren
In unserer digitalen Welt, in der Roboter autonome Fahrzeuge fertigen, die durch „smarte“ Häfen in ferne Länder verschifft werden, hat die Datenanalyse als Erfolgsindikator moderner Lieferketten ein neues Level erreicht.
Gleichwohl, hält der Brite fest, müsse jeder realistisch bleiben. Dieser Aspekt könne ein wichtiger Teil der Arbeit sein. Der Kern des Journalismus werde sich deshalb nicht grundlegend ändern.