Wir nehmen wie immer mal und alle Jahre wieder die Sommerferien und die Urlaubszeit zum Anlass „in vino veritas“ dies und einiges mehr zu falsifizieren und zu verifizieren, beschäftigen doch schließlich wir Deutschen uns in seltener Eintracht während der Sommermonate vermehrt nicht nur mit sowohl den anderen Deutschen, als aber auch mit den Ausländern – mit denen des Auslands nämlich, die hier „reinwollen“.
Mit Letzterem lassen wir für diesmal sich aber unsere bayrischen Mitbürger Seehofer und Konsorten unerfreulich-widerwärtig wie gewohnt gebärden; warten wirs ab, wer von diesem Geschmeiß möglicherweise aus dem Sommerloch nicht – wie gerne würden wir ihnen dabei helfen – mehr herauskommt. Bleiben aber wir für diesmal in einer jener Gegenden, wo wir als Nicht-Ausländer, noch mit der Natur und dem Klima im Einklang zu leben in der Lage sind.
Wir (Miesmacher, schwätzt mir nicht von Grundsicherung oder Hartz IV), deutschen Bürger im Lande der hochkarätigen Erben und der Besserverdiener, wir lieben das Reisen. Nur die Amerikaner geben im internationalen Vergleich mehr dafür aus. Prognosen wissen, dass “der” Deutsche eher am Neukauf des Autos spart, denn an der Urlaubsreise. Der Deutsche! Aber: Der Heidelberger? Den letzten Stammtisch haben wir in unserem Altstadthinterhof abgehalten. Und, wie wir es auch immer wenden mochten, haben wir keinen vernünftigen Grund für sinnloses Herumstreifen in der Welt gefunden. Komme uns keiner mit “Erholung” und “das sind doch die schönsten Wochen des Jahres”!
Verölte Strände – welch ein Genuß
Langes Warten auf Charter oder Last minute – Flieger, unerwartete Zwischenlandungen, unfreundliche Kellner, hingeschluderte Pizzen, abgewrackt-laute Hotelzimmer, verölte Strände – bitte, wer soll daran noch einnen Genuß finden?
Wir bleiben in Heidelberg und freuen uns auf die Wochen, da sich unsere Heidelberger Mitbürger und Innen rund ums Mittelmeer, immer nahe am Nervenzusammenbruch, “vergnügen”. Derweil die gehetzt und erschöpft von einem Museum zum anderen eilen, von einem Geheimtip zum nächsten, verweilen wir im Thermalbad (Wasserqualität gut). Da lassen wir nach dem Schwimmen auf gepflegtem Rasen gelassen Reiseführer und opulente Bildbände von wunderschönen Plätzen dieser Erde herumgehen. Und wissen genau, dass der Fotograf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stundenlang jenen seltenen Augenblick abwarten mußte, da sich auf dem Bild nicht Scharen von Touristen tummeln würden mit diesem ihnen dümmlich ins Gesicht geschriebenen Ahh und Ohh – ach diese Säule, oh, dieser Sonnenunter- (seltener: Auf-) gang. Und dergleichen mehr.
Nebel gegenüber der Altstadt. Später dann: “Die güldne Sonne” – auf der Neckarwiese
Noch lange nicht zu guter Letzt: Was gibt es schöneres, als nach einer mit Kant, Hegel (oder viele Nächte mit Gadamer hier in der Grabengasse) verbrachten, manchmal auch durchzechten Nacht mit Freunden am Neckar-(!) Strand direkt gegenüber dem Schloß (kaum einer weiß, dass es das wirklich gibt) unter ausladend-einladenden Erlen an oder auf einem Sandstrand zu sitzen und die Sonne aufgehen zu lassen ? Das tun zu können, bedarf es der sicheren Gewißheit, sich hernach herr- und behaglichlich in den eigenen vier Wänden ausruhen zu können für die nächste Nacht – und nicht auf einem Teutonengrill in der Mittagshitze braten zu müssen, weil: dazu ist man doch schließlich da … – und nicht, den Tag im Hotelbett zu verbringen und so weiter.
Und bitte, wo sonst hat die Sonne, außer vielleicht an einigen Stellen in Attika, dies Licht (und in der Nacht die Kraft und die Herrlichkeit von mehreren tausend Watt), wie auf der Neckarwiese ? Oder, wo sonst läßt sich ein Sonnenuntergang 19 Uhr 45) „so wunderschön wie heute“, oder wie oberhalb von Boxberg oder Emmertsgrund in der Gewißheit erleben, hernach nicht wieder eine gute Kneipe erst suchen zu müssen, haben wir hier doch konkret-kontrapunktisch sozusagen, (nicht nur) die ganze Untere Straße zur gastronomisch-kurzweiligen Verfügung?
Wenn am Boxberg die rote Sonne …
Wie wunderschön fliegen doch oberhalb des Boxbergs unterhalb des erhabenen Königstuhles in den beginnenden Abendhimmel Propellermaschinen hinein, die da gleichwie etwas zu laute Silberfischchen sich tummeln, oder diese Hubschrauber, die gleichsam als Metamorphose silberblau glänzender Libellen aus der Ebene aufsteigen, oder, kommen sie von oben, sich aus des Hausberges Tannenspitzen sanft-plötzlich herausbegeben, um dann zwischen Wieblingen und Pfaffengrund aus sowohl der Unwirklichkeit des Seins , wie auch der grenzenlosen Freiheit über den Wolken, sich in die Wirklichkeit des Rollfeldes quasi zu versenken, wie die Sonne bei Capri in das Meer der Liebe, dies Feld, das mit wegweisend-drohenden Positionsleuchten Sicherheit signalisiert als ein Hort gegen alles, was da unerlaubt von draußen hereinzukommen versuchte.
Dies alles sind Situationen, die uns Gewißheit erlauben, richtig zu liegen mit dem von uns verlorenen geglaubten Glauben an jenen bildungsbürgerlichen Unsinn, man müsse reisen, weil das bilde. (Von Museumsbesuchen mal zu schweigen – wer hätte je das oft in die Ferien mitgenommene Lateinbuch auch nur eines Blickes gewürdigt, am Strand oder sonst wo. Oder später dann im Leben – für das dies alles gelernt zu haben vorgegeben worden war – irgendwelche zu überarbeitenden Bücher oder sonst irgend etwas?) Und: Wann waren wir denn das letzte mal etwa in unserem Kurpfälzischen Museum?
„Dreggische Fieß? Kriegt ma uff da Neggawies …“
Oder aber, hören wir: Reisen sei der Garant für Offenheit, Toleranz und Aufgeschlossenheit … Wäre dem so, hätte etwa das Mörgelgewann längst zum Pflichtprogramm geworden zu sein für all die klugen, toleranten und aufgeschlossenen Menschen aus Neuenheim, Schlierbach, Ziegelhausen, für die Einwohner der Weststadt und überhaupt für alle Heidelberger. Statt dessen: Naserümpfen. In Neapel hingegen, da liebt man sie, die Wäscheleinen über den Straßen, diesen derb-herben Geruch nach Knoblauch und Socken und die allerliebst-kleinen Nasebohrer sowieso.
Sollen uns doch mal Kulturreisende im südlichen Halbkreis einen Ort nennen, der den Touristen eine religiöse, eine ethnische sowie in diesem Zusammenhang zu guter Letzt kneipiale Vielfalt wie die in unserem geliebten Heidelberg bietet. Jaja, der Nein-Sager Katalog der fleischgeworden-selbstgerechten LindAnerInnen, da stört schon so einiges – gleichwohl muss den Herumschreiern und Kotzern das Handwerk gelegt werden. Jedoch muss auch nach 23.00 Uhr noch mit mitgebrachtem Riesling, Bier oder, wer sagst denn, „Malamatina (Retsina) draußen gestanden werden dürfen (Freiburger Gerichtsurteil)!
Touristen mutieren
Sommerzeit. Das sind die Wochen der kollektiven, altdeutschen rassenhygienischen Einigkeit. Sowohl die Linksintellektuellen, die Bildungsbürger und die Autonomen, sie alle und noch viel mehr, beklagen in trautem zusammensein einer Meinung zu sein über den „Verlust des Authentischen“.
Während ihrer Exkursionen mutieren sie zu treuen Anhängern der Nouvelle Droite, erstellen Hierarchien der Kulturen, werden zu glühenden Verfechtern des Ethnopluralismus – “Korsika den Korsen”, die “Sahara den Tuaregs”, “Deutschland den …” naja, denen nicht – “Kurdistan den …”.
Jeden Sommer aufs Neue verbrüdern sich gestandene Internationalisten mit tumben Hinterweltlern, machen mit ihnen gemeinsam Front gegen die Aufgeklärten des Landes, die mit ihrem westlichen Lebensstil ihr Volk so ach wie gar verraten haben – und dafür gesorgt, dass es allüberall auf der Welt bald so ausschaut, wie daheim.
Drei Fraktionen Reisende
Welches Land auch immer in den letzten Jahren unser Ziel war, allemal sind wir dort auf mehr Ethnozentrismus gestoßen, als vor der eigenen Haustür. Da wird uns ein Verdacht zur Gewißheit. Wir Deutschen sind aus drei Gründen Weltmeister im Reisen:
Die eine Fraktion macht sich auf den Weg, weil sie in den meisten Mittelmeerstaaten noch eine “Ursprünglichkeit der Einheimischen”, sprich: eine religiöse und ethnische Homogenität antrifft, deren Verlust sie in Deutschland so nachhaltig beklagt. Unter diesen Eindrücken hocken sie später dann zusammen: “Die Griechen machen das schon richtig: Im Sommer kommen ein paar Millionen Touristen, lassen ihr Geld da (damit die auch dort über Korruption dem Staat vorenthaltene Knete wieder „reinkomme“) und gehen wieder. Aber bei uns? Die ganze Welt kommt und bleibt, und wir dürfen dafür auch noch zahlen.”
Mentalitäten verinnerlichen
Eine andere Fraktion reist als Sammler. Da wird leidenschaftlich in andere Kulturen eingetaucht, wird auch in die letzten Winkel Südamerikas und oder Asiens eingefallen. Immerzu sind sie auf der Suche nach Authentischem, ethnischenTypologien (die sind so fotogen), Volkscharakteren, Mentalitäten und Ursprünglichkeiten. Und dabei stets bereit, das ganzheitliche Leben in einem kleinen Fischerdorf, einer Bergsiedlung oder einer Wüstenstadt zu entdecken, zu lieben und zu verinnerlichen. Auch diese Reisenden hocken später zusammen und reflektieren über Sein, Anderssein und die in der Heidelberger Altstadt zu bekämpfende „Fleischgewordene Selbstgerechtigkeit“ – jene Altstadtbewohner, die wirklich an dieser und jener Situation leiden, werden oft genug instrumantalisiert für ihr eigenes Süppchen. Gemeinsam wird dann das kaltherzige Leben in Deutschland beschworen, das engstirnige, das durchorganisierte, das nur ach so wenige Möglichkeiten bietet für spontanes Handeln, das nur so wenige Prüfungen bereithält, “wirklich echte” Schicksalsschläge fatalistisch hinzunehmen, dieses abgebrühte unser Land, das nur noch so wenige Chancen bietet, “echte existentielle Grenzerfahrungen” zu machen – frei nach dem Lied: “Was ließen“ – für Eingeweihte – „jene, die vor uns schon waren, die alle Länder und Straßen befahren, die alle Lieder und Abenteuer raubten, was ließen jene zurück für unsre Schar?“ Einig schließlich sind sie sich dann in der Einschätzung: Besser als hier ist es auf alle Fälle anderswo. Einzig die Bequemlichkeit des sozialen Netzes kettet sie (noch, sagen sie!) an diese Republik.
Dahäm isses doch am schänschte
Die dritte Gruppe schließlich reist, um sicher zu gehen, eigentlich nichts versäumt zu haben, wären sie daheim geblieben. Ein um das andere mal vergewissern sie sich, dass es zu Hause doch am buntesten gewesen sein würde. Großes Wehklagen wird darüber angestimmt, man habe vier Wochen auf einer griechischen Insel griechischen Bauernsalat (plus Souflaki und Juwetsi) essen müssen, sei in Marokko ständig scheppernder Volksmusik ausgesetzt gewesen, oder sie haben in Anatolien quälend lange keine Alternative zu den lauwarmen Schnellküchen gefunden. Die Armen. Da weiß man im Vergleich ganz schnell und sehr genau, was man hatte und gehabt haben können und wie sehr doch die mühelosen kulinarischen und kulturellen Crossovers in Heidelberg zu würdigen sind. Viele werden sich in diesem Jahr wohl oder übel wieder der Mühsal einer Reise unterwerfen, gleichwohl im sicheren Bewußtsein, die kosmopolitische Atmosphäre Heidelbergs und nicht zuletzt das mediterrane Ambiente der Unteren Straße nach wenigen Tagen – egal wo – dann doch schmerzlich zu vermissen.
„Lang lieb ich dich schon …“
In Heidelberg kann ich als willkommener Gast am Freitagsgebet im islamischen Zentrum in der Alten Bergheimerstraße teilnehmen (und gleich ums Eck im Noor-Mahal indisch oder pakistanisch essen), Samstags am Shabbat in der neuen Synagoge in der Weststadt zu Gast sein, mich anschließend an chinesischer oder laotischer Küche laben, dann bei einem der Jugoslawen, Türken oder Griechen auf ein Schwätzchen und einen Raki oder Ouzo vorbeischauen, um mich dann am späteren Abend mit einer ethnisch durchaus nicht homogenen, freien Rieslingschorlenassoziation in (oder vor) der Destille oder dem „PF“ in der Kettengasse mit den bekanntermaßen besten Spaghetti der Region zu treffen. Oder ich kann ein Alt in der Destille zapfen lassen, einen aus der Riesenauswahl von Whyskis in der „Sonderbar“ (Betreutes Trinken) oder einen Absinth (bis wir uns „die Ohren abschneiden“) wie sich Michel (der Wirt und summa cum laude Jurist) hat einfallen lassen, oder einen späten Appetit im „PF“ loswerden. Oder sonstwo – im nicht so leicht zu findenden „Abaton etwa – in der Altstadt …
Um dann die Nacht am Neckarstrand zu verbringen – oder am Bissi – nein, nicht auf dem Platz natürlich, sondern weiter oben an der “Pfann” – ausklingen zu lassen.
An geschäftigen Tagen tut`s auch ein Einkaufsbummel in der längsten Fußgängerzone Europas. Hier (einiger Kettenläden wegen) kurz die Augen geschlossen, schon hören wir ein babylonisches Sprachengewirr. Und da weiß dann auch Jürgen Gottschling: Zu Hause bleiben, das bildet. Und was erwartete mich in Spanien? TapasSiesta, TapasSiestaTapas … und Bildungsbürger aus Heidelberg, die unter sengender Sonne durch die Alhambra stapfen und sich darüber informieren wollen: Wie war das eigentlich mit dem Islam in Europa? Nee, wirklich. Da bleiben wir in Heidelberg, wo es während der Nichtwintermonate, erfreulich wie selten etwas, so wenige („echte“) Heidelberger gibt, was, dies alleine schon ein guter Grund wäre, hier zu bleiben. Alla gut, nix für ungut …
21.Jul.2018, 16:35
Das Schloss gehört neben der Athener Akropolis immer noch zu den meistbesuchten Ruinen Europas, und nach Berlin ist Heidelberg angeblich auch der zweitwichtigste Tagungsort der Republik. Heidelberg ist für viele Amerikaner, Japaner, Chinesen und zunehmend sogar Inder der Inbegriff von Deutschland, die Verkörperung der romantischen Ader und Kultur schlechthin. Das barocke Ensemble im Neckartal, das es den US-Truppen einst derart angetan hatte, dass sie es beim Kriegsbombardement verschonten und später ihr Hauptquartier dort aufgeschlagen haben, büßte bisher an Zauberkraft kaum ein.
Mit diesem Pfund will „Heidelberg Marketing“ weiter wuchern. Im Buhlen um die Gunst zahlungskräftiger Ausflügler hat die Verwaltung immer mehr Gaststätten mit Bewirtung im Freien genehmigt, dazu zahlreiche Feste auf den malerischen Plätzen der Altstadt, um noch mehr Touristen anzulocken. Für Anwohner, aber auch die Universität wird die Innenstadt damit indes zusehends zum lebensfeindlichen Raum. Und der Spagat zwischen verträumter Unversehrtheit, moderner Weltoffenheit und den Bedürfnissen an einen ganz normalen Lebensalltag wird immer schwieriger.
Magdalena Michaelis