Ein sich – noch – bescheiden im Hintergrund haltender Markus Söder mit aber schon bayrischer Begleitung

Am ersten Juli-Wochende des Jahres erschien in der „New York Times“ ein langes Porträt über den „Mann, den sie Deutschlands Trump“ nennen. In seiner ganzen Herrlichkeit und last not least natürlich seiner hohen Charaktertiefe wegen wird – und, derweil es sich um Markus Söder handelt, dieser Mensch natürlich nicht nur als Mensch vorgestellt, sondern, nein, in diesem Casus darf natürlich, was Wunder, „dessen politischer Werdegang“ nicht fehlen. Denn Söder („pronounced Zoo-der“) wusste schon immer auch, aus welchem Stoff Schlagzeilen gemacht wurden und werden!
„Lange bevor“ – haben die New Yorker Kollegen recherchiert und geschrieben – „Migration zum Aufreger-Thema avanciert war, hat sich Söder einen Ruf als Provokateur aufgebaut“.

„Deutsche Kinder sollten Klaus, nicht Kevin genannt werden“, habe er einmal gesagt. Ein andermal schlug er vor, „die gesamte grüne Partei zum Drogentest zu schicken“ – schreibt die „New York Times“. Wahrscheinlich, wir kommen gleich drauf, hat die Autorin ein wortgewaltiges Porträt auf der berühmten Seite 3 der Süddeutschen Zeitung“ gelesen, auf welcher Söders Jugendwerk beschrieben wird:

„Als Generalsekretär“ übertraf er die Anforderungen des Amtes mit soviel kruden Ideen, dass man annehmen musste, dieser Mann spüre keinen Schmerz. Er wollte Tram-Schwarzfahrer an einen Internetpranger stellen, er wollte die Grünen-Fraktion im Bundestag zum Drogentest schicken, er wollte Kindern anständige deutsche Namen geben: „Wir haben genug Kevins. Wir brauchen wieder Klaus.“

An dieser Stelle gesteht der 2017 zum Leiter des Hauptstadtbüros von SPIEGEL ONLINE gekürte Stefan Kuzmany im aktuellen „Spiegel“ 29/2018, S. 35 (Paid), diese in sowohl der „New York Times“ als auch in der „Süddeutschen Zeitung“ sich wiederfindenden „Söderschen Forderungen“ seien nicht von Söder, sondern dem von ihm vor 14 Jahren als Satire in der „taz“ geschriebenen Beitrag entnommen.

Kein „Klaus statt Kevin“ also, kein Drogentest für die Grünen und, zu guter Letzt, auch kein Internetpranger für Schwarzfahrer;  was jedenfalls dies angehe, sei Söder, schreibt Stefan Kuzmany jetzt, un-schuldig!

Satire-Schreiber und „taz“-Redakteur Stefan Kuzmany in zarterem Alter vor 14 Jahren …

„Ich war`s,“ – schreibt er: Und, im Januar 2004 sei er Redakteur bei der „taz“ gewesen und habe dorten seiner bayrischen Herunft und eines kurzen Zwischenspiels als München-Korrespondent wegen alsgleich als CSU-Experte gegolten.
„Für eine große Geschichte“ sei Söder ihm, dem damals noch jungen Journaillen-Elefen, „immer gut gewesen“, in der Tat habe Söder damals gerade eine abendliche Ausgangssperre für Jugendliche unter 14 Jahre gefordert, und so habe man „überlegt, wie das Jahr mit Söder weiter gehen könne, wenn es schon mit solchen Einwürfen aus München begonnen habe“ und spinnt das Szenario weiter: „Mein Text“ – erinnert er sich heute, „trug den Titel Die Söder-Agenda; es war ein Blick in die Zukunft“.
So habe er denn also damals in der „taz“  exklusiv des Markus Söders „nächste bahnbrechende Vorstöße – alle Monate wieder – aufs Neue satirisch aufs Korn genommen.

Nachdem nun aber sowohl er als auch Söder nicht nur in die Jahre gekommen und sowohl er, als wahrscheinlich auch Söder diese Texte längst nicht mehr geläufig waren „war`s das dann“.

Tja, war also das: „War`s das dann“ gewesen? Der – mittlerweile – Spiegelmann jedenfalls habe den Text zwar „vollkommen vergessen“, nachdem sich aber im vergangenen Dezember die Porträts in Zeitungen und Zeitschriften häuften, weil Söder endlich an seinem Ziel angelangt war, Horst Seehoferr vom Thron des bayrischen Ministerpräsidenten zu stoßen“, seien ihm viele Texte mit Söder-Ideen derweise ihm „irgendwie bekannt vorkommenden“ Merkwürdigkeiten vorgekommen, dass Redakteur Kuzmany „nach einer Weile begriffen“ hat, dass er „einen kleinen Teil zu Söders Ruhm beigetragen habe“. Das war ihm dann, was Wunder, „das muss ich gestehen, etwas peinlich“.

Stefan Kuzmany hat im weiteren Verlauf Kollegen „diskret gewarnt“, seine alten satirischen Texte etwa vs. Söder zu verwenden, zudem verlinkte er seinen alten Text auf Facebook. Das sei – merkt er jetzt im SPIEGEL an – „das teuflische an der Verbreitung erfundener Zitate: Sobald jemand die Satire nicht erkennt, landen sie in den Archiven. Und wenn sie erst mal in genügend seriösen Medien gestanden haben, dann hat auch niemand mehr bei der New York Times etwas daran auszusetzen. Und wer weiß: Vielleicht hat Markus Söder das alles ja doch irgendwann mal gefordert?
Oder wird es noch fordern?“

Wohl wahr. Im Dezember 2017 hat „Focus“ ein Interview mit Söder veröffentlicht: „Gibt es“ – ward er gefragt – „Forderungen oder Aussagen, die Ihnen im Nachhinein peinlich sind?“ Söders Antwort, wohl symptomatisch: „Es ist wie im Fußball: Nicht jeder Schuss wird zum Tor des Monats.“
Die Focus-Interviewer hatten da wohl mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit etwas im Archiv gefunden. Und hakten nach: „Und die Forderung, die Grünen-Bundestagsfraktion müsse zum Drogentest?“ Daran könne er sich nicht erinnern, jedoch sei er wohl „als jüngerer Politiker in der Wortwahl halt auch ein bisschen leidenschaftlicher gewesen.“
Söder, so scheint es, traut Söder alles zu.
Das tun wir auch.
Und müssen uns aber – wahrscheinlich noch lange nicht schlussendlich – fragen dürfen:
Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Jul 2018 | Allgemein, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Senioren | Kommentieren