Hochstapler können alles. Sie verkaufen den Eiffelturm, die Freiheitsstatue und Mondflüge, sie wissen, wie man schnell reich wird, glänzen mit Titeln, Uniformen und Kronen, heilen Kranke, sprechen mit Toten und mit Gott, überleben ausweglose Gefahren, verkörpern die große Liebe und schaffen noch größere Kunstwerke. Eigentlich können sie nichts davon – dennoch glaubt man ihnen, zumindest eine Zeit lang. Neben alten Bekannten – der Päpstin Johanna, dem Hauptmann von Köpenick und dem falschen Prinzen Harry Domela …
… beschreibt das Buch auch die Verstellungen, um äußeren Zwängen zu entgehen: eine Schweizerin wird um 1900 zum orientalischen Nomaden, ein Brite zum Indianer. Hochstaplei ist zeitlos, aber in Krisen hat sie Konjunktur. Politische Umbrüche rufen selbsternannte Anführer auf den Plan, spirituelle Notstände vermehren die Zahl der Erleuchteten. Geltungsdrang ist das häufi gste Motiv. Die sogenannten Gentlemen unter den Verbrechern scheitern fast immer, aber sie scheitern grandios. Das macht sie sympathisch – und ein bisschen unheimlich.
Allesamt eint Hochstapler – und, pardon, natürlich auch Innen – allesamt, dass sie sich als mehr ausgeben, als sie sind: Hochstapler, die ihre Umwelt an der Nase herumführen, indem sie sich eine andere Identität erfinden. Liebesschwindler, Männerimitatorinnen, Exotikfälscher, falsche Prinzessinnen, Investorenbetrüger.
Was sie gleichfalls eint, sind ihre Motive – Gewinnsucht und Geltungsdrang – sowie besonderes Talent, ihr Ziel zu erreichen. Erfolgreich ist ein Hochstapler nur dann, wenn er auf der Klaviatur der angenommenen Rolle virtuos zu spielen vermag. Heißt, er muss zuallererst Schauspieler sein, aber auch über psychologische Einfühlungsgabe verfügen, über Geistesgegenwart, Eloquenz, handwerkliches Können und ein gehöriges Selbstbewusstsein. Allesamt Fähigkeiten, die ihn – tja, Clemens, wer sagts denn? – mit der Berufsgruppe des Künstlers verbinden.
Selbstzweifel oder Reue kennen Hochstapler nicht
Die Literatur- und Medienwissenschaftlerin Anett Kollmann hat einen Schwarm von Fallbeispielen zusammengetragen, von der Antike bis in die Gegenwart, die das belegen. Das Wort „Hochstapler“ selbst gehe auf das mittelalterliche „stappler“ zurück, was den Bettler bezeichnete, der nur mit amtlicher Erlaubnis seine Tätigkeit ausüben durfte. Die Vorsilbe „Hoch“ weist denjenigen aus, der ohne Zertifikat unterwegs war, sich milde Gaben also erschlichen hat.
Im munteren Stil präsentiert Kollmann eine bunte Revue von falschen Messiassen, ergaunerten Königswürden, von Postboten, die sich als Chirurgen ausgaben, von einem Dienstmädchen, das lebenslang die letzte Zarentochter mimte. Selbstzweifel, Reue gar, hätten die wenigsten empfunden. Trotz niederer Beweggründe sei diesen Figuren mit Moral schwer beizukommen, da sie zumeist den Beifall ihres Publikums fanden, bei dem sich Schadenfreude gerne mit Bewunderung für die freche Anmaßung paarten.
Überhaupt, so ihre These, sei Hochstaplern ihr Geschäft seit jeher leicht gefallen, weil sie die Sehnsüchte von vielen bedienten. Wer wäre nicht gerne selbst so weitgereist, wie Karl May es von sich behauptete, der dank seiner fabelhaften Fantasie zum Weltbestsellerautor aufstieg? In gewisser Weise auch bewundernswert eine Figur wir Wolfgang Beltracchi, der als drittklassiger Maler so lange erfolglos blieb, bis er mit seinen Fälschungen die Kunstszene in großem Stil abzockte.
Die moralische Einordnung kommt zu kurz
So spannend all diese Geschichten sind: An solchen Stellen hätte man sich eine klarere Positionierung gewünscht, auch gegenüber Plagiatoren, die sich wirklich „mit fremden Federn“ schmücken, die klauen und kopieren oder mit gefälschten Doktortiteln eine Karriere ergaunern. Die Autorin streift moralische Fragen nur am Rande, auch die Produzenten von derzeit hoch im Kurs stehenden Fake News spielen bei ihr keine Rolle.
Dabei ist auch das nichts anderes als eine moderne Form der Hochstapelei, genau wie das Geschäft der Börsenhaie, die eben jene Kurse erzeugen, auf die sie spekulieren, um damit Massen um ihr Geld zu bringen. Diese Betrüger als knallhart kriminell zu outen, hätte den schönen Geschichten von Schein und Sein der Gentleman-Gauner keineswegs geschadet.
Anett Kollmann: Mit fremden Federn.
Eine kleine Geschichte der Hochstapelei
Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2018
256 Seiten, 22 Euro ISBN: 978-3-455-0006
Erscheinungsdatum: 24.04.2018