Menschen, die das Gefühl haben, dass die politische Klasse sie nicht mehr versteht, nutzen intensiv Social Media. Sie lassen sich nicht mehr auf herkömmliche Medien ein, die Nachrichten gewichten und einordnen. Sie sehen Journalisten der klassischen Medien oftmals als Teil des Establishments und verzichten auf ihre Kommentierung von Sachverhalten, Ereignissen oder politischen Entscheidungen. Sie lösen sich völlig davon. Überall lauert für sie die Lügenpresse.
Menschen, deren Arbeitsplätze in Gefahr geraten sind, während gleichzeitig die Miete steigt; Furchtsame, die sich vor der Einwanderung von Fremden ängstigen; Enttäuschte, die auf der Suche nach einer Opposition zur schwarz-rot-grünen Konsensregierung sind und deshalb die „Alternative für Deutschland“ auf Facebook abonnieren: Wer das tut, der wird nach dem Liken einzelner AfD-Beiträge Stück für Stück vom Facebook-Algorithmus zu den Seiten von Frauke Petry, Björn Höcke oder Beatrix von Storch und noch weiter in die rechtsnationale Blase getrieben.
Für Facebook geht es vor allem darum, die Verweildauer seiner Nutzer zu erhöhen. Aber Facebook ist viel politischer als sein Algorithmus suggeriert: Soziale Medien verbinden die Wütenden und Abgehängten, bringen sie im Netz zueinander, zeigen ihnen, dass sie nicht allein sind. Wer sich die oftmals hasserfüllten Kommentare anschaut, sieht, wie stark sich diese Personen hinter dem großen und kleinen Bildschirm fühlen und sich gegenseitig unterstützen. Und manchmal wird aus dem virtuellen Hass eine reale Tat.
Kein Wunder, dass die AfD mit 300.000 Facebook-Fans die mit Abstand erfolgreichste Partei auf dieser Plattform ist. Dazu unterscheiden sich die Interessen ihrer Follower elementar von Anhängern von CDU, SPD, Grünen und FDP. Während sich diese laut Facebook-Statistiken auch noch für Cristiano Ronaldo, Mesut Özil und Deichmann interessieren, sieht das bei den Interessenten der Rechtsnationalen ganz anders aus. Dort interessiert man sich auch für Frauke Petry, die Lügenpresse und die Identitäre Bewegung. Nachrichten bezieht man via Facebook vor allem von der rechtskonservativen Jungen Freiheit.
Auf der Straße lassen sich Enttäuschte nicht erreichen
Wer sich heute auf Facebook aus Wut und Enttäuschung mit Pegida und der AfD beschäftigt, darf aber nicht als verloren gelten. Wir können diese Menschen jedoch nicht auf der Straße identifizieren und in Fußgängerzonen ansprechen, es wird schwer sein, sie zu Diskussionsveranstaltungen zu bringen, wir können sie über die Presse vermutlich gar nicht erreichen. Das bedeutet nicht, dass wir der klassischen politischen Kommunikation keine Bedeutung zukommen lassen, wir müssen sie um eine schlagkräftige digitale Komponente erweitern.
Wir, die Parteien und gesellschaftlichen Akteure, müssen enttäuschte Menschen auf Facebook und weiteren Plattformen durch gezieltes und direktes Targeting ansprechen. Digitale Werbung schalten kostet Geld, wird aber immer noch günstiger sein als die Entwicklung der siebenten Version eines Großflächenplakats. Wir müssen sie als Bürger und Wähler auf allen Kanälen ernstnehmen.
„Die Politik“ sollte das Netz intensiver nutzen
Parteien in Deutschland haben den digitalen Wahlkampf lange genug vernachlässigt und verschlafen. Social-Media-Plattformen dürfen nicht länger nur den Zweck haben, schon lange überzeugte Parteimitglieder zu erreichen. Wir müssen uns die Zeit nehmen, herauszufinden, welche Probleme von der Politik enttäuschte Menschen wirklich bewegen. Die entsprechenden Tools und Werkzeuge gibt es, sie werden von Konzernen in der digitalen Markenkommunikation bereits erfolgreich eingesetzt. Es gibt keinen Grund, warum die Politik dies nicht auch tun sollte und sie zielgerichtet einsetzt, um Brücken zu bauen.
Der Ansatz des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, einen Bürgerdialog auf Facebook anzukündigen, Fragen live und ungeschnitten zu beantworten, ist richtig. Er war erfolgreich, weil Lindner weder Sakko noch Krawatte trug, Fragen spontan aufgegriffen hat, seinen Dialog komplett ungeskriptet durchgeführt hat. Solche Formate, die dem Nutzerverhalten der Plattform entsprechen, müssen weiterentwickelt werden.
Solche ernst gemeinten Dialoge auch mit Unzufriedenen und wütenden Bürgern, sind ein Weg, um deutlich zu machen, dass es zur offenen Gesellschaft keine Alternative gibt, dass Hass keine Probleme löst.