Kann man all den weltpolitischen Krisen, den Veränderungen und Unsicherheiten etwas Positives abgewinnen? Man kann. Wenn man mit klugem Blick analysiert und in die Zukunft sieht. Das belegt dieses gerade bei KieWi erschienene Buch „Guten Morgen, Abendland“ von Bernd Ulrich.
Drittweltländer als Nachbarn erkennen
Afrika, Asien und Südamerika – Europäer haben noch nie auf Augenhöhe mit den Gesellschaften dort kommuniziert, so der Autor. Stattdessen habe der Westen den Rest der Welt benutzt: als Kolonie, als Rohstofflieferanten, als militärischen Stützpunkt. Um die Menschen und deren elementare Bedürfnisse kümmerten sich Hilfsorganisationen und Entwicklungshilfe. Jetzt sei dieses hierarchische Herrschaftsverhältnis so nicht mehr haltbar. Bernd Ulrich sieht ein neues Nachbarschaftsverhältnis, das nicht mehr rückgängig zu machen sei:
„Die Stabilität von Staaten und Religionen beruht, das zeigt sich jetzt in aller Einfachheit und Klarheit, nicht in erster Linie auf Institutionen, nicht mal auf Macht und Gewalt, sondern auf etwas ganz anderem: auf der Demut der Gedemütigten. Und damit geht es nun zu Ende, diese Ressource ist fast völlig aufgebraucht“. Deshalb stehe der Westen nun unter dem Druck, sich und sein Verhalten erklären und begründen zu müssen.
USA am Ende ihrer Weltmacht-Stellung
Jahrelang konnten wir diese Notwendigkeit von uns fernhalten, das ist jetzt vorbei. Auch weil sich die Rolle der USA so deutlich verändert hat. „Amerika schafft es nicht mehr, diese Weltmachtstellung aufrechtzuerhalten. Sie haben die Kraft nicht mehr dafür, die ökonomische Kraft, die militärische Kraft und die moralische Kraft nicht, und deswegen erleben wir gerade einen der größten Umbrüche, in der Nachkriegszeit“, sagt Ulrich.
Ein Prozess, der nicht erst unter Donald Trump begonnen hat. Europa habe deshalb jetzt die Aufgabe und Chance, sich stärker in die Welt einzubringen als bisher. Nicht als neue Weltpolizei, sondern auf Augenhöhe mit denjenigen, die weltpolitisch lange wenig zu sagen hatten.
Demokratischer Umgang in Deutschland als Vorbild
Und Europa sei dazu in der Lage, so Ulrich. Auch Deutschland. Denn das Land sei weitaus stabiler und demokratisch gefestigter als mancher angesichts von Pegida und AfD befürchtet. Deutschland sei eine „Stuhlkreisnation”, so Ulrich, soll heißen: Alles werde demokratisch ausgehandelt: „Man braucht im Grunde ein viel gleichberechtigteres, kommunikativeres, freundlicheres, aber doch natürlich nicht weiches System. Und in dem wiederum kann Europa eine große Rolle spielen, weil es in sich ja schon eine sehr Augenhöhe-orientierte Veranstaltung ist, und in diesem Europa wiederum Deutschland.“
Die Welt steht mitten in einem Umbruch. Der sei nicht nur politisch und moralisch überfällig, sondern auch eine Chance für alle – davon ist der Politik-Journalist überzeugt.
Kluges Buch mit Sog-Wirkung bis zuletzt
Mit „Guten Morgen, Abendland“ hat Bernd Ulrich ein außerordentliches Buch geschrieben. Mit einer großartigen Sprache, die so gar nichts mit dem üblichen Politiksprech zu tun hat, inhaltlich klug und differenziert. Vom widersprüchlichen Verhältnis zu Russland, über die Rolle der Kanzlerin in der Flüchtlingskrise, und nicht zuletzt bis hin zur politischen Bequemlichkeit der liberalen Ökobürger, die nun wiederum lernen müssten, für ihre Positionen zu streiten.
Ein Buch, das einen Sog entfaltet, der erst mit der letzten Seite endet. Und das dazu beiträgt zu verstehen, was zurzeit passiert und gleichzeitig Mut macht, diese heikle Phase zu einem besseren Miteinander zu wenden.
Leseprobe
Gebunden, 304 Seiten, 20,00 EUR