Vor dem Hintergrund eines globalen Verdrängungswettbewerbs entdecken auffallend viele nachdenkliche Menschen die ethischen Vorzüge des Christentums: Peter Sloterdijk prophezeit ein grausames 21. Jahrhundert. Mit Nietzsche nennt er es neo-antik, weil nun endgültig „die Wiederholung der Antike auf der Höhe der Modernität“ anstehe. Künftig, so Sloterdijk, werde ein innerweltlicher Fatalismus herrschen: Im Hier und Jetzt, am meßbaren Erfolg entscheidet sich, ob ein Leben gelingt.
Die Möglichkeit eines „Rückspiels“ im Jenseits, wie es bisher vom „Balkon am Petersplatz“ aus versprochen wurde, habe keine Relevanz mehr. Das „Mitleid mit den Verlierern“, das durch das Christentum in die Welt kam, sei – in dieser Kirche – nicht mehr gefragt. Der Propagandist der zynischen Vernunft, Sloterdijk, hat so  die christlichen Tugenden gewürdigt. Sein Ruf nach einer „christlichen Dämpfung“ der Kämpfe ums schönere Leben, um höhere Löhne und elastischere Körper, markiert eine Abkehr vom moralfreien Diskurs.

Die Antennen wären da – dennoch: Kommunikationsstörung

Der Kampf gegen die katholische Autoritätshörigkeit – etwa der Kirche von unten – könnte ein Klima für kritische, emanzipierte Geister fördern, sind  doch „Richtlinien zur Ökumene“  alleweil als die Spitze einer Entwicklung einhergekommen, die sich alsbald als ökonomistische Revolution von oben entpuppt haben.
Längst gibt es nicht nur Marketingstrategen, sondern auch Sozialethiker, welche die Kirche zu „totalem Kundenkontakt“ aufgefordert haben. Die Kirche müsse ihre „Unternehmensziele“ klarer bestimmen und sich entscheiden, ob sie als „Anbieter auf dem Sinnstiftungsmarkt“ die Nummer Eins bleiben oder „als Nischenanbieter Profil gewinnen“ wolle. Das „Unternehmen Kirche“ solle „kämpfen um Kundinnen und Kunden“ und die „Markt- und Meinungsführerschaft anstreben, auch wenn dies gerade nicht in die langfristige römische Ökonomiediplomatie paßt“ – nein, Sie haben, was Wunder – richtig gelesen, von Ökumene war da nicht die Rede, denn da verhält sich katholische Amtskirche ja eben genau so, ökonomisch nämlich …

Da Josef Ratzinger nun Benedikt geworden ist, dem wir unterstellen, als Kardinal einer Nachfolgeorganisation der Inquisition als Vorsteher der Glaubenskongregation angehört zu haben, hat er doch bereits in dieser Funktion Kirche immer mehr zu einem reaktionären Bollwerk ausgebaut.

Da müssen wir nicht in nicht allzuferne Vergangenheit zurückschauen, innerhalb welcher Ratzinger seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) allen Veränderungen äußerst ablehnend gegenüberstand – und heute, als „Nachfolger Petri“ immer noch steht. So werden seiner Meinung nach die Lehren der Kirche durch Zweifel und Hinterfragen „besudelt“ – womit er deutlich und unverholen zugleich eine Rückkehr zum katholischen Fundamentalismus anstrebt, indem er (unter anderem nur)  die unanfechtbare Wahrheit des vom Papst ex cathedra verkündeten Dogmen verlangt. Für wie dumm hält dieser Benedikt unverfroren und dreist nicht nur gläubige Katholiken, sondern auch kirchliche Lehren hinterfragende katholischen Theologen: „Das verbriefte Recht“ – so Joseph Ratzinger als Kurienkardinal und Vorsteher der „Glaubenskongregation“ im O-Ton –  „auf Freiheit des Glaubens rechtfertigt nicht das Herleiten eines Rechts auf Abweichung. Das Recht auf Glaubensfreiheit hat nicht die Freiheit in Bezug auf die Wahrheit zum Inhalt, sondern die freie Bestimmung eines Menschen, in Übereinstimmun mit seinen moralischen Verpflichtungen, die Wahrheit zu akzeptieren.“ („Verschlußsache Jesus“, Droemer Knaur, 1991, S. 161)

Von Ratzingers Gnaden (und Unerfreulichen sonst noch pur) wäre man also – zwar – völlig frei, die Lehre der Kirche zu akzeptieren, – aber – nicht  sie zu hinterfragen. Oder sie abzulehnen. Freiheit in dieser Kirche – Jesus hätte sie den Ratzingers um die Ohren gehauen – wenn sie denn, wie Freiheit in kurial-römischer Lesart, nur aus Unterwerfung zu bestehen in die Lage versetzt wird!  Diese, wie viele andere allen Katholiken auferlegten, ungeheuerlichen, psychische und emotionale Schäden verursachenden Beschränkungen, mit denen aus Bigotterie und Intoleranz genährte Schuldgefühle verursacht und genährt werden, beschneiden in wahrlich unzulässiger Weise den Horizont von Erkenntnis und Verständnis. (siehe auch:  Papst Johannes Paul II Erinnerung: „Das Gesetz Gottes“)

Aus Ratzinger und Benedikt spricht gleichermaßen nicht etwa der Charme verweigerter Zeitgenossenschaft, wie eine blauäugige intellektuelle Sympathisantenszene meint. Hier spricht ein seppelartige-antimoderner Affekt, eine aggressive Intoleranz und Intransingenz, die sich metaphysisch beglaubigt wähnt. Hier spricht ein Wahn, der im Namen des Übernatürlichen sich ans Natürliche, an Recht und Kultur, im Grunde nicht gebunden fühlt. Wie bei Sekten werden Dialoge mit Außenstehenden nur strategisch geführt; Widerspruch stabilisiert das Selbstverständnis, Fahnenträger der Wahrheit zu sein.
Es wirken sich zu guter Letzt all diese kaum in Worte zu fassenden  Brutalitäten ja aber „nur“ auf jenen Teil der Weltbevölkerung aus, der sich alledem freiwillig unterwirft. Nichtkhatoliken haben „die Freiheit eines Christenmenschen“, diesen unverfroren-unverschämt-hinterlistigen Blödsinn zu ignorieren. Und, wer da immer noch unbedingt – trotz alledem und vielerlei – katholisch bleiben mag, möge mal diese Seite anklicken. Da geht es – wenn schon – so doch anders.

„Wir können nicht tiefer fallen als in die Hände Gottes.“  Das zu tun bleibe Joseph Ratzinger zu guter Letzt unbenommen …

Jürgen Gottschling

Mai 2019 | €uropa | Kommentieren