Dieter Bohlen kann mit seiner Arbeit bei „Deutschland sucht den Superstar“ mehr als zufrieden sein. Die Castingshow fährt wieder einmal Traumquoten ein. Um Bohlen quotenmäßig auf Distanz halten zu können, muss sich – was sie oft genug auch tut – die traditionelle TV-Unterhaltung niederen Reizen öffnen, was sich hurtig in immer widerwärtigerer „Qualität“ niederschlägt.
Bewundert, gehasst und immer im Gespräch – Dieter Bohlen ist seit Jahren eine nimmermüde Ein-Mann-Show, Deuschland sucht mal wieder den Superstar …
Die Tugendwächter der Republik sind wieder alarmiert. Ungeachtet heftiger Kritik an der von ihnen so apostrophierten menschenverachtenden Art, wie in der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) auf RTL Möchtegern-Sangestalente heruntergeputzt werden, hat Ober-Juror Dieter Bohlen in der geerade laufenden Staffel sogar noch eine Schippe draufgelegt. Allen Drohungen mit dem Jugendschutzgesetz zum Trotz ätzt und höhnt Bohlen in DSDS, wo er mittlerweile der unbestrittene Alleinherrscher ist, fröhlicher und hemmungsloser denn je – und hat Erfolg damit. Bereits die ersten Sendungen, die lediglich Zusammenschnitte der ersten Kandidatensichtungen waren, erreichten Marktanteile von über sieben Millionen Zuschauern und hängten massiv beworbene Edelproduktionen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wie „Gier“ von Dieter Wedel locker ab.

Nur mit dem Vorhaben, Thomas Gottschalks Kultsendung „Wetten, dass ..?“ zu übertrumpfen, mit der DSDS  vor einigen Wochen zeitgleich konkurrierte, ist Bohlen einstweilen gescheitert. Dazu musste Gottschalk freilich einiges aufbieten: Heidi Klum etwa, die während der Sendung ein kleines Model-Casting zelebrierte, und die Schauspielerin Simone Thomalla, die ihre Nacktbilder aus dem „Playboy“ vorzeigen durfte.

Es scheint, als ob zumindest das jüngere Deutschland ohne den Superstar des Trivial-Entertainments nicht mehr auskommen mag. Kübel von Hohn und bildungsbürgerlicher Verachtung, die im Laufe seiner Karriere über den Selbstvermarktungsvirtuosen ausgegossen worden sind, haben ihm nichts anhaben können – ebenso wenig wie schlüpfrige Geschichten über sein Privat- und Sexleben, etwa über seine gerade einmal vierwöchige Ehe mit Verona Feldbusch, die ihn anschließend der Gewalttätigkeit bezichtigte.

Bohlen hat im Laufe der vergangenen anderthalb Jahrzehnte einen erstaunlichen Imagewandel vollzogen. Lange Zeit war der 1954 im niedersächsischen Berne geborene Dieter Günter Bohlen selbst als eine Art Dorftrottel vom Dienst durch den Kakao gezogen und durch die Talkshows gereicht worden, in denen er sich durch unfreiwillig komische Sprachunfälle im gedehnten norddeutschen Akzent dem Gelächter des Publikums preisgab, zu Zeiten war er so etwas wie der fleischgewordene Ostfriesenwitz. Sein breites, fletschendes Grinsen, das wohl an ein sprungbereites Raubtier erinnern soll, aber eher dem Hyänenlachen ähnelt, wurde einst als Ausdruck annähernder Debilität gewertet.

Heute wirkt es wie das triumphale Erkennungssignal eines Erfolgsmenschen, der sich in die Sphäre der Unantastbarkeit durchgebissen hat und sich von niemandem mehr einen Maulkorb anlegen lässt. Keiner kommt heute mehr um die Anerkenntnis herum, dass Bohlen ein gewiefter Selbstdarsteller und mit mächtigen Medienunternehmen bestens vernetzter Geschäftsmann ist, der aus wenig kreativem Talent das Maximum herausgeholt hat. Bohlens zu Welthits aufgestiegene Kompositionen für das Duo Modern Talking, das er zusammen mit Thomas Anders bildete, waren von solch provozierender Schlichtheit, dass es jeder Musikkritik die Sprache verschlagen musste.

Was unzählige Fans rund um den Globus an im Falsett vorgetragenen Retortenmelodien wie „You’re my heart, you’re my soul“ oder „Cheri Cheri Lady“ so sehr begeistert haben mag, wird wohl eines der dunklen Geheimnisse menschlicher Existenz bleiben. Stets hing auch der Verdacht des Plagiats über Bohlens musikalischem Schaffen, der sich allerdings nie erhärten ließ.

Bohlen aber lag von Anfang an nichts an künstlerischen Schönheitspreisen. Seine Stärke war, sich vor keiner Niveausenkung zu fürchten, wenn er sich nur ins Langzeitgedächtnis einer reizüberfluteten Medienöffentlichkeit eingraben konnte. Bohlens intellektuelle und pseudointellektuelle Kritiker hatten irrtümlicherweise geglaubt, er sei zu einfältig, um zu merken, wie sehr man sich über ihn lustig machte.

Tatsächlich nutzte er dies, um in einer Mischung aus Dreistigkeit und Selbstironie zum Helden des einfachen Konsumenten aufzusteigen, der auf das Urteil der „besseren Leute“ pfeift. Dabei stecken hinter Bohlens Sprüchen zuweilen eine geballte Portion Lebensweisheit und hintergründiger Witz. Etwa wenn er die resignierende Frage stellt: „Wie mache ich einem Bekloppten bloß klar, dass er bekloppt ist?“ Bohlen verkündet jetzt – so in seinem jüngsten Buch „Der Bohlenweg – Planieren statt Sanieren“ – mit durchaus pädagogischem Anspruch die Botschaft, dass nur härteste Arbeit zum Erfolg führen kann, und er wirkt dabei wie ein verspätetes Exemplar aus der Epoche des Wirtschaftswunders, als man es mit Ärmelaufkrempeln aus einfachsten Verhältnissen bis ganz nach oben schaffen konnte.

Und hart gearbeitet hat Bohlen jenseits aller Boulevard-Eskapaden in der Tat stets. So war er als Komponist und Produzent mehrmals beim Grand Prix Eurovision de la Chanson vertreten und steuerte eingängige Titelsongs für den „Tatort“ bei.

Seine eigene Geschichte verleiht der Gnadenlosigkeit, mit der er zuweilen über DSDS-Kandidaten herfällt, eine gewisse moralische Legitimation. Denn Bohlen weiß selbst, wie es sich anfühlt, zum Freak gestempelt zu werden. Das auszuhalten, ohne sich im eigenen Aufstiegswillen irritieren zu lassen, verlangt er auch von jungen Leuten, die sich in das Haifischbecken des Show-Business begeben wollen.
Deutschland – wenngleich nicht das ganze – wird ihm wieder auf den Leim gehen: Auch in der siebten Staffel des RTL-Quotenbringers „Deutschland sucht den Superstar 2010“ steht nicht die Suche von Talenten im Mittelpunkt, sondern effekthaschende Unterbietungen jeglichen Geschmacks durch den Musikproduzenten Dieter Bohlen.

Der Meister spricht: „Singet recht, sonst wird mir schlecht!“, so der Claim zur diesjährigen Werbekampagne von Deutschland sucht den Superstar 2010 als Auftakt zur ersten Castingrunde. Und für all jene Glückspilze, die weder den vorangegangenen Spot, noch die Plakate gesehen haben: Bohlen sitzt auf einer Wolke und spielt den Gott im Casting-Himmel. Halleluja!

Fakt ist, RTL und Dieter Bohlen, das ist TV-Deutschland 2010. Und bei 34.420 Kandidaten aus 20 deutschen Städten ist klar: Das wird ein sehr, sehr langes Jahr. Denn auch in der siebten Staffel DSDS ließ sich die Produktionsfirma Grundy Light Entertainment wieder ordentlich etwas einfallen, um den Zuschauer bei Laune zu halten.

Zum einen versprach der „Pop-Titan“ bereits im Vorfeld der Sendung, reichlich Deppen in die nächsten Runden zu lassen, um folglich mehr Drama und Komik beim Recall zu garantieren. Der Recall, die zweite Veränderung, findet nicht wie früher in einem Theater, sondern in der Karibik statt.

Ein Sparschwein soll auch diesmal wieder versuchen, den oftmals unflätigen Bohlen zu erziehen. Immer, wenn das Wort „Scheiße“ fällt, muss er einen Euro reinschmeißen, das Schwein wird schnell gefüllt sein; 5254 Euro sollen nach den ersten Vorausscheidungssendungen so bereits zusammengekommen sein.

Beispielsweise wegen Christian Brauner. Gesanglich zwar komplett talentfrei, aber die Zuschauer wissen nun wenigstens, dass der 22-jährige Dessauer noch niemals Sex hatte und gern mal Jurymitglied Nina Eichinger entkleiden würde.Direkt im Anschluss, ein musikalisches Highlight: Crazy Helmut singt schon sein ganzes Leben und träumt vom großen Durchbruch. Mit „Summer of 69“ überzeugte der 30-jährige Niedersachse die Jury sofort. Bohlen meinte sogar: „Endlich mal einer, der hier lacht!“
Im stetigen Wechsel aus Peinlichkeit, Dreistigkeit und der ein oder anderen guten Stimme, wanderte der heiß umworbene Recall-Bogen zwischen Talenten und unterirdischen Erscheinungen hin und her.

Da wäre die Friseuse Isabelle, die ohne iPod nicht singen kann. Andreas, der nette Spinner von nebenan und seiner Ohrenkrebs erregenden Interpretation von Scooters „Wicked“. Oder der von Liebeskummer geplagte Maximilian, mit einem Justin-Timberlake-Versuch, der bereits nach 10 Sekunden den gelben Zettel nehmen durfte.

Klingt fast ein wenig gewöhnlich für DSDS. Doch für diesen Fall der Fälle ist Dieter schnell zur Stelle. Wie bei Kandidat Marcel Finette. Der junge Bonner hatte kaum den Raum betreten, als Bohlen die alles entscheidende Frage stellte: „Hast du etwa in die Hose gepieselt?“. So der Juror angesichts eines feuchten Flecks auf Finettes Jeans. Auftrag ausgeführt! Der 18-jährige war sofort außer Gefecht gesetzt und brachte kaum ein Wort mehr heraus.

Doch es geht noch schlimmer. Was folgte, war ein Bohlen wie er leibt und lebt: „Pass auf. Nach dem Rausholen musst du ihn gut abschütteln und wenn das noch immer nicht reicht: R-O-T-A-T-I-O-N!“ Übleres Trash-TV geht wirklich nimmer. Spätestens hier wird deutlich: Nicht die Kandidaten, sondern der Juror Dieter Bohlen ist peinlich.

Wer so primitiv kommentiert, der – wir verweisen auf Sigmund Freud – will, dass er kritisiert wird. Kritiker werfen Bohlen seit der ersten Staffel vor, er würde bewusst unfeine Sprüche lancieren, um begleitende Skandale zu fördern.

Die Kommission für Jugendmedienschutz, ging einen Schritt weiter und leitete bereits im Januar 2007 ein Prüfverfahren wegen möglicher sozialethischer Desorientierung von Kindern und Jugendlichen ein. Neben antisozialem Verhalten, wurden Identifikationsfiguren wie Dieter Bohlen auch der fehlende Respekt gegenüber den Kandidaten angeprangert.

RTL-Vertreter dementierten die Vorwürfe mit dem „Drang zur Selbstdarstellung der Kandidaten“ und verwiesen darauf, dass alle Teilnehmer über die redaktionelle Gestaltung ihres Auftritts umfassend aufgeklärt und informiert würden.

Nun denn, ob ein Mann, der gestern noch die gesangliche Qualität eines Kandidaten mit einem Froschfurz gleichstellte, nur ansatzweise versteht, was die Kritiker von ihm und des Formats schon seit Jahren verreißen, bleibt auch weiterehin fraglich.

Feb. 2010 | Allgemein, Feuilleton, Zeitgeschehen | 1 Kommentar