Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es wohl keinen so verheerenden innerstädtischen Krieg wie in Mossul. Neun Monate sind vergangen. Ein Dreivierteljahr, in dem jeden Tag getötet wurde, in dem Soldaten exekutiert wurden und unschuldige Bürger verhungern mussten. Fast stündlich griffen Selbstmordattentäter an, Scharfschützen lieferten sich Gefechte von Haus zu Haus. Die Qualen dauerten ungefähr so lange, wie ein neues menschliches Leben braucht, ehe es geboren wird. So lange tobte der Krieg in Mossul.
Vereinzelt sind auch jetzt noch Schüsse in der Innenstadt zu hören. Doch die fast ewig andauernde Schlacht um eine Stadt ist nun geschlagen. Iraks Premierminister Haidar al-Abadi proklamierte am Montagabend den Sieg über den selbst ernannten „Islamischen Staat“. Ein Sieg über Dunkelheit, Brutalität und Terror, wie er formulierte.
„Ich verkünde der Welt, dass der sagenumwobene terroristische Staat gescheitert und zusammengebrochen ist“, sagte der Regierungschef, der in schwarzer Militäruniform auftrat. Jubelnd zogen Elitesoldaten und Polizisten durch die Ruinen Mossuls. Auf rasch aufgehängten Plakaten beschwor die Regierung die Bevölkerung, in eine neue Zukunft zu schauen. „Mossul ist in den Schoß des Irak zurückgekehrt“, stand auf Hunderttausenden Flugblättern, die über den verwüsteten und menschenleeren Vierteln abgeworfen wurden. Der IS hatte Mossul 2014 erobert und von dort aus ein islamistisches Kalifat in Teilen des Irak und Syriens ausgerufen. „Ich bin vierzig Jahre bei der irakischen Armee, ich war bei allen Schlachten dabei, aber so etwas wie in der Altstadt von Mossul haben ich noch nie erlebt“, sagte Sami al-Aridhi, Kommandeur bei den irakischen Eliteeinheiten.
Das Resultat des Krieges: Mindestens 32.000 Häuser sind nach einem ersten Überblick der Vereinten Nationen nur noch Schutt und Asche. 920.000 Menschen mussten seit Beginn der Offensive im vergangenen Oktober aus der umkämpften Stadt fliehen und hausen seitdem in Zeltlagern. Mindestens ein Drittel der Bevölkerung besitzt kein Dach mehr über dem Kopf. Tausende Zivilisten kamen bei den Dauerbombardements der alliierten Luftwaffe ums Leben, wurden von Minen zerfetzt oder von den Extremisten hinterrücks auf der Flucht erschossen. Insgesamt liegt ein Drittel des historischen Westteils von Mossul in Trümmern. Die beiden Wahrzeichen der Altstadt, die Al-Nuri-Moschee und das schiefe Minarett, jagte der IS noch kurz vor seinem Rückzug in die Luft.
Iraks Armee hält die eigenen Verluste bisher geheim. Der Erfolg soll nicht durch die Bekanntgabe der Opferzahlen geschmälert werden. Was klar ist: Mossul war die mit Abstand größte Stadt des „Islamischen Kalifats“. Doch das Schicksal der Terrormiliz, die in ihren mächtigsten Zeiten über 35.000 Bewaffnete aus mehr als 100 Nationen kommandierte, ist mit ihrem Fall noch längst nicht besiegelt. Viele Hunderte IS-Anhänger aus Mossul sind untergetaucht, weitere 1.000 und 1.500 Gotteskrieger halten sich in der strategisch wichtigen Grenzstadt Tal Afar verschanzt. Im Zentralirak kontrollieren sie den Distrikt Hawidscha nahe der Erdölstadt Kirkuk und im Westen des Iraks die Gegend um die Euphrat-Stadt Qaim.
Nach einer Studie der amerikanischen Militärakademie West Point verübte die Terrormiliz in 16 syrischen und irakischen Städten, aus denen bisher vertriebenwurde, bereits bis heute 1.500 neue Attentate. Der militärische Sieg sei zwar ein erster wichtiger Schritt, er reiche aber nicht aus, bilanzieren die Autoren. Um zu verhindern, dass der IS erneut erstarke, müsse in den zurückeroberten Gebieten für Sicherheit gesorgt, der Wiederaufbau vorangetrieben und eine funktionierende Verwaltung aufgebaut werden.
Das könnte für den Irak nicht zu leisten sein, erst recht nicht in der Metropolregion Mossul. Andere vom IS befreite Städte wie Ramadi und Falludscha sind ebenfalls nach wie vor praktisch unbewohnbar. Teilen Mossuls könnte es nun ähnlich ergehen. Zudem erzeugt die exzessive Gewalt bei der Rückeroberung der Städte neue Wut, neue Verzweiflung und neue Rachegefühle – der perfekte Nährboden für künftigen Extremismus. Mossul, der einstigen politischen Hochburg des Regimes von Saddam Hussein, steht noch keine gute Zukunft bevor.