Der G20-Gipfel in Hamburg ist vorüber. Die empörten Menschen in ganz Europa sind meist wieder in ihren Alltag abgetaucht oder in den Urlaub gefahren. Beschäftigt sind jetzt vor allem diejenigen, die ihr Haus, ihren Laden, ihr Hab und Gut wieder aufbauen müssen.
Dazu kommen zermürbende Gespräche mit Versicherungen und Anwälten zwischen denjenigen, die geschädigt wurden und denjenigen, die dafür sorgen, dass es im Sinne der eigenen Auftraggeber geregelt wird.
Es geht mir hier weder um eine etwaige politische Würdigung oder Suche nach der gesellschaftlichen Nachhaltigkeit des Gipfels, noch um eine psychologische Analyse von Gewaltbereitschaft und dem Trend zu sinnlosem Gewalttourismus. Rein aus dem Fokus der Kommunikation, die schlussendlich für Vieles in unserem Leben verantwortlich ist, sind allerdings in der Tat ein paar bemerkenswerte Aussagen zu machen. Wo spielt hier Kommunikation eine Rolle?
Kommunikation als Teil der Friedenssicherung
Grundsätzlich war und ist die Idee, mit den G20-Gipfeln die Kommunikation unter den selbst ernannten, wichtigsten Staaten sicherzustellen. Hier kann sicher guten Gewissens einmal festgehalten werden: Solange sie miteinander reden – von Person zu Person – ist das ein gutes Zeichen. Es braucht keine anderen Formen. Kommunikation war und ist, sofern sie ehrlich benutzt wird, auch Teil der Friedenssicherung. Egal was dabei herauskommt – solange man noch zusammen am selben Tisch isst, ist’s gut.
Gewalt als Kommunikationskanal
Auf der anderen Seite spielen die Gewaltausbrüche in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit eine sehr dominierende Rolle. Da stellt sich die Frage: Ist Gewalt allenfalls ein – zugegebenermaßen sehr schlechter – Kommunikationskanal? Wären Gewaltexzesse eventuell zu vermeiden, wenn sich machtlos fühlende Menschen anderweitig äußern könnten? Es geht hier nicht um die gewaltsuchenden – zum Teil aus mehreren hundert Kilometern angereisten – „Gäste“, sondern um diejenigen, die ihr „Demonstrieren“ wohl friedlich planen, aber dank ihrer Aktivitäten auch Medien und Aufmerksamkeit anlocken. Ohne die würden ebenfalls die Gewaltauswüchse weniger „Fenster“ erhalten.
Kurzweiliger Medienkonsum
Wahre Kommunikation wäre wohl auch in der Politik eine Zweiweg-Kommunikation oder eine wechselseitig gestaltete Beziehung. Mal redet der eine und der andere nimmt das ernst, mal umgekehrt. Mal die politische Führung, mal das Volk. Die verbrannte Erde in Hamburg lässt viel Ärger und Unmut zurück. Hunderte von Menschen, die jetzt mit Aufräumen beschäftigt sind, sind noch lange damit beschäftigt – auch wenn die Aufmerksamkeit der empörten Medienkonsumenten schon längst wieder beim nächsten Thema ist. Medien-Konsum ist ein Suchtmittel.
Wenn ein Wort € 10.000,– kostet …
Erlauben Sie mir hier eine kleine Zahlenspielerei. Rund 150 Mio € waren die Sicherheits- und Folgekosten. Wohl kommen noch weitere 50 Mio € an Schadenssumme dazu. Die reinen Gesprächszeiten unter den G20-Gipfel-Teilnehmer waren auf wenige Stunden beschränkt. Wenn jeder mit jedem reden wollte und wir das durch die Gesamt-Sitzungszeit durchdividieren, hat wohl ein Dialog ca. 1000 Worte umfasst. 20 x ein solches Gespräch macht 20.000 Worte und das für rund 200 Mio €, ergibt rund € 10.000,–/Wort. Die Frage bleibt: Ist das nicht günstiger zu haben?
Etikettenschwindel?!
„Hervorragende“ Lehrbeispiele in Sachen Kommunikation gibt es trotzdem. Da kündigt Herr Trump ein paar Tage zuvor das Pariser Klima-Abkommen. Die Empörung ist groß und aus meiner Sicht ist es auch wirklich politisch wie kommunikativ ein schlechtes Zeichen. Aber auf der anderen Seite sei die Frage erlaubt: Ein Abkommen, das alle unterschreiben und als wichtig ansehen, an das sich anschließend dann aber doch niemand hält, ist wohl auch ein Stück weit Etikettenschwindel. Man sagt etwas, tut es aber nicht. Ist auch nicht glaubwürdig, langfristig. Im Grunde kann durchaus einmal ganz nüchtern festgehalten werden: Da unterschreibt einer ein Abkommen nicht, an das sich eh niemand hält. Ist vielleicht ehrlicher. Obwohl es dem Betroffenen wohl nicht ausschließlich um die Ehrlichkeit ging…
Gemeinplätze und geschliffene Retorten-Phrasen
Zu guter Letzt wurde ein weiteres Kapitel in Krisenkommunikation geschrieben. Herr Scholz, Bürgermeister von Hamburg, im Vorfeld voll des Lobes für den Gipfel, hat seine klaren Worte in der Schublade gelassen, als es mit den Krawallen losging. Der eigentliche Gastgeber schwieg erst, bevor er via Sprecher ein paar Sätze ausrichten ließ, in denen er den Polizisten dankte. Dass die Gewalt trotz angeblich „sorgfältiger Vorbereitung“ nicht habe verhindert werden können, sei „bedrückend“, so das Statement. Das sind Allgemeinplätze und geschliffene Retorten-Phrasen aus der politischen Rhetorik. Echte Betroffenheit und Schockierung lesen sich anders.
Ein G20-Gipfel, der ein politisches Nachspiel, aber wohl nicht im Sinne der Teilnehmenden hat, ist vorüber. Für Menschen, die sich für Kommunikation interessieren, war er ein Labor voller Lehrstücke. Und es zeigt eines: Leben ist Kommunikation und Kommunikation ist Leben. Stefan Häseli
15.Aug.2017, 11:29
Das Verhalten der >20k beteiligten Polizist*innen wird hier völlig vernachlässigt, obwohl es unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation ziemlich relevant ist.