goetterHeute dürfte ein Zustand erreicht sein, wie er seit der Aufklärung gefordert worden war: die Freiheit der Religion“. Aber, neben dem privaten Sektor positiver Religionsbetätigung gebe es auch eine diffuse öffentliche Basisreligiosität:
„… die Nachfolgerin der früheren Staatsreligion und des vormals autoritativ formulierten öffentlichen Wertekonsenses. Sie ist typisch für die westlichen demokratischen Staaten mit christlicher Tradition:

Diffus, nicht eindeutig formuliert, nicht institutionalisiert, aber sie beansprucht Allgemeingültigkeit und tritt gelegentlich sehr kämpferisch auf: wenn es zum Beispiel darum geht, als eine allgemeine Religion ohne Kirche den »öffentlichen Frieden« zu verteidigen.

Sie lebt durch die gesellschaftliche Kommunikation über einen allgemeinen Wertekonsens (Staat, Familie, Freiheit, Ordnung, Marktwirtschaft, christlich-menschliche Grundwerte, allgemeiner Gottesglaube usw.), der … auf komplexere Weise zustande kommt – im öffentlichen Diskurs von Politik, Medien, Kirchen, gesellschaftlichen Interessengruppen und gesundem Volksempfinden.

Die »civil religion« hat ihre Bekenntnisse, zum Beispiel das Bekenntnis zur FdGO, das jedem Bürger abverlangt wird, sie hat ihre Prediger die oft genug jeder Kanzel Ehre machte, sie hat ihre Schutztruppen (Polizei und Rechtssystem), und sie hat inzwischen auch eine Heilige Inquisition … Der tendenziöse Versuch, den Normalbürger zum bedingungslosen Befürworter unseres Staates zu machen, indem man ihm seine »Feinde« scharf gegenüberstellt (als Verfassungsfeinde, Terroristen usw.) und diese unnachsichtig zu verfolgen beginnt, verfährt nach dem gleichen sozialpsychologischen Muster wie die ehemalige Trennung von Christ und Antichrist. Die staatlich-kirchliche Herrschaft wurde in der Christentumsgeschichte gerne stabilisiert durch die Ausgrenzung des Bösen, das dann als bedrohlicher Feind der Verfolgung anheim fiel: der Islam zur Zeit der Kreuzzüge, die Hexen im Mittelalter, die Juden, die Türken vor Wien. – und heute und immer noch die nicht heterosexuellen Minderheiten in der  (nicht nur) katholischen Kirche.

Zivilreligion als ein – religionstheoretisch betrachtet – religiöses Nichts.

Der Begriff „Zivilreligion“ geht auf Rousseau zurück, der sich eigentlich mit der ganzen Aufklärung dahingehend einig war, dass „auch ein auf Vernunft gegründetes Staatswesen den Büttel ‚Gott‘ nicht würde entbehren“ können. Zur Aufrechterhaltung der Sittlichkeit sollten dem Bürger vom Staate der Glauben an einen allmächtigen Gott, an ein Leben nach dem Tode, an Vergeltung von Gut und Böse, an die Heiligkeit des Gesellschaftsvertrages und der Gesetze sowie die Ablehnung religiöser Intoleranz (zumindest lippenmäßig) abverlangt werden.

Islamisten-Demo in FrankfurtDa in (mal nur so zum Beispiel und Trump sei Dank trotz vielerlei und alledem) Amerika Religion und Staat relativ strikt getrennt sind (wie das hierzulande ja auch zu sein hätte!), bezeichnet der Begriff ‚Zivilreligion‘ nun allerdings nicht mehr eine minimale, staatlich durchgesetzte Zwangsreligion. 
Zum Kernbereich von politischer Kultur gehören die Vorstellungen der Staatsbürger vom Funktionieren und der Legitimität der staatlichen Institutionen.

Es gibt ernst zu nehmende Thesen die besagen, dass diese Vorstellungen in von Anbeginn bis in die Gegenwart einen Komplex religiöser Glaubensmuster umfassten, die ’neben den Kirchen und von ihnen ziemlich deutlich unterscheidbar‘ ihre eigene Integrität als eine gesonderte Zivilreligion behaupteten. In ihr bringen die Staatsbürger und ihre Repräsentanten einen überkonfessionellen Konsens dahingehend zum Ausdruck, dass die Souveränität Gottes der des Volkes vorausgeht und dass alle politischen Handlungen letztlich vor Gott verantwortet werden müssen: ‚Der Volkswille selbst ist nicht das Kriterium für richtig und falsch. Es gibt ein übergeordnetes Kriterium, an dem dieser Wille gemessen werden kann‘ – der Wille Gottes, aus dessen Hand uns die Menschenrechte überantwortet wurden mit der Verpflichtung, für ihre Verwirklichung auf dieser Erde zu sorgen.“

jesuiten_vs_heilig.geist©gottschlingIn den Kulturen der westlichen Welt werden die „empirischen Evidenzen“ für diese Art der Zivilreligion jedoch immer spärlicher, auf dass kritisch muss angemerkt und gefragt werden dürfen, ob all das ausreicht, um von einer eigenständigen »Zivilreligion« oder einer »religiösen Dimension der Gesellschaft« zu reden (Foto: Kreuz vs Reformierten©got). Es könnte durchaus sein, dass sich hier nur noch »Trümmer religiöser Sprache« locker an Politik angelagert haben. Was aber bleibt dann?

Die moderate Restrisiko-Religion ist von Intellektualisierungs- und Rationalisierungsprozessen mehr als angenagt. In der Dimension der religiösen Erfahrung hat sie also ihre entscheidende Schwachstelle – und wird oft als unzureichend empfunden. 
Wellen religiöser Erweckungsbewegungen sind das Resultat. Diese können eine fundamentalistische Gestalt annehmen, wenn sozialstrukturell erzeugter ’stress‘ eigentlich überholte Funktionsbereiche (konkrete Nöte) wieder reaktiviert. Die vorhandenen empirischen Untersuchungen scheinen dieses Szenario in der Tat zu bestätigen. got

Jul 2017 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal | Kommentieren