Dr. Heribert Prantl (2017)

Dr. Heribert Prantl (2017)

Heribert Prantl hat uns, hat der NEUE RUNDSCHAU den Text seines Vortrags an der Universität Hamburg im Rahmen der „Augstein Lectures“: Lügenpresse, Staatssender, Systemmedien – Medienkritik als politischer Breitensport“ zur Verfügung gestellt – den wir hier gerne unseren Lesern zur Kenntnis bringen:
„Wenn ich“ (Bild: © Superbass / CC-BY-SA-4.0 – via Wikimedia Commons) „in Hamburg über Pressefreiheit rede, eingeladen vom Rudolf-Augstein-Stifungsprofessor, dann bleibt mir gar nichts anderes übrig als so zu beginnen, wie ich ohnehin beginnen wollte. Noch dazu ist ja Jubiläum.
Vor bald 55 Jahren,  im Herbst 1962, begann die sogenannte Spiegel-Affäre, die ja nicht nur eine Affäre und schon gar nicht eine Spiegel-Affäre, sondern ein Strauß-Skandal war.

 

Die Kolleginnen und Kollegen vom Hamburger Nachrichtenmagazin haben im Rahmen ihrer analogen und digitalen Feiern des Erscheinens von Heft Nummer 1 vor siebzig Jahren natürlich auch diese Krise in der  Pubertät des Spiegel, das Blatt war damals 15 Jahre alt, stolz abgehandelt. Zum Stolz besteht auch noch immer Anlaß. Wichtig für das Heute sind die Tage von damals deswegen, weil mit der Spiegel-Affäre, hierzulande die aufgeklärte Demokratie begann. Gewiss: Das Grundgesetz ist älter, es gilt seit 1949.  Und auch das Bundesverfassungsgericht, das sich um dieses Grundgesetz große Verdienste erworben hat, existiert schon seit 1951. Aber Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht mehr alles gefallen lassen – die gibt es in Deutschland erst seit dem Herbst 1962. Als damals Franz Josef Strauß, Verteidigungsminister  der Regierung Adenauer und Chef der CSU, die Besetzung des Spiegel und die Verhaftung der führenden Köpfe des Hamburger Nachrichtenmagazins organisierte – da erwachte erstmals die demokratische und rechtsstaatliche Leidenschaft, die grundrechtliche Leidenschaft der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Ein aufgeweckter Teil der bis dahin obrigkeitsstaatlich geprägten deutschen Demokratie rebellierte gegen den Obrigkeitsstaat.

„Die Art des Vorgehens gegen den Spiegel ist ein für sämtliche Rechtsstaaten des 20. Jahrhunderts beispielloser Vorgang“ kommentierte damals die Süddeutsche Zeitung, es sei dies eine „Zeitbombe, um unter dem Mantel des Rechts eine periodische Druckschrift und ihre maßgeblichen Leute zur Strecke zu bringen“. Es ist nicht schlecht, sich an das  damals zu erinnern, wenn wir sehen, wie heute der 45. Präsident der Vereinigten Staaten mit den Journalisten und der Pressefreiheit umgeht.

Die Bürger damals gingen auf die Straße. Und nicht nur im Hamburger Schauspielhaus kam es zu Szenen wie dieser: Als bei der Don-Carlos-Aufführung der Satz fiel „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit“ erhob sich das Publikum von den Sitzen. Die Bürger waren empört, entsetzt – und erfolgreich. Sie ließen sich die Lügen von Strauß nicht bieten, der den Bundestag und die Öffentlichkeit tagelang mit Falschauskünften („Ich habe mit der Sache nichts zu tun“) zum Narren hielt. Lässt sich  zwei Generationen später die Weltöffentlichkeit von einem lügenden US-Präsidenten zum Narren halten.

Damals ging nicht die Presse, damals ging nicht der Spiegel ein, wie Strauß es gewollt hatte, sondern Strauß ging ein, zunächst zumindest, er musste also als Minister gehen – und der Obrigkeitsstaat musste abdanken. Man muss Strauß also dankbar sein: Er hat die Bundesrepublik durch seine Maßlosigkeit von 1962 demokratisiert. Es ist dies das unfreiwillige Verdienst eines Mannes, der die Republik atomar hatte aufrüsten wollen, der den Spiegel und seine Journalisten  in heute wieder gängiger Maßlosigkeit als „die Gestapo im Deutschland unserer Tage“ bezeichnete (in einem Interview mit dem israelischen Blatte Haaretz) und deshalb angeblich gezwungen war, „gegen sie zu handeln“.

Man sieht; Deutschland hatte vor 55 Jahren schon so einen wie Trump, einen bayerischen Trump. Mit seinem Reden und mit seinem Tun mobilisierte er zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine kritische Öffentlichkeit, deren Kritik von den Medien geleitet und gebündelt wurde und wird.  Man wünscht sich im Jahr 2017, dass es Trump so  ergeht, wie es Strauß 1962/63 ergangen ist. Einen gewissen Dank hat sich Trump schon jetzt verdient: Er hat den bequemen Glauben daran zerstört, dass Demokratie und  Rechtsstaatlichkeit in den Kernstaaten der sogenannten freien Welt sich, und  sei es auch langsam, quasi automatisch weiterentwickeln. Wir lernen: nichts, gar nichts geht von selbst. Aufklärung ist nicht einmal vom Himmel gefallen und dann für immer da; in den USA nicht, in Frankreich nicht, in Deutschland auch nicht. Das Sichergeglaubte ist nicht sicher, weil Aufklärung  nicht ein einmaliges Ereignis darstellt. Aufklärung  ist immer, sie ist immer notwendig.  Und der journalistische Beruf – er ist genau dafür, für diese Aufklärung, da.

Gewiss – wir sind nicht die Exklusiv-Aufklärer. Aber wir sind, wenn wir gut sind, professionelle Entdecker und professionelle Erklärer. Das schließt nicht aus, dass das andere auch  können. Mit dem Journalismus ist das so ähnlich wie mit anderen Berufen auch. Nehmen wir einmal die Richter, einen Berufsstand, den ich am Beginn meines Berufslebens angehörte. Es gibt in Deutschland an die zwanzigtausend Richterinnen und Richter, aber es gibt viel, viel mehr Leute, die sich täglich auch ihr Urteil bilden. Es gibt in Deutschland einige hunderttausend Polizisten. Aber es gibt  noch  sehr viel mehr Leute, die auch ganz gut aufpassen darauf, was in ihrer Umgebung passiert. Es gibt zigtausend examinierte Pädagogen und Erzieher in Deutschland.  Aber es gibt sehr viel mehr Leute, Mütter und Väter, die Kinder erziehen, ohne dass  sie das  studiert haben. Die Leute, die sich ihr Urteil bilden, ohne dass sie Jura studiert haben, machen die Richter nicht überflüssig. Die Leute, die sich um ihr Wohnviertel kümmern, machen Polizisten nicht überflüssig. Und Leute, die ihre Kinder erziehen, machen Pädogogen nicht überflüssig.

So ist das  mit dem Journalismus auch. Es gibt zigtausend professionelle Journalisten in Deutschland. Aber es gibt auch noch sehr viele andere Leute, die auch ganz gut lesen und schreiben können, aber nicht recherchieren, reportieren und  kommentieren gelernt haben – und es trotzdem tun; manchmal gut, manchmal schlecht. Der professionelle Journalismus sollte verlässlich erklären, was  passiert – nach professionellen Kritikerien. Wenn ein Möbelverkäufer oder ein Fitnesstrainer oder ein Finanzbeamter das aus irgendwelchen Gründen auch kann – herzlichen Glückwunsch. Das  ist dann gewiss kein Grund zur journalistischen Larmoyanz.

Der Journalismus ist ja keine verspätete Veranstaltung des mittelalterlichen Zunftwesens. Den professionellen Journalismus kann man nicht mit Zunftordnung und Zunftzwang verteidigen, sondern nur mit Qualität und Können. Das  schafft, wenn es  gut geht, Vertrauen. Der Journalismus ist schon immer ein besonders freier Beruf gewesen. Die sozialen und  die  assozialen Netzwerke sind eine neue, globale Bühne für diese Freiheit. Auf  dieser Bühne gedeihen nicht nur Hass und Sex, dort gedeiht auch guter Journalismus. Kein Schauspieler muss sich vor einer neuen Bühne fürchten. Ein Journalist auch nicht. Der gute analoge  Journalismus ist ja kein anderer Journalismus als der gute digitale Journalismus. Die Grundlinien laufen quer durch diese Cluster und Raster. So einfach ist das. Und so schwierig.

Die Spiegel-Strauß-Affäre datiert in der Frühzeit des bundesdeutschen Journalismus.  In dem halben Jahrhundert seitdem ist viel passiert. Das Internet hat sie internetisiert.  Der mediale Informationsausstoß hat sich ungeheuer beschleunigt. Das Internet hat einen Echzeit-Journalismus geboren.  In der Entwicklung des Journalismus hatten zuerst Telefon, Funk, Satellit, Radio und Fernsehen aus einer distanzierten eine fast miterlebende Öffentlichkeit gemacht – aber nur fast.  Das Internet hat das „fast“ beendet, es hat, wie gesagt, den  Echtzeit-Journalismus geboren – dessen manchmal absurdes Kennzeichen der Live-Ticker ist, der eine schöne Einrichtung sein kann, aber absurd  ist, wenn er auch dann tickert, wenn es eigentlich wenig zu tickern gibt.

Die Hektik dieser Live-Tickerei der miteinander konkurrierenden Online-Redaktionen von bild.de, spiegel.online etc. etc. und die eiligen Bewertungen, Meinungsäußerungen, Blogs, die diese Tickerei begleiten, setzt Journalisten und Politiker gleichermaßen unter Zugzwang. Das ist in dieser Form, in dieser Wucht und in dieser Massivität neu. Das produziert eine Erregungsspirale, die sich immer schneller dreht, einen Erregungsstrudel, der immer heftiger saugt. Und damit sind wir, zum Beispiel,  beim Fall Wulff, der jetzt fünf Jahre zurückliegt.  Der Kollege Jörges vom Stern hat ihn als den „Urknall der hysterischen Republik“ bezeichnet. Urknall – das klingt so,  als habe es vorher noch keine Hysterien gegeben.  So ist es gewiss nicht. Aber der Fall des Christian Wulff war ein hysterischer Exzess, er hatte etwas Medienbestialisches.  Es gibt Zeiten, so hat der schon zitierte Kollege Jörges  damals geschrieben, da schleichen die Medien der Macht um die Beine wie schnurrende Kater; „erwacht aber die Bestie in ihnen, hat nicht nur die Macht, sondern auch die Öffentlichkeit Grund zur Furcht“.

Dieses  Wulff-Drama, dieser mediale Exzess spielte sich ziemlich genau fünfzig Jahre nach der Spiegel-Strauß-Affäre ab.  Der Maßlosigkeit der Politik folgte  also hier, fünfzig Jahre später, die Maßlosigkeit der Medien.  Gewiss – andere Sachverhalte, kaum vergleichbar. Verbindendes Element ist die Exzessivität, mit der sich jeweils eine Macht präsentiert und inszeniert.

Die Causa Wulff  war und ist ein Lehrstück für die Pressefreiheit. Diese Pressefreiheit ist nicht dafür da, Journalisten lust- und machtvolle Gefühle zu verschaffen. Sie ist nicht die Freiheit zur Selbstermächtigung und Selbstbefriedigung, die in einem Rücktritt den Höhepunkt findet. Die Pressefreiheit ist für die Demokratie da; und Demokratie ist etwas anderes als eine Meute, die Beute will. Zur Gewissenserforschung eignet sich am besten ein Satz von Paracelsus, dem großen Arzt aus dem 16. Jahrhundert, der eigentlich Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim hieß: Dosis sola venenum facit  – allein die Menge macht das Gift.

Es darf das Gefühl für die Dosierung, es dürfen die Maßstäbe, es dürfen die grundlegenden Rechtsprinzipien nicht verloren gehen, zu deren Verteidigung die Pressefreiheit da ist. Zu den grundlegenden Rechtsprinzipien gehört auch die Unschuldsvermutung.  Aber die Unschuldsvermutung hat ihre Unschuld verloren. Früher hat ein Trommelwirbel die Hinrichtung angekündigt. Heute leitet ein Medienwirbel das Ermittlungsverfahren ein. Sobald ein massiver Vorwurf – sei es der der Steuerhinterziehung oder, schlimmer, der Kinderpornografie – öffentlich geworden ist, ist der Hinweis auf die Unschuldsvermutung wie der Versuch, ein Schaufenster mit dem Taschentuch abzudunkeln.

Gewiss: man darf das Unschuldsprinzip nicht überfordern. Es fordert weder die Ermittler noch die Medien zu dem unmöglichen Kunststück auf, so zu tun, als sei ein Verdächtiger völlig unverdächtig. Sonst wären ja Durchsuchungen und andere Ermittlungsmaßnahmen unzulässig. Unschuldsvermutung heißt: Alle Eingriffe dürfen nur so weit gehen, dass man sie gegenüber einem Verdächtigen, der in Wahrheit unschuldig ist, noch verantworten kann.  Diese Verantwortung hat die Justiz, diese Verantwortung haben die Medien. Dieser Verantwortung werden wir nicht immer gerecht. Das ist dann nicht Lügenpresse, das ist einfach schlechter Journalismus.

Es ist ungut, wenn Übertreibungen ansteckend sind – wenn die Justiz, wie es etwa im Fall Hoeneß, mit einem Public Viewing des Gefängnisses, in dem der Fußball-Manager seine Haft antreten mußte, den Medienwirbel auch noch selbst organisiert. Sie hatte  zu einem absonderlichen Tag der offenen Gefängnistür eingeladen,  kurz bevor sich diese Tür hinter Hoeneß schloss. Das war, um es juristisch zu formulieren, eine aberratio, die sich als Befriedigung des öffentlichen Interesses tarnt. Wie gesagt: Es geht um Verantwortung.

Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, muss man sich über einiges im Klaren sein: Jeder, der einmal mit einem Mikroskop gearbeitet hat, weiß: da kriegen auch Winzigkeiten ungewöhnliche Dimensionen. Und weil an den Rädchen, an denen die Vergrößerung eingestellt wird, nicht der Wähler dreht, sondern der Publikator, hat der Rezipient auch nicht das Gefühl für den eingestellten Vergrößerungsfaktor. Alles erscheint ihm gleich ungeheuerlich. Auch das führt zu einer Vergiftung der Sprache, zu einer Verrohung der Kritik, wie man sie im Internet und den dortigen Meinungsäußerungen gut beobachten kann. Es darf nicht jeder Kleinkram skandalisiert werden.

Die Pressefreiheit ist ein großer Strom – wie der Rhein, die Donau oder der Nil. Nicht alles, was da schwimmt, ist sauber, und nicht alles, was da treibt, ist kostbar. Die Pressefreiheit trägt wertvolle und wertlose Artikel und Sendungen, sie trägt anständige und anstößige Fotos, sie erträgt langweilige und provozierende Karikaturen, sie trägt lucide und dumme Kommentare, sie trägt kluge Aufklärung und ungute Meinungsmache. Sie erträgt die Windhundrennen auch  darum, wer den Rücktritt eines Spitzenpolitikers zehn Minuten vor dem Konkurrenzmedium melden kann.  Pressefreiheit unterscheidet nicht nach Qualität, sie darf es nicht, weil sonst der, der über die Qualität urteilt, nach seinem Gusto den Schutz der Pressefreiheit gewähren und entziehen könnte. Pressefreiheit wäre dann kein Grundrecht, sondern ein Gnadenrecht, abhängig vom Geschmacksurteil.

Pressefreiheit funktioniert also nicht nach dem Prinzip, mit dem Aschenputtel die Linsen sortiert hat: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Wer Pressefreiheit unter den Vorbehalt politischer oder künstlerischer Qualität stellen will, macht sie kaputt.  Die Grenzen der Pressefreiheit setzt nicht der Takt, sondern das Recht – das Strafrecht, das Zivilrecht, das Presserecht. Gleichwohl ist nicht alles, was nicht rechtswidrig ist, toll. Es hat seinen Grund, warum es das Grundrecht der Pressefreiheit gibt: Pressefreiheit ist die Voraussetzung dafür, dass Demokratie funktioniert. Wird dieser Grundsatz nicht mehr geachtet, würde das  Grundrecht grundlos. Dann verlören Zeitungen, dann verlöre der Journalismus seine Zukunft.

Als vor knapp 25  Jahren der neue Münchner Flughafen eingeweiht wurde, ging der damalige Ministerpräsident Max Streibl mit den Journalisten stolz und beseelt durch die großen Hallen. Alles war blitzblank, weitläufig, weltläufig und edel; am Boden glänzte der polierte Granit, an den Wänden prangte moderne Kunst,  aus den Lautsprechern klangen die Weltsprachen. Als die Besichtigung nach zwei Stunden zu Ende war, fragte ein Journalist den Ministerpräsidenten, ob er in all dieser Pracht und Herrlichkeit etwas vermisse. Der Ministerpräsident stutzte kurz und sagte dann: „Es ist alles wunderbar, nur: Wenn man hier ankommt, merkt man doch gar nicht, dass man in München ist. Es könnte sich genauso um den neuen Flughafen in Paris oder in Melbourne handeln. Woran soll man denn hier erkennen, dass man in München gelandet ist? “ Ein Kollege schlug ihm daraufhin vor, man könne doch die nächste Landebahn „in Brezenform“ errichten. Das Gelächter war groß.

Sie schauen mich jetzt mit großen Augen an und fragen, was diese Geschichte denn mit dem Journalismus zu tun hat?  Warum erzählte ich Ihnen dieses Kuriosum? Wenn man dieser Geschichte nachhört, dann klingt hinter der Lustigkeit der Begebenheit und der vermeintlichen Provinzialität des Politikers etwas sehr Ernsthaftes, Wichtiges, Grundsätzliches. Die kleine Begebenheit führt uns nämlich zu einer Frage, die für den Journalismus viel wichtiger ist als für einen Flughafen: Was ist das Besondere, was ist das Erkennungszeichen, was ist das Unverwechselbare an einem guten Journalismus?

Was zeichnet den Journalismus so aus, dass er ein eigenes Grundrecht, das  der Pressefreiheit, wirklich verdient? Wie soll, wie muss der Journalismus seine Freiheit nutzen, auf dass sie Pressefreiheit heißen kann und darf?  Und was zeichnet die Printmedien, die wir heute hier preisen wollen, zuvorderst aus?  Weil eine Welt ohne Presse, weil eine Welt ohne guten Journalismus keine gute Welt wäre. Weil Presse animiert. Wenn die Presse und die Pressefreiheit nicht wären, gäbe es viel weniger Freiheit und weniger Demokratie. Man kann die Presse nicht hinwegdenken, ohne dass die Lebendigkeit des Gemeinwesens entfiele. Der Qualitätsjournalismus ist ein Lebenselexier einer freien Gesellschaft. Systemrelevant sagt man heute.

Guter Journalismus ist ein Journalismus, bei dem die Journalisten wissen, dass sie eine Aufgabe haben – und dass diese Aufgabe mit einem Grundrecht zu tun hat: Artikel 5 Grundgesetz, Pressefreiheit. Nicht für jeden Beruf gibt es ein eigenes, ein ganz spezielles Grundrecht, genau genommen nur für einen einzigen: Artikel 5 – das verpflichtet! Das  verpflichtet zur Sachkunde, die sich mit Souveränität, Ausdauer, Neugierde, Sorgfalt  und Aufklärungsinteresse paart.

Als in den ersten Tagen der deutschen Demokratie, im Jahr 1832, im Jahr des Hambacher Festes, die Regierung des bayerischen Königs die Druckerpresse eines Journalisten und Verlegers versiegelte, verklagte dieser Demokrat die Regierung mit dem Argument: Das Versiegeln von Druckerpressen sei genauso verfassungswidrig wie das Versiegeln von Backöfen. Das ist ein wunderbarer Satz, weil darin die Erkenntnis steckt, dass Pressefreiheit das tägliche Brot ist für die Demokratie. Das ist die demokratische Ur-Erkenntnis: Pressefreiheit ist das tägliche Brot für die Demokratie.

Ich bin in meinem früheren Leben Richter und Staatsanwalt gewesen. Die Justiz verfügt über massive Mittel zur Aufklärung. Aber bei den politischen Skandalen mit strafrechtlichem Kern war sie nicht besonders erfolgreich. Da ist, wenn wir die Geschichte der Republik betrachten, die Aufklärungsleistung der Prese sehr viel eindrucksvoller. Die Aufdeckungsarbeit der Presse war erfolgreicher als die der Justiz. Aber die Aufdeckungsmacht verlangt Sorgfalt, Umsicht, gründliche Recherche, sie verlangt die Achtung der Privat- und Intimsphäre, sie verlangt differenzierte Berichterstattung und die Wahrnehmung verschiedener Standpunkte. Die Bürger wissen zwischen Qualitätsjournalismus einerseits und nassforscher Rechthaberei andererseits sehr wohl zu unterscheiden.  Vielleicht sollten wir von Pressefreiheit weniger reden, sie aber dafür mehr praktizieren – das gilt für Verlage und Redaktionen. Sie beide müssen in ihrer Arbeit zeigen, was Pressefreiheit ist und was sie ihnen wert ist.

Wer Diskussionen auf Medientagen über Journalismus  verfolgt, der kann den Eindruck haben, dass die aufgeregte Kräherei, die es zu oft gibt, nun das eigene Ende herbeikräht.  Man schreibt sich sein eigenes fin de siècle.  Man schreibt und redet sein eigenes Produkt schlecht, so lange bis es alle glauben – selbst kluge Leute wie der große Philosoph Jürgen Habermas und der kluge  Verfassungsjurist Dieter Grimm; beide sind verschiedentlich für eine Staatsfinanzierung von Zeitungen eingetreten sind. Aber: Staatsfinanzierung kann verlegerischen Mut und journalistische Power und Phantasie nicht ersetzen. Staatsfinanzierung macht eher träge als munter. In Frankreich geht es den Zeitungen, die dort mit gut 40 Cent pro Exemplar vom Staat bezuschusst werden, nicht besser, sondern schlechter als in Deutschland. Staatsgeld macht träge. Man muss nicht nach Staatsfinanzierung rufen, nur weil man journalistische Inhalte viel zu lange im Netz kostenlos abgegeben hat.
Die deutsche Presse braucht kein Staatsgeld. Sie braucht aber Journalisten und Verleger die ihre Arbeit mit Leidenschaft und Phantasie machen. Sie braucht Journalisten, die neugierig, unbequem, urteilskräftig und integer sind. Sie braucht Verleger, die einen solchen Journalismus schätzen. Vielleicht braucht der Journalismus auch ein paar Mäzene. Es gibt sie und es gibt die Freude am unabhängigen Journalismus.

Der Journalismus müsse „konstruktiver“ werden, heißt es.  Die Kulturredaktionen des NDR haben dazu, zum konstruktiven Journalismus,  soeben eine, wie es in der Ankündigung  hieß, „crossmediale Debatte“ geführt.  Ich war gebeten worden, mich im Rahmen dieser Debatte zu äußern und war erst einmal irritiert. Ich bin es immer noch.  Ich mache es kurz: Ich kann mit so einer Forderung nichts anfangen. Ich habe deshalb ein wenig polemisch geantwortet. Der Journalismus soll, muss „konstruktiver“ werden! Bitte?   Für mich klingt das wie eine Twitterei von Donald Trump.

„Konstruktiver“  heißt dann wohl, so habe ich gehört, gelesen und gelernt: Der Journalismus soll positiver berichten, er soll nicht so kritisch sein, er soll sich mehr als bisher an die schönen Dinge halten, er soll die Leute möglichst  nicht aufregen und nicht aufbringen. Konstruktiver Journalismus: Meint das einen zuckrigen Journalismus? Einen, der den Leuten Honig ums Maul schmiert?  Ein bisschen Goldenes Blatt, ein bisschen Readers Digest, ein bisschen Apotheken-Rundschau? Also spannende Unterhaltung, Geschichten über Helden des Alltags und gute Nachrichten aus Gesundheit und Gesellschaft: Das alles  hat gewiss seine Berechtigung, auch das  soll sein. Gewiss.

Aber die Pressefreiheit ist eigentlich nicht für solch schäfchenweichen Sanso-Journalismus geschaffen worden. Es gibt die Pressefreiheit, weil sie für die Demokratie wichtig ist;  weil sie die Macht und  die Mächtigen kontrollieren soll;  weil sie die Bürger befähigen soll, die Zukunft der Gesellschaft so gut wie möglich mitzugestalten . Es gibt die Pressefreiheit, weil Medien systemrelevant sind  für die Demokratie. Es gibt die Pressefreiheit nicht  deswegen, weil sie systemrelevant ist für die gute Laune.
Ein guter Journalismus bleibt bei den Fakten;  er analysiert sie und bewertet sie, so sachkundig wie möglich. Er übertreibt nicht um des Übertreibens will, er haut nicht aus Gaudi auf den Putz; er macht keine Werbung für Lobbys, er fällt auch möglichst nicht auf Propaganda herein; guter Journalismus krakeelt  nicht herum. Kikeriki-Journalismus, also ein Journalismus, der besonders geil auf Schnelligkeit und Exklusivität ist, ist nicht per se ein ordentlicher Journalismus. Als ich in meiner Redaktion noch ein Jungspund war, sagte der alte Chefredakteur, als über die Druckbarkeit einer heiklen, aber exklusiven Meldung diskutiert wurde: Wenn wir das exklusiv drucken, haben wir das Dementi morgen auch exklusiv. Wir haben nicht gedruckt.  Es war dies, wenn ich mich recht erinnere, auch der Chefredakteur, der einmal einem heftig klagenden Dauerkritiker, der sich unflätig über die Kommentierung der SZ zum Berufsbeamtentum beklagte, einen Brief schickte, in dem er ihm das Abonnement entzog. Ob gut erfunden oder nicht: für mich ist diese kleine Sottise ein Ausdruck von skurril-liebenswürdiger Souveränität.

Exklusivität ist gut, exklusive Recherchen sind das Salz in der Suppe des Journalismus. Aber Exklusiveritis ist schlecht. Exklusiveritis ist eine journalistische Krankheit, die so tut als ob man aus ein paar Telefonaten mit vorhersehbarem Inhalt Sensationen stricken könnte.  Auch diese  Exklusiveritis gehört den journalistischen Fehlern. Aber deswegen muß man nicht so tun, als sei es nötig, Journalisten quasi zur Resozialisierung in die Heilsarmee einzugliedern.

Journalisten müssen Journalisten bleiben. Sie müssen nicht auf Entertainer umschulen, auch nicht auf Wellness-Trainer. Hauptaufgabe der Pressefreiheit ist es nicht, für gute Laune am Frühstückstisch zu sorgen.  Die Hauptaufgabe des Journalismus ist es, die Menschen zu befähigen, sich ein richtiges Bild von der Welt zu machen.  Der Journalismus muß sich nicht klein und rosarot machen. Ich bin klein, mein Herz ist rein, die Welt soll mit mir besser sein – das ist Larifari, nicht Journalismus. Der Journalismus macht Fehler, gewiss. Es geht darum, weniger Fehler zu machen. Es geht darum, Journalismus so machen, dass er die Gesellschaft nicht zynisch werden läßt. Es geht darum, die Gewichte richtig zu setzen. Am Wochenende war ich bei den traditonsreichen und klugen Tagen des Migrationsrechts, die früher Tage des Ausländerrechts hießen, an der katholischen Akademie in Stuttgart-Hohenheim – dorthin kommen Ministerialbeamte aus Bund und Ländern, die sich mit Ausländer- und  Flüchtlingsrecht befassen, dorthin kommen Rechtsanwälte, die sich auf dieses Rechtsgebiet spezialisiert haben, dorthin kommen die Leute von Wohlfahrtsverbänden, die in der Asylarbeit an der Front stehen. In den Diskussionen dort haben Teilnehmer händeringend gebeten, doch nicht nur über die Flüchtlingsfeindlichkeiten der AfD zu berichten, sondern auch über die Hilfsbereitschaft und die Anstrenungen der Zivilgesellschaft, die es nach wie vor gibt – und so etwas dafür zu tun, dass die Stimme der Humanität hörbar bleibt in diesem Land. Ich habe daraufhin einmal kurz Zahlen verglichen: Die AfD hat … xxxxx Mitglieder; Pro Asyl, eine große von vielen Flüchtlingshilfsorganisationen, hat xxxxxxxx Mitglieder.

Das ist wohl auch ein Gedanke, der die Befürworter eines konstruktiven Journalismus bewegt. Ich muss also meine Polemik gegen einen konstruktiven Journalismus ein wenig entschärfen.  Diese Polemik richtet sich aber auch gegen das Wort „konstruktiver“ – weil es so tut, als sei der Journalismus desktruktiv. Es geht also auch um die Terminologie. Ich meine:
Man muss nun nicht einen konstruktiven Journalismus erfinden und verordnen, um die Fehler zu vermeiden. Man muss  einfach guten Journalismus machen.

Und damit komme ich zum dritten und letzten Teil meines Vortrags. In diesem Teil möchte ich mich einem Kollegen widmen, der für mich immer der Inbegriff eines guten  Journalismus war – meinetwegen nennen Sie ihn konstruktiv. Der Mann ist tot, er hieß Ernst Müller-Meiningen junior.  Als ich vor 29 Jahren zur  Süddeutschen Zeitung kam, war er schon lang weg – aber nach wie vor unglaublich präsent; das war 1988. Er war präsent, obwohl ihm schon viele Jahre vorher, mit 71 Jahren, der  Abschied vom täglichen Zeitungsgeschäft radikal geglückt war –  und zwar „wider alle Erwartungen“, wie vier Jahre ein Kollege anlässlich des fünfundsiebzigsten Geburtstags von Müller-Meiningen schrieb.  Der Kollege Müller-Meiningen junior habe seit seinem Abschied, so heißt es da ebenso bewundernd wie ungläubig, „keine Zeile mehr geschrieben und die Redaktion nie mit Ratschlägen traktiert“.

Aber vielleicht, so sinnierte der Laudator,  „bosselt er ja an seinen Memoiren, die recht aufschlussreich werden müssten?“ Die Geschichte der Lizenzpresse sei noch nicht geschrieben, und der Jubilar sei ja vom ersten Moment an dabei gewesen. Der Laudator hatte recht. Zwei Jahre später erschien nämlich das galgenhumorige Buch „Orden, Spießer, Pfeffersäcke“. Im Untertitel hieß es „Ein liberaler Streiter erinnert sich“ – und der liberale Streiter erinnerte sich auch und vor allem an die, ich zitiere, „Dummheiten“ und die, ich zitiere nochmals, „Ahnungslosigkeit“ seiner Verleger. Dieses Buch war und ist das Gegenteil dessen, was der Autor einmal in  einem Kommentar dem Bayerischen Rundfunk bescheinigt hatte, nämlich: „Tritt leise und scheue jeden“.

Und mit der Vorstellung dieses gar nicht leise tretenden und vor niemandem scheuenden Pfeffersack-Buches in aufgeladener, ja verschwörerischer Atmosphäre und drangvoller Enge in einer Schwabinger Kneipe begann meine Zeit bei der Süddeutschen Zeitung. Ich lernte übrigens bei dieser Gelegenheit, welch undankbare Aufgabe der Chefredakteur so einer großen Zeitung hat. Der damalige Chefredakteur, noch nicht lange im Amt und deshalb besonders vorsichtig, hatte nämlich die Besprechung des Buches, die ein vorwitziger Redakteur beim Zeit-Autor Hanno Kühnert bestellt hatte, verbieten müssen und gar von einer Klage der Verleger gegen ihren alten Haudegen Müller-Meiningen geraunt. Das und der Verdacht der Redaktion, dass die rechts- und innenpolitische Liberalität des Blattes, die von Müller-Meiningen geprägt worden war, nun weggewischt werden sollte, hatte zu der aufgeladenen, verschwörerischen Atmosphäre bei der Buchvorstellung geführt.

Der gebieterische Greis, der da im verrauchten Wirtshaus stand, kam mir vor wie der König Artus der journalistischen Tafelrunde – und ich, der gewesene Richter aus Regensburg und nunmehrige junge SZ-Journalist  kam mir vor wie der junge Parzival kurz nach dem Auszug aus den heimischen Wäldern. Im Lauf dieses Abends nahm mich König Artus zur Seite, erkundigte sich nach meinem beruflichen Vorleben, von dem er Schreckliches gehört hatte, und gab mir dann eine Mahnung mit auf den Weg, von der ich in Erinnerung behalten habe, dass ich ihm „keine Schande machen“ solle. Der Senator hat diese Worte später, in der Zeit, als ich ihn schon duzen und „Wamse“ nennen durfte und er mir, quasi als Ritterschlag, das letzte Exemplar seiner Schrift über „Die Parteigenossen“ aus dem Jahr 1946 geschenkt hatte, energisch bestritten. Aber es ist halt so wie bei einer Firmung: Der Firmling und der Firmpate haben da so jeweils ihre eigenen Erinnerungen.

Ich kannte ihn natürlich schon, bevor ich ihn kennengelernt habe. Wenn ein junger Jurist vor gut zwanzig Jahren darüber nachgedacht hat, ob nicht auch der Journalismus ein schöner Beruf sein könnte, dann war es gut möglich, dass er dafür vor allem einen Grund hatte: Der hieß Müller-Meiningen junior, und für viele der Leserinnen und Leser der SZ war dieser Junior,  wie mir, ein Inbegriff dessen, was sie sich unter unabhängigem Journalismus vorstellten. Den Namensbestandteil „junior“ legte er sich übrigens zu, um sich seinem Vater Ernst Müller-Meiningen, der in Weimarer Republik bayerischer Justizminister und Vize-Ministerpräsident war, zu unterscheiden.  Der Sohn hatte vom Vater nicht nur den Hang zur Juristerei und die liberale Gesinnung geerbt, sondern auch den Vornamen Ernst, unter Freunden „Ernste“.

Seinen Doktor machte Müller-Meiningen bezeichnenderweise mit einer Arbeit über „Die Beleidigung von Personen, die im öffentlichen Leben stehen“. Das war gewissermaßen ein prophetisches Werk, denn im Jahr 1955 klagte der damalige Präsident des Bundesgerichtshofs namens Weinkauff wegen Beleidigung gegen Müller-Meiningen junior. Der hatte, im Zusammenhang mit dem KPD-Verbotsprozess beim Bundesverfassungsgericht, wie folgt kommentiert: Auch „beim benachbarten Bundesgerichtshof hat sich die Gangart inzwischen verschärft. Jene fünf Jahre Zuchthaus, welche dem FDJ-Funktionär Angenfort wegen Vorbereitung zum Hochverrat zudiktiert wurden, sind für eine politische Überzeugungstäterschaft unverhältnismäßig hart und erinnern schon beinahe an böse Beispiele aus der Ostjustiz der roten Dame Hilde Benjamin.“

Das Strafverfahren wurde, der damalige Generalbundesanwalt Güde spielte den Vermittler, durch eine gemeinsame Erklärung beendet, die zwei Teile hatte. Im ersten Teil hieß es, Müller-Meiningen „hat den 6. Strafsenat keineswegs mit den Methoden der Hilde Benjamin auf eine Stufe stellen  wollen … sondern vor überhohen Strafen gegen politische Überzeugungstäter warnen wollen.“ Müller-Meiningen hat deswegen lange mit sich gehadert, ob er den Fall nicht doch hätte durchfechten sollte. Aber im zweiten Teil der gemeinsamen einvernehmlichen Erklärung hieß es, sowohl der Bundesgerichtshofs als auch die Süddeutsche Zeitung dienten dem Ziel, „den Rechtsstaat zu verwirklichen“. Das war, wie gesagt, im Jahr 1957. Das Attest des Präsidenten des Bundesgerichtshofs könnte man eigentlich regelmäßig über dem Kopf der SZ auf Seite eins abdrucken: „Sowohl der Bundesgerichtshof als auch die Süddeutsche Zeitung dienen dem Ziel, den Rechtsstaat zu verwirklichen“.

Solche Wirkung also hatten die Stücke, die seine Kommentare erzielten, die unter dem ebenso geachteten wie gefürchteten Kürzel „M.-M. jr“ erschienen  – Kommentare, die auf Demokratisierung, auf Erneuerung des Rechtsbewusstsein zielten, viertausend im Lauf von rund dreieinhalb Jahrzehnten, unverwechselbar in ihrem direkten und unverblümten Stil; Kommentare, besonders gern über obrigkeitliche und bürokratische Eskapaden.

Er war in seinen aktiven Jahren sehr viel  mehr als der Rechtspolitiker der Süddeutschen Zeitung; er war das gute Gewissen des liberalen Journalismus in Deutschland – ungemein streitbar und ungemein humorvoll zugleich. Als der CSU-Politiker Friedrich Zimmermann einmal in den Verruf eines „Meineid-Bauern“ geriet, war er der einzige Journalist, der ihn gegen diesen Vorwurf in Schutz nahm – da doch Zimmermann nachweislich nie als Landwirt tätig gewesen sei.

Auch als Senator, er war Mitglied des mittlerweile abgeschafften Bayerischen Senats als Vorsitzender der Bayerischen Journalisten, hat er, wie mir die ganz Alten berichtet haben,  Tag für Tag an seinem angestammten Platz in der Redaktionskonferenz gesessen, hat mitgeplant und mitgeschimpft. Und wenn den Anderen manchmal nichts Rechts mehr einfiel, zog der Junior noch eine Glosse aus dem Ärmel (mit Vorliebe zum Sport). Es gehörte eben auch dies zu seinem Charakter: Spaß, Witz und Ironie, gewonnen aus einer humanen Skepsis, auch gegenüber sich selbst.

Aber einmal hört aller Spaß auf. Die Ironie schlug in Empörung um, wenn es um Folter und Todesstrafe ging oder darum, dass der Presse- und Meinungsfreiheit gesetzliche Fangeisen angelegt werden sollten. Dann wurde Müller-Meiningen junior todernst, dann schrieb er Kommentare, die man noch nach Jahren, die man noch heute mit Gewinn lesen kann. Warum? Weil man spürt, dass da einer sich sein Leben lang von nichts hat verbiegen lassen – nicht von berufsspezifischen Schwierigkeiten, (wenn hin und wieder die Ansicht von Verlegern und Journalisten nicht so recht übereinstimmten); nicht von Pressionen (wenn ein Leitartikel zu Beamtenfragen einige hundert organisierte Abbestellungen provozierte).

Er hat sich auch nicht davon beeindrucken lassen, wenn ihm ein Chefredakteur nach seinem scharfen Leitartikel und heftigem Streit in laufender Redaktionskonferenz ihm das „Du“ und die Freundschaft auf kündigte. Und schon gar nicht hat sich dieser Müller-Meiningen beeindrucken lassen von der wirklichen oder auch nur eingebildeten Bedeutung all der wichtigen Persönlichkeiten, mit denen ein Journalist umgehen muss.
Es muss nicht zuletzt diese Tugend der mangelnden Beeindruckbarkeit gewesen sein, die ihn davor bewahrt hat, sich auch nur im geringsten mit den aufgeblasenen Machthabern des Dritten Reiches einzulassen. Er hat es vorgezogen, als Angestellter einer Bank zu überwintern.

In melancholischen Stunden hat er von sich gesagt, er sei im Grunde seines Herzens ziemlich schüchtern. Gleichwohl verkörperte er den Stolz und das Selbstbewusstsein, das dem gefährdeten Stand der Journalisten so Not tut. Einer wie er diente eben nicht der Diktatur wie der Demokratie mit gleicher Begeisterung als Hofsänger; einer wie er würde sich nie im Leben als unterwürfiger Stichwortgeber missbrauchen lassen, wenn er ein Interview zu führen hat. Einer wie er hätte, um Herbert Riehl-Heyse zu zitieren, lieber die Schreibmaschine aus dem Fenster geworfen, als dass er irgendwann in eine staatstragende Partei eingetreten wäre, um unter ihrem Schirm dann Karriere zu machen.

Sebastian Haffner hat einmal geschrieben, der journalistische Beruf sei wenig geeignet für die Unsterblichkeit. Das mag sein. Aber man kann in diesem Beruf unglaublich alt werden und dabei unglaublich jung bleiben – wenn man so ist wie er. Er sei eine „furchterregende Autorität“ hat einmal ein Freund über ihn gesagt; er war nämlich sprachmächtig nicht nur beim Schreiben, sondern auch beim Reden. Er tat dies in ebenso klaren wie wohlgesetzten Worten und derart intensiv, dass man dem Missstand, über den er da räsonierte, „schon ohne Niederschrift kaum mehr eine Zukunft“ gab (Hermann Unterstöger). Dieser „M-M jr.“ stand zwei Jahrzehnte, von 1951 bis 1971, an der Spitze des Bayerischen und des Deutschen Journalistenverbandes, er war Gründungsmitglied des Deutschen Presserats und er gehörte diesem Selbstkontrollkollegium von 1956 bis 1970 an. Er  hat nicht nur den Journalistenverband, er hat nicht nur meine Zeitung, er hat den Journalismus der demokratischen Bundesrepublik geprägt.

Dieser Kollege Müller-Meiningen jr., hat in seiner Person gezeigt, was Pressefreiheit bedeutet: Pressefreiheit ist nicht ein Grundrecht zur bequemeren Berufsausübung. Pressefreiheit ist ein großes Recht und eine große Pflicht zugleich. Nicht für jeden Beruf gibt es ein eigenes, ein ganz spezielles Grundrecht, genau genommen nur für einen einzigen, für unseren. Artikel 5 –  verpflichtet!  Das Grundrecht nach Artikel 5 gibt es deswegen, weil der Journalismus, weil die Presse demokratierelevant ist.  Journalisten sind Demokratiearbeiter, sie sollen, sie müssen es sein. Das hat mich Müller-Meiningen junior gelehrt.

Er war kein Heiliger, aber er ist ein Vorbild; mir jedenfalls. Und vielleicht tut es  uns ganz gut, wenn wir, beim Nachdenken über die Zukunft unseres Berufes, uns das Leben und  Wirken derer vor Augen halten, die uns in der Vergangenheit ein gutes Beispiel gegeben haben. Das hilft uns vielleicht bei der Ehrenrettung unseres systemrelevanten Berufs.

Prof. Dr. Dr. h.c. Heribert Prantl ist Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und Leiter des Ressorts Innenpolitik

Und, zu guter Letzt, möchten wir Sie (bei dieser passenden Gelegenheit)
mit der „Rundschau Credo“ bekannt machen

Mai 2017 | Allgemein, Essay, Feuilleton, Junge Rundschau, Politik, Senioren | Kommentieren