Hohe Erwartungen an Emmanuel Macron
Vor der Stichwahl in Frankreich bekommt Emmanuel Macron demonstrative Rückendeckung. So riefen führende Köpfe von Sozialisten und Konservativen, Präsident Hollande und EU-Spitzen dazu auf, Macron zu unterstützen und nicht die rechtsextreme Marine Le Pen zu wählen.
Le Pen wird diesen Schulterschluss ausschlachten, warnen Kommentatoren und analysieren, welch hohe Erwartungen nun auf Macron lasten.
DE STANDAARD (BE)
Kandidat darf seine Anhänger nicht enttäuschen
Welch hohe Erwartungen Macron nun aufgebürdet werden, analysiert De Standaard:
„Die rasend schnelle Neuaufstellung der französischen Politik um den jugendlichen Sieger der ersten Runde legitimiert das ‚Alles-dasselbe‘-Argument von Le Pen. Dieses Signal wurde durch die sichtbare Erleichterung der Führer in Europa und im Ausland noch verstärkt. Es gibt nur noch eine Kandidatin außerhalb des politischen Konsenses, und das ist sie. Wenn sie noch einen Trumpf in der Hand hält, dann ist es dieser. … Es wäre mehr als voreilig, den Schluss zu ziehen, dass die rechtspopulistische Welle in Europa ihren Zenit überschritten hat. Auf Emmanuel Macron ruht also eine große Verantwortung. Eine junge, offene, optimistische Bewegung hat ihn auf den Weg zur Macht gebracht. Vielleicht kann sein erneuertes Frankreich einen europäischen Aufbruch in Gang setzen. Wenn er diese noch frische Bewegung enttäuscht, dann wird ihm das die Geschichte schwer anlasten.“
Bart Sturtewagen
PRÁVO (CZ)
Sicherheit ist Macrons Achillesferse
Emmanuel Macron tut gut daran, Marine Le Pen nicht zu unterschätzen, mahnt ähnlich Právo und verweist auf die Themen, die den zweiten Wahlgang entscheiden dürften:
„Das Finale Macron gegen Le Pen wird einerseits ein Streit über die Zukunft der EU. Zwischen einem Politiker, der die Integration verteidigt, und seiner Konkurrentin, die aus der Eurozone raus will und ein Referendum über den Verbleib Frankreichs in der EU anstrebt. Das Duell wird zudem ein Streit über Sicherheit und den Kampf gegen den Extremismus. Dieses Thema kann man nach zwei Jahren einer beispiellosen Welle des Terrorismus nicht von der Flüchtlingskrise trennen. Dies ist das As im Ärmel von Le Pen. Macron, der die jetzige Flüchtlingspolitik Brüssels gutheißt, muss – wenn er denn überzeugend gewinnen will – die Franzosen überzeugen, dass er auch Sicherheit garantieren kann. Da hat er eine harte Nuss zu knacken.“
Jaroslav Zbožínek
CUMHURIYET (TR)
Frankreich klammert sich an seinen Retter
Die Franzosen sehen Macron als den Strohhalm, an den sie sich klammern können, um nicht im Rechtspopulismus zu ertrinken, erklärt Cumhuriyet:
„Weil ein Teil der traditionellen Rechts-Wähler und generell eine große Mehrheit der Links-Wähler – zum Glück – weiterhin den progressiven Neoliberalismus einem reaktionären Populismus vorzieht, wird Macron, fast ohne dass er irgendetwas von Belang gesagt hat und ohne zuvor jemals für ein Amt kandidiert zu haben, unter Berufung auf allgemeine Floskeln zum Präsidenten gewählt. … Die französische Gesellschaft hat verinnerlicht, dass der Rechtsextremismus fortan ein Grundakteur der politischen Bühne ist und verdrängt das, indem sie sich an einen Retter klammert, der ein nahezu inhaltsloses Programm mit den unablässig wiederholten Worten Erneuerung, Bewegung und Wandel verpackt.“
Ahmet Insel
DE VOLKSKRANT (NL)
Die Unzufriedenheit verschwindet nicht
Skeptisch zeigt sich ebenso De Volkskrant und fürchtet, dass Frankreich auch nach einem Sieg Macrons gespalten bleiben wird:
„Ein Land voller Unzufriedenheit, schwer zu leiten und ohne klare Richtung. Le Pen sieht die Schlussrunde als Streit zwischen ‚Patrioten‘ und ‚Globalisten‘ – die noch nie populär in Frankreich waren. … Immigration und fehlende Grenzkontrollen sind schwierige Themen geworden in dem Land, das Anschläge mitten ins Herz trafen. … Der Ausnahmezustand bleibt vorläufig in Kraft. Der Blick auf Wahlen anderswo offenbart Parallelen, dieselben Gründe für die Unzufriedenheit. Immigration ist einer, die Wirtschaft ein anderer. … Während Politiker noch Antworten auf die Megatrends suchen, rechnet der Bürger im Wahllokal bereits ab. Und dabei zweifelt er manchmal am Wert der Demokratie. Macrons Sieg ist erfreulich und hoffnungsvoll. Aber der genaue Blick zeigt: Der Ausnahmezustand gilt eigentlich für den gesamten Westen.“
Arnout Brouwers
THE NEW YORK TIMES (US)
Botschaft der Hoffnung müssen Taten folgen
Die Zukunft Frankreichs und ganz Europas hängt davon ab, ob Macron nach seiner Wahl echten Wandel bringen kann, meint The New York Times:
„Frankreich steuert vielleicht auf eine neue, zersplitterte politische Ära zu. Doch am Sonntag zeigten die Wähler des Landes, dass sie für Macrons Botschaft der Hoffnung und der damit verbundenen Offenheit für Zuwanderer und Vielfalt empfänglich geblieben sind – und das trotz der jüngsten Terroranschläge und Le Pens dunklen Wahlkampfs. Macron erklärte am Sonntag, dass er ‚Präsident von Patrioten‘ sein wolle, ‚um der Bedrohung durch die Nationalisten entgegenzutreten‘. Er gibt sich als jener, der nach Jahrzehnten des Scheiterns der Regierenden in Frankreich echten Wandel bringen kann. Das Land steht nun am 7. Mai vor einer schwierigen Entscheidung. Die Zukunft Europas hängt nicht nur davon ab, ob Macron gewinnt, sondern auch davon, ob er danach seine Versprechen einlösen kann.“
LE MONDE (FR)
Schwächelndem Front National droht Krise
Dass das Wahlergebnis vom Sonntag für den Front National den Beginn einer Zerreißprobe darstellen könnte, glaubt Politikwissenschaftler Florent Gougou in Le Monde:
„Paradoxerweise könnte Marine Le Pens Qualifizierung für die zweite Runde der Präsidentschaftswahl die seit ihrer Übernahme der Parteiführung 2011 in Gang gebrachte Dynamik jäh beenden. Dass sie auf dem zweiten Platz hinter Emmanuel Macron gelandet ist, stellt unbestreitbar ein Scheitern für die Partei dar, die sich rühmte, stärkste politische Kraft des Landes zu sein. Eine deutliche Niederlage im zweiten Wahlgang und die Bestätigung ihres Unvermögens, bei der Parlamentswahl weitere Sitze hinzuzugewinnen, dürfte schwelende Spannungen hinsichtlich der Strategie der Partei aufbrechen lassen. Diese lassen sich grob mit der Konfrontation zwischen der konservativen und auf Identitätsfragen ausgerichteten Linie von [Marine Le Pens Nichte] Marion Maréchal-Le Pen und dem sozial-nationalistischen Kurs [des FN-Vizechefs] Florian Philippot skizzieren.“
Florent Gougou
Hohe Erwartungen an Emmanuel Macron
Schlappe für Frankreichs traditionelle Parteien
Zum ersten Mal seit Einführung der Direktwahl in Frankreich haben es weder der sozialistische noch der konservative Kandidat in die Stichwahl geschafft. Die traditionellen Parteien haben sich ihren Niedergang allein selbst zuzuschreiben, erinnern Kommentatoren. Doch sie mahnen auch: sollte Macron Präsident werden, ist dies für ihn kein Grund zur Freude.
DUMA (BG)
Konservative und Sozialisten sind selbst schuld
Frankreichs traditionelle Parteien haben die Quittung dafür erhalten, dass sie sich aus Machtkalkül bis zur Unkenntlichkeit einander annäherten, kritisiert Duma:
„Die Konservativen, die sich mal Gaullisten nannten, haben nichts mehr gemein mit den Prinzipien, die ihnen der Gründer der V. Republik, General de Gaulle, vererbt hat. Die Linken wiederum haben nach und nach der Sozialpolitik den Rücken gekehrt, bis sie unter Hollande selbst traditionelle soziale Errungenschaften aufgegeben haben, die als Grundfesten des französischen Sozialstaats galten und wegen denen Frankreich bis heute als eines der Länder mit der größten sozialen Gerechtigkeit in Europa gilt. Die Symbiose zum Zweck des Machterhalts hat die Traditionsparteien zerstört. Die Frucht ihrer Liebe, das nebulöse Phänomen Macron, hat sie letztlich beide eingeschläfert.“
Svetlana Mihova
ABC (ES)
In der Mitte blieb nur Macron
Statt an den Rändern des politischen Spektrums um Stimmen zu werben, sollten sich die traditionellen Parteien wieder auf die Mitte besinnen, rät ABC nach Macrons Erfolg:
„Die traditionellen Parteien Europas – einschließlich Spaniens – täten gut daran, das Ergebnis des ersten Durchgangs der französischen Präsidentschaftswahl genau zu analysieren. Die Wähler haben mit Emmanuel Macron keine richtige Partei, sondern eine eher marginal erscheinende Bewegung unterstützt. Sie sahen darin das beste Modell, um Extremisten und Demagogen der extremen Linken und der extremen Rechten aufzuhalten. … Die Republikaner begingen den Fehler, mit Zugeständnissen an die Radikalen dem Front National Wähler abwerben zu wollen. Und die Sozialisten taten dasselbe mit einem möglichst linken Kandidaten, der Mélenchon Stimmen streitig machen sollte. … Die Wähler haben stattdessen auf jemanden gesetzt, der für Mitte und Flexibilität steht.“
DENNIK N (SK)
Macron braucht das System
Die Wahl brachte zwar eine klare Niederlage der traditionellen politischen Elite, doch Macron und die von ihm Geschlagenen brauchen einander, ahnt Dennik N:
„Die Verluste der traditionellen Parteien können Macron nicht gefallen. Er ist kein Antisystem-Politiker. Ihm geht es darum, das System zu reformieren, nicht darum, es zu zerstören. Für die Verwirklichung seiner Politik braucht er eine ausreichend starke und stabile Regierung und eine Parlamentsmehrheit, mit der er zusammenarbeiten kann. … Die anstehende Parlamentswahl kann ganz anders als die Präsidentschaftswahl laufen und den traditionellen Parteien die Chance zur Rückkehr geben. Macron wird ihnen dafür die Daumen drücken. Diese Parteien müssen ihrerseits den Schulterschluss mit Macron suchen, um die Extremisten zu stoppen und das demokratische System zu bewahren. Dass sie Macron vor der Stichwahl ihre Unterstützung zusichern, zeigt, dass sie ihren Selbsterhaltungstrieb noch nicht verloren haben.“
Peter Morvay
DER STANDARD (AT)
Handlungsunfähigkeit ist programmiert
Egal, wer die Stichwahl gewinnt, Frankreichs V. Republik ist am Ende, urteilt Der Standard:
„Auch wenn Le Pen nicht in den Élysée-Palast einziehen dürfte, sind die Ursachen, die ihr und all den anderen Populisten in Europa so viel Auftrieb verleihen, keineswegs überwunden. … Das ganze Verfassungssystem beruht auf der starken Stellung des Staatspräsidenten. Doch seine Legitimität wird nun von Anfang an schwach sein: Der Bestplatzierte, Emmanuel Macron, erhielt im ersten Wahlgang nicht einmal ein Viertel der Stimmen – bedeutend weniger als vor fünf Jahren François Hollande, dessen Amtszeit ein einziger Kreuzweg war. Macron wird zudem dem Vorwurf ausgesetzt sein, den zweiten Wahlgang nur dank eines republikanischen Schulterschlusses gegen Le Pen, so wie Jacques Chirac 2002, fast ‚automatisch‘ gewonnen zu haben. Doch schon Chirac war danach kaum mehr handlungsfähig.“