Obgleich bereits in den 60er Jahren Bevölkerungswissenschaftler vor einer Vergreisung unserer Gesellschaft und den Folgen dieses demographischen Wandels warnten, ist dieses Problem erst seit wenigen Jahren im Fokus von Politik und Öffentlichkeit. Gerade stellte das zuständige Bundesministerium unter Ursula von der Leyen eine Studie vor, welche prognostiziert, dass Deutschland in knapp 30 Jahren die älteste Bevölkerung der Welt haben wird. Neben einem geplanten Unterstützungsprogramm für die Silver-Economy warb die Ministerin dafür, Alter als Chance zu begreifen, besonders als Chance für die Wirtschaft.

Der heute zur älteren Generation zugehörige Teil der Bevölkerung hat eine nie gekannte Freiheit, Freizeit und Selbstbestimmung. Schon lange nicht mehr genügt  die klassische Dreiteilung der Lebensphasen: Kindheit – Erwerbszeit – Alter. Soziologen sprechen von vier Alterstufen und nehmen eine Teilung der Altersphase mit dem 65. Lebensjahr vor: Das Glück des Alters, die schmerz- und krankheitsfreie Zeit; und dann das Leid des Alters, statistisch etwa ab dem 80. Lebensjahr, die Zeit der Hochaltrigkeit.
Programm und Aufruf der Ministerin zielt jedoch vorrangig auf die erste Phase. Das ignorieren der „Leidensphase“ ist indessen symptomatisch. Das jüngste Pflegereförmchen ist das prominenteste Beispiel hierfür, jedoch sind Maßnahmen in diesem Bereich dringend geboten: 33 Prozent der über 85-Jährigen sind Pflegefälle, 58 Prozent der über 90-Jährigen. Wer von der Freiheit des Alters spricht, darf von den Nöten des Alters nicht schweigen. Für beide Phasen sind nicht nur Reformen sondern auch ein Umdenken dringend notwendig – bieten sie doch auch Chancen und Potentiale – wiewohl eben unterschiedliche.

Vergreisen nach Plan?

Das Statistische Bundesamt bringt das so unter die Leute: während  Ostdeutschland einerseits vergreist, sucht es andererseits eine Perspektive. Alsdann, „der Osten ist“ – war – „rot“ mittlerweile ist er Altersheim der Republik, Reservat für Senioren? Also: Vergreisen nach Plan?
Fakt ist jedoch: Die Bevölkerung in Ostdeutschland wird bis 2050 mehr als doppelt so schnell schrumpfen wie in den alten Bundesländern. Auch die zunehmende Alterung trifft den Osten härter. Kommen derzeit noch 35 Senioren auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter (von 20 bis 65 Jahre), so werden es 2050 bereits 80 sein. Und die Geburtenrate sinkt.
Zudem ist eine entgegengesetzte Wanderbewegung festzustellen: Jüngere ziehen – auf der Suche nach Arbeit – in die alten Bundesländer, ältere Menschen – auf der Suche nach günstigeren Lebenshaltungskosten – in die neuen Bundesländer. Selbst im boomenden Sachsen steigt das Durchschnittsalter so, dass der (ehemalige und künftige) Ministerpräsident sich junge „qualifizierte Zuwanderer“ wünscht. Wie soll es da erst in Regionen sein, wo Menschenleere und Stellenleere einander begegnen? Aus dieser Erfahrung stammt die Hoffnung auf eine Aufschwungsformel, die lautet: Solvente Rentner schaffen dauerhafte Jobs für preiswerte, junge Pflegekräfte.
Doch kann das nicht alles gewesen sein. So viele Pflegekräfte könnte Ostdeutschland gar nicht generieren; zumal die Alten immer rüstiger werden.

We Want You!

Trotz der steigenden Lebenserwartung wird die Pensionierung häufig noch als der Anfang vom Ende betrachtet. Was Wunder ist diese Sicht nicht zukunftsfähig.
Nehmen wir die positiven Seiten des Alterns überhaupt wahr? Es bedeutet ja nicht nur körperliche Schwäche und zunehmende Hilfsbedürftigkeit, sondern in aller Regel: frei verfügbare Zeit bei oft guter Gesundheit, regelmäßigem Einkommen, ohne dafür etwas tun zu müssen, und keine Verpflichtungen in der Kindererziehung.
Wer heute in den Ruhestand geht, hat durchschnittlich noch mehr als 20 Lebensjahre vor sich, die er in guter körperlicher und geistiger Gesundheit und mit ausreichender Versorgung verbringen kann. Um unser Alter erfüllt zu leben, brauchen wir allerdings die Überzeugung, dass auch der dritte Lebensabschnitt sinnvoll ist und uns klare Aufgaben stellt. Wer Ziele hat, bleibt lebendig und altert langsamer. „Wer aufhört zu lernen, ist alt. Er mag zwanzig sein oder achtzig!“ – das wußte bereits Henry Ford. Eine wichtige Chance bietet das Ehrenamt, welches in Deutschland noch vergleichbar wenig genutzt wird (26 Prozent der über 60-Jährigen). Arbeit gibt es immer. Einige ältere alleinstehende Frauen haben sich bspw. auf das Haushüten für Urlauber spezialisiert. Eine weitere Möglichkeit bietet der „Senior Experten Service“ in Bonn (SES). Flexible Jungsenioren können zu Expertendiensten auf alle Kontinente ausreisen, wodurch seit 1983 mehr als 14.000 Personen in über 180 Länder vermittelt wurden. Brüder zur Sonne, ins Ausland? Schwestern natürlich auch.

got

Sep 2009 | Allgemein, Zeitgeschehen | Kommentieren