hoch_und_guckWenn es darum geht, brisante und zum Teil als geheim eingestufte Informationen öffentlich zu diskutieren, stehen nicht nur Journalisten, sondern auch ihre Hinweisgeber immer stärker unter Druck. Zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren ging der General-bundesanwalt im Sommer 2015 wieder gegen Journalisten vor. Wegen des Verdachts auf Landesverrat ermittelte er gegen die Betreiber des Blogs netzpolitik.org, Markus Beckedahl und Andre Meister.

Sie hatten im Frühjahr 2015 über den geheimen Ausbau der Internetüberwachung durch den Verfassungsschutz berichtet und als vertraulich eingestufte Originaldokumente veröffentlicht. ROG kritisierte, die Bundesanwaltschaft missbrauche das Strafrecht, um Journalisten und ihre Informanten einzuschüchtern, und veröffentlichte die umstrittenen Dokumente als Zeichen der Solidarität ebenfalls auf der Internetseite der Organisation. Nach heftigen Protesten entließ Justizminister Heiko Maas am 4. August Generalbundesanwalt Harald Range. Dessen Nachfolger stellte die Ermittlungen gegen die Journalisten wenige Tage später ein. Nicht eingestellt wurden jedoch die Ermittlungen wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen gegen unbekannt – also gegen den Informanten der Blogger.

geheimdiensteDass Whistleblower in Deutschland nicht ausreichend geschützt sind, zeigten auch andere Fälle. Im Juli 2015 ermittelte die Frankfurter Staatsanwaltschaft wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen gegen unbekannt, nachdem die Bild-Zeitung mit Hinweisen auf vertrauliche Quellen über defekte Schutzwesten bei der hessischen Polizei berichtet hatte. In Baden-Württemberg setzten sich Innen- und Justizministerium für Ermittlungen wegen Geheimnisverrats gegen unbekannt ein, nachdem die Stuttgarter Zeitung Informationen aus einer als geheim eingestuften Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses veröffentlicht hatte. In Lüneburg stand im Frühjahr 2016 ein früherer Oberstaatsanwalt wegen Geheimnisverrats vor Gericht. Ihm wurde vorgeworfen, er habe den Weser-Kurier über Pläne der Polizei informiert, die Investigativ-Reporterin Christine Kröger zu überwachen.

Wie stark Journalisten und ihre Informanten im Fokus von Ermittlungen stehen, wenn nach undichten Stellen in Geheimdiensten und Behörden gesucht wird, wurde Ende 2015 durch Recherchen des Berliner Tagesspiegel deutlich. Per Gerichtsentscheid zwang die Zeitung die Regierung, Auskunft über die Zahl der Fälle von Geheimnisverrat beim Bundesnachrichtendienst zu geben. Demnach zählte der BND von Januar bis Oktober 32 Verstöße gegen die einschlägigen Geheimschutzvorschriften – bis auf drei Ausnahmen allesamt durch Veröffentlichungen in Medien. In jedem dieser Fälle wird ein formeller Prüfvorgang eingeleitet, um die Quelle des Geheimnisverrats ausfindig zu machen. Die veröffentlichten Zahlen zeigen, dass seit 2013 Jahr für Jahr mehr als Verschlusssache eingestufte BND-Dokumente an die Öffentlichkeit gelangen. Der Versuch des Tagesspiegels, auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz zu erfahren, in welchem Umfang die Behörde Journalisten und Parlamentarier überwacht, scheiterte hingegen. Da solche Zahlen nicht vorlägen, erfordere eine Antwort „umfangreiche Recherchen in einer Vielzahl von Akten, die einzeln zu überprüfen sind“, urteilte das Kölner Verwaltungsgericht im Januar 2016, und solche Recherchen seien vom Auskunftsrecht der Presse nicht gedeckt.

kugelnUm auf den unzureichenden Schutz journalistischer Quellen und die immer weiter reichende Überwachung durch Geheimdienste aufmerksam zu machen, verklagte ROG im Juni 2015 den Bundesnachrichtendienst wegen Verletzung des Fernmeldegeheimnisses. ROG wirft dem BND vor, den E-Mail-Verkehr der Organisation mit ausländischen Partnern und Journalisten ausgespäht und die Arbeit von ROG damit massiv beeinträchtigt zu haben. Für zahlreiche Journalisten aus Deutschland und aus autoritären Staaten wie Usbekistan, Aserbaidschan oder China ist ROG ein wichtiger Ansprechpartner, an den sie sich mit vertraulichen Informationen wenden. Reporter ohne Grenzen hält die Überwachungspraxis des BND für unverhältnismäßig und vom Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (kurz G 10-Gesetz) nicht gedeckt.

Bereits im März 2015 – ein Jahr nachdem der bis dahin weitgehend folgenlose NSA-Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde – hatten Reporter ohne Grenzen, das Privacy Project der Stiftung neue Verantwortung und andere zivilgesellschaftliche Gruppen eine bessere Kontrolle der Geheimdienste durch das Parlament angemahnt. In einer Stellungnahme an die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen und an die Ausschussmitglieder forderten sie unter anderem, das Amt eines Geheimdienstbeauftragten im Bundestag zu schaffen, das Parlamentarische Kontrollgremium personell besser auszustatten, bei den Nachrichtendiensten einen funktionierenden Mechanismus für Whistleblower einzurichten und die G-10-Kommission zu informieren, wenn Kommunikationsdaten an ausländische Stellen weitergegeben werden.

fernglasDie Geheimdienst-Affären, die im weiteren Verlauf des Jahres ans Licht kamen, bekräftigten die Dringlichkeit dieser Forderungen: Im April deckte der Spiegel auf, dass der US-Geheimdienst NSA über Jahre hinweg mit Wissen des BND Ziele in Deutschland ausgespäht hatte. Im Mai wurde bekannt, dass der Waffenhersteller Heckler & Koch und der Chef der Rüstungsabteilung im Verteidigungsministerium den Militärischen Abschirmdienst 2013 dazu bringen wollten, Journalisten auszuspähen und die Quelle für negative Berichte über das Bundeswehr-Gewehr G36 zu finden. Obwohl Verteidigungsministerin von der Leyen beteuerte, der MAD habe zu keinem Zeitpunkt in dieser Frage recherchiert, deuteten interne Dokumente darauf hin, dass der MAD seinerzeit sehr wohl nach Informanten von kritischen Journalisten in den Reihen der Bundeswehr suchte. Im Juli machte der Spiegel öffentlich, dass er 2011 vermutlich vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA abgehört wurde, und erstattete Anzeige bei der Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit und der Verletzung des Fernmeldegeheimnisses.

Dez. 2016 | Allgemein, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren