EU hart zu Defizitsündern Portugal und Spanien
Erstmals in der Geschichte der Währungsunion sollen Mitgliedstaaten wegen ihres Haushaltsdefizits belangt werden. Nachdem die Entscheidung über Sanktionen gegen Spanien und Portugal mehrmals verschoben wurde, haben sich die EU-Finanzminister am Dienstag darauf geeinigt. Wie hoch die Strafe ausfällt, entscheidet nun die Kommission. Ist diese Maßregelung sinnvoll?
EL PAÍS (ES)
Brüssel soll Rajoy für seine Fehler bestrafen
Die Sanktionen gegen Spanien sind gerechtfertigt, denn die Regierung Rajoy hat sich bewusst über die EU-Regeln hinweggesetzt, urteilt El País:
„Politisch gesehen hat die Regierung die Sanktion verdient, keine Frage. Die Haushaltsanpassung war das beste Beispiel für politische Unfähigkeit, denn die Säulen des Wohlfahrtsstaates wurden wahllos gekippt (Erziehung, Gesundheitswesen, Sozialfürsorge) und dabei konnte noch nicht einmal kurzfristig das Schuldenwachstum gestoppt werden. Die Regierung hat im eigenen Interesse die festgelegten Zusagen ignoriert, diese aber andererseits, wenn es wahlpolitisch gerade passte, als Ausweg aus der Krise gepriesen. … Rajoy dachte, er könnte einfach die Steuern senken und damit die Defizitauflagen missachten und damit in Brüssel auch so ungeschoren davonkommen, wie er das bei den Wählern geschafft hat. Doch da hat sich Rajoys Regierung getäuscht. Dieser grundlegende Irrtum muss aufgedeckt werden.“
JORNAL DE NEGÓCIOS (PT)
Die ständige Bevormundung nervt
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat die Entscheidung für Sanktionen mit den Worten kommentiert, es sei nicht das Ziel, Portugal und Spanien zu bestrafen, „sondern mit Anreizen zu erreichen, dass die Mitgliedstaaten tun, was sie im eigenen Interesse tun müssen“. Bissig kommentiert dies Jornal de Negócios:
„Die Neuigkeit ist, dass beiden keine Sanktionen drohen, sondern Anreize. Sind Sie verwirrt? Der deutsche Finanzminister erklärt es: Im Gegensatz zu dem, was das Wörterbuch sagt, sind Sanktionen keine Strafen. Sie sind eher ein ‚Stimulus‘ für zukünftiges gutes Verhalten. Ein Licht, das zurück auf den rechten Weg führt. Schäubles Aussage ist bezeichnend für ein gewisses paternalistisches Bevormundungsdenken der EU. … Der europäische Integrationsprozess wird schon viel zu lange vom Grundsatz beeinflusst, dass Nationen nicht in der Lage seien, sich selbst zu regieren. Ja, selbst wenn man so denken sollte – es laut und öffentlich zu sagen hilft dem Zusammenhalt der Union kein bisschen.“
André Veríssimo Zum Originalartikel
WIENER ZEITUNG (AT)
Das ist keine Union
Die Sanktionen gegen Portugal und Spanien zeigen, wie ungerecht es in der EU zugeht, bedauert die Wiener Zeitung:
„Spanien und Portugal verfehlen die Defizitziele im Budget und müssen nun mit einer Strafe rechnen. Diese wird eher symbolisch sein, aber immerhin. Warum es diese beiden Länder trifft, ist nicht ganz klar. Auch Frankreich hat ein zu hohes Budgetdefizit, das wird hingenommen. Sollte Italien von der EU-Kommission das Okay für staatliche Bankenhilfe erhalten, wird es die sogenannten Maastricht-Kriterien, nicht mehr als drei Prozent Defizit zu machen, kaum halten können. … Wenn also die Großen ungeschoren davonkommen, dann spiegelt das die realen Machtverhältnisse in Europa, aber es ist halt keine Union. Es wäre eine schöne Geste gewesen, auch den beiden Ländern der iberischen Halbinsel mehr Zeit einzuräumen.“
Reinhard Göweil Zum Originalartikel
HANDELSBLATT (DE)
EU-Kommission muss sich ehrlich machen
Immer wieder legt die EU in der Frage, ob Sanktionen gegen Defizitsünder angewendet werden sollen, unterschiedliche Kriterien an, stellt auch das Handelsblatt fest und fordert mehr Ehrlichkeit von der Kommission:
„Allzu oft sind es die Mitgliedstaaten selbst, die eine Durchsetzung der Regeln verhindern. Zu 100 Prozent perfekt wird ein solches regelgebundenes System ohnehin nie funktionieren. Politik besteht immer auch in der Fähigkeit, im richtigen Moment fünfe gerade sein zu lassen. Scheinheilig ist es aber, wenn die EU-Kommission die faktischen Ausnahmeklauseln für wichtige und mächtige Mitgliedstaaten leugnet – so geschehen im Defizitverfahren gegen Frankreich. … Vielleicht sollte es die Kommission einmal mit der umgekehrten Strategie versuchen: Wo immer sich die Brüsseler Beamten den Interessen eines Mitgliedstaats beugen müssen, weisen sie in Zukunft offen darauf hin. Verbunden mit dem Tipp: ‚Wem dieses Recht des Mächtigeren nicht gefällt, der muss gemeinsam mit uns für mehr Europa kämpfen.’“
Christian Rickens zur Homepage
LE QUOTIDIEN (LU)
So wird die Gemeinschaft gegen die Wand gefahren
Die Politik der EU ignoriert nicht nur die Realität, sondern sie ist auch fatal für die Gemeinschaft, schimpft Le Quotidien:
„Die Sanktionen können von einer Strafzahlung (in Höhe von bis zu zwei Prozent des BIP) bis zu einer Einfrierung der EU-Subventionen reichen. [Portugals Premier] António Costa hat im Fall von Sanktionen vor der Ausbreitung einer europafeindlichen Stimmung gewarnt. Nichtsdestotrotz macht es sich die EU-Kommission derzeit zur Pflicht, darauf zu bestehen, dass die Regeln angewendet werden müssen. So kontraproduktiv sie in wirtschaftlicher Hinsicht und so gefährlich sie politisch auch sein mögen, weil sie die Zunahme von Extremismus fördern – für die europäische Exekutive unter der Leitung von Jean-Claude Juncker verläuft alles so, als habe es den Brexit nie gegeben. Kurz vor der Mauer gibt sie richtig Gas.“
Fabien Grasser Zum Originalartikel