EU und Erdoğan streiten über Visafreiheit
Das EU-Parlament will erst über die Visaliberalisierung für Türken beraten, wenn Ankara alle Bedingungen erfüllt hat.
Der türkische Präsident Erdoğan lehnt bislang die Änderung der Anti-Terror-Gesetze ab, die nach Auffassung Brüssels gegen europäische rechtsstaatliche Normen verstoßen. Muss Europa gegenüber Erdoğan hart bleiben?
FRANKFURTER RUNDSCHAU (DE)
Es geht um die Türken, nicht um Erdoğan
Das EU-Parlament sollte bei seiner Entscheidung über die Visafreiheit für Türken nicht nur Erdoğans Politik im Blick haben, fordert die Frankfurter Rundschau:
„Eins sollte bei der Beurteilung der Lage nicht vergessen werden: Es geht um Menschen. Nicht nur um die Flüchtlinge, sondern auch um die Millionen Türken, eingebürgert oder nicht, die in den Ländern der EU leben, nicht zuletzt in Deutschland. Sie haben ein großes Interesse daran, dass ihre Verwandten sie endlich ohne Probleme besuchen können. Auch ökonomisch wäre es ein Gewinn, die Grenze durchlässiger zu machen. Mit anderen Worten: Drohgebärden sind das eine. Aber sie dürfen eine vernünftige Politik im Interesse der Menschen nicht verhindern – so schwer es auch sein mag, sie zu bewerkstelligen.“
Thomas Kröten Zum Originalartikel
DUMA (BG)
Gefährlichen Flirt mit Ankara beenden
Duma lobt hingegen das EU-Parlament für seine Härte gegenüber Erdoğan:
„Dieselbe Logik passt leider nicht in die Beamtenköpfe der EU-Kommission, die letzte Woche grünes Licht für die Visafreiheit gegeben haben. Im Einklang mit Merkels Politik flirtet Brüssel mit Ankara, indem es sich auf absurde und abenteuerliche Deals einlässt, obwohl klar ist, dass der Flüchtlings-Tsunami dadurch nicht aufzuhalten ist. … Währenddessen erdreistet sich der Autokrat Erdoğan, Europa Demokratieverletzungen vorzuwerfen, führt einen regelrechten Krieg in der Südost-Türkei und versucht sich sein eigenes maßgeschneidertes Präsidialsystem einzurichten. … Es ist höchste Zeit, dass die EU-Regierungschefs aufwachen und sich bewusst werden über die Risiken, die sie mit der Türkei eingehen. Sie müssen endlich aufhören sich hinter kurzfristigen Lösungen zu verstecken und echte Lösungen finden.“
Kristiela Simeonova Zum Originalartikel
HÜRRIYET DAILY NEWS (TR)
Erdoğan ist im Westen isoliert
Erdoğan hat gegenüber der EU den Bogen überspannt, weil ihn niemand mehr ehrlich berät, glaubt die liberale englischsprachige Tageszeitung Hürriyet Daily News:
„Indem er den Westen attackierte, hat sich Erdoğan international selbst isoliert. Er hat im Westen keine Freunde mehr, die ihm gute Ratschläge geben könnten. Weil er im In- wie im Ausland keine vernünftigen Einschätzungen über seine europäischen Gesprächspartner bekommt, könnte er zu hoch pokern und sein Konfrontationskurs zu noch mehr Zusammenstößen mit Europa führen. Wenn es also um die konkreteste Frage der aktuellen Tagesordnung geht, nämlich ob der EU-Türkei-Flüchtlingsdeal halten und zur Visafreiheit für Türken führen wird, scheint die Wahrscheinlichkeit fifty-fifty.“
Barçın Yinanç Zum Originalartikel
REPORTER (GR)
Athen ist Ankara ausgeliefert
Sollte der Flüchtlingsdeal platzen, würde Griechenland die Hauptlast tragen, erinnert das Onlineportal Reporter:
„Man bemerkt bereits eine Schwäche der griechischen Verwaltung, die vergleichsweise wenigen Flüchtlinge zu versorgen, die jetzt im Land sind. Da unsere Grenzen geschlossen sind, werden die Flüchtlinge, die wieder mit den Booten ankommen, in Griechenland bleiben. Die Nato-Präsenz in der Ägäis hat zwar eine abschreckende Wirkung, wie auch die Schließung der Grenzen im Norden Griechenlands, ob die Flüchtlinge aber in der Türkei bleiben oder in Richtung Griechenland ablegen, hängt weitgehend davon ab, was die türkische Regierung entscheidet. Und die griechische Seite hat keinen Plan, um mit dieser Situation fertig zu werden.“
Grigori Nikolopoulos Zum Originalartikel