Der historische Optimismus ging von der aufklärerischen Bedeutung des Wortes aus, von der Vorstellung, daß Taten folgen würden, wenn nur lange genug geredet werde. Das hat sich auch in Heidelberg als allzu kurzschlüssige Illusion erwiesen.

Heidelberger SPD übt sich in zumindest gradliniger Blauäugigkeit …

1agottschling.jpgWas tun heute jene, die den Marsch durch die Institutionen angetreten und nun abgeschlossen haben – bleiben wir im Dorf (ich dachte, ich seh nicht richtig, als ich in der RNZ der Wahlempfehlung des SPD-Bundestagsmitglieds Lothar Binding für die Grüne OB-Kandidatin Thimm ansichtig wurde), bleiben wir also in Heidelberg. Binding hat (nachdem die SPD-Kreisdelegiertenkonferenz Thimm zu unterstützen beschlossen hat), daß „er Thimm wählt“ in der (grünen!) Zeitungsannonce auch irgendwie begründet, sie sei, naja, dies und das, eben all dies, wovon sie im Wahlkampf gesagt und geschrieben hat, daß sie so wäre. Dieser Kandidatin auch noch nur ein Wort zu glauben, nachdem sie in Heidelberg allen alles versprochen hat, zeugt von einer – zumindest – gradlinigen Blauäuigigkeit Bindings. Beispiel gefällig? – ich bleibe bei einem: Auf einem von Mitgliedern des Heidelberger Jugendgemeinderates organisierten Podiumsgesprächs gab es sechs Tage vor der Oberbürgermeisterwahl im Heidelberger DAI eine Vorstellung der vier Kandidaten: Eckhard Würzner, der als parteiloser Kandidat vom „bürgerlichen Lager“ (CDU/Heidelberger/FDP/FWV) gekürt wurde, mit Caja Thimm (Grüne), Jürgen Dieter (SPD) und Arnulf Weiler Lorentz (Bunte Linke) Hier versprach Caja Thimm den anwesenden Jugendlichen ohne (sic!) rot zu werden, daß sie, werde sie OB, dafür sorgen werde, daß sowohl das Gebäude der „Feuerwache“ wie auch das Gelände drum herum Jugendlichen zur Verfügung gestellt werde. Aus der (großen, natürlich) Garage machte sie dann eine die Halle02 überflüssig machende Einrichtung, Proberäume für Bands, ein Jugendhotel und und und. Und, genau, ich wiederhole mich: Ohne rot zu werden. Dafür muß man schon mehr als keine Übung im so sein haben …

Jeder, der dazu mehr weiß als gar nichts, konnte und mußte wissen, daß der Verkaufserlös für Gebäude und Gelände längst im Haushalt verplant ist. Und, selbst wenn sie das rückgängig zu machen auch nur gewillt gewesen wäre, hätten für eine unabdingbare Renovierung des maroden Gebäudes Millionen aufgebracht werden müssen. Daß die in Heidelberg nicht zu haben sind, das weiß sie natürlich genau – es sei denn, sie wäre zudem dumm.

Thimms Verhalten auf dieser Veranstaltung nenne ich nicht blauäugig,
sondern bewußt gelogen haben.

Aber, es muß davon ausgegangen werden dürfen, daß auch anderswo abgelegte Versprechen auf Wahlveranstaltungen auf ebensolch tönernen Füßen stehen. Was, muß gefragt werden dürfen, ist aus dieser Heidelberger SPD geworden, daß sie nun für eine solcherart unglaubwürdigen Caja Thimm einen Wählaufruf „ihren“ Genossen an die Brust posaunt. Was Wunder, daß mittlerweile das Gerücht in der Stadt umgeht, Jürgen Dieter sei von der Kommission nur „gefunden“ worden, damit dies alles dann so oder ähnlich gedreht werden könne. Und, wenn dem so nicht wäre, sollte dieses Procedere doch sowohl der Kandidatin als auch den sie beglücken sollenden Genossinen und Genossen eigentlich nur noch hochnotpeinlich sein. Und was sagt eigentlich Jürgen Dieter zu alledem, zu der Posse, als deren Mitwirkender er nun im Nachhinein mit den von ihm und der Partei eingefahrenen 12,8 Prozent quasi noch einmal in die Bütt gestellt wird …
Für wie bescheuert halten denn „diese“ oberen Genossen „ihre“ Genosssen“ unten an der „Basis“. Da fehlen einem nun wirklich – erst recht als SPD-Parteimitglied, deren eines der Unterzeichnende ist – (beinahe) die Worte.

Abgewirtschaftet

Die Heidelberger SPD, die in den letzten Jahren ohnehin nur im Schatten der GAL – und, oft genug unter deren Druck, veranstalten konnte, was sie veranstaltet hat und wofür sie oft genug und zu Recht geprügelt wurde, hat abgewirtschaftet.

Die Wahlempfehlung der Heidelberger SPD für die Kandidatin der Grünen Thimm ist auch mit einer ihr von mir diagnostizitierten Agonie nicht zu entschuldigen.

Ich habe gute Gründe, j e t z t im zweiten Wahlgang den parteilosen Eckhart Würzner zu wählen. Daß, da vom „bürgerlichen Lager“ empfohlen, uns von der Kreisdelegiertenkonferenz der SPD dies nun für “uns“ so vorgedeutet und an die Wand und in die Zeitung gemenetekelt wird, daß Würzner für „Linke“ nicht wählbar wäre, ist unlauter und unverfroren zugleich. Und zudem: bitte, wer oder was ist das denn, links? Die SPD vielleicht, oder die Grünen gar?
Ich halte alledem entgegen, daß für mich jemand, die so schamlos vor der Wahl mit Un- und Halbwahrheiten jonglierend agiert, erst recht und schon gar nicht wählbar ist.

Als Journalist habe ich den Umweltbürgermeister der Stadt Heidelberg, Eckart Würzner, in den vergangenen Jahren kennen- und schätzen gelernt; ich zweifle nicht an seiner persönlichen Integrität, seinem Sachverstand, seiner Kompetenz als Rathauspolitiker und seinem festen Willen, sich nicht in parteipolitische Ränkespiele einbinden- oder einzulassen. Freunde von mir meinten, sie könnten doch niemanden wählen, der von Karl. A. Lamers und Co. empfohlen werde. Wie auch immer: Karl A. Lamers und Co. stehen nicht zur Wahl. Es ist in der Tat eine Persönlichkeitswahl. Und: Würzner muß ja nun auch damit leben, daß (ausgerechnet) ich ihn jetzt empfehle. Kann man sich eben nicht aussuchen …

SPD bürgerlich? Kreisdelegiertenversammlung auf Gutsherrenart !

Ach ja: wenn uns denn Gutsherrenart als „bürgerlich“ gelten soll, dann wäre umsomehr die Vorbereitung der letzten Kreiselegiertenkonferenz der SPD auf Gutsherrenart vorbereitete gewesen:
Lothar Binding nämlich und die Kreisvorsitzende Eva Maria Eberle wollten Thimm auf der Kreisdelegiertenkonferenz reden lassen. Soweit, so gut. Nachdem allerdings und verständlicherweise Genossen-Stimmen laut geworden waren, die aus sowohl Informations- wie aus Gründen der Fairniß auch Eckart Würzner reden lassen wollten, um die Kreisdelegierten in die Lage zu versetzen, sich nicht ausschließlich von den Aussagen der großen Vorsitzenden beeinflussen zu lassen, sondern sich ein eigenständiges Urteil bilden zu können, verzichtete der Kreisvorstand auch auf die von Binding insistierte Einladung Thimms. Nochmal: Wenn ein solches Verhalten eher dem „bürgerlichen Lager“ zugerechnet werden sollte, dann hätten sich die dafür zuständigen SPD-Oberen genau so verhalten, wie sie „Bürgerliche“ – so zu sein – diffamieren. Eine solche Verhaltensweise aber traue ich Eckart Würzner nicht zu. Und jenen „Bürgerlichen“, die ich kenne (und schätze) auch nicht.

Nochmal kurz raus aus dem Dorf

Die Heidelberger SPD könnte – noch – aus eigenen Traditionsbeständen schöpfen, um die Störungen in der Balance zwischen Individuum und Bürgerschaft zu beseitigen. Es geht dabei keineswegs um die Errichtung eines gesamtgesellschaftlichen Planungssystems, sondern um die Herstellung von lebensfähigen Einheiten, welche die Menschen aus dem abstrakten Gegenüber von undurchschauten Macht- und Herrschaftsverhältnissen und individuellen Lebensperspektiven herausführen …

Keine Experimente?

Wir befinden uns in einer Welt voller Umbrüche, in der alte Verhaltensnormen und Orientierungsmuster nicht mehr unbesehen gelten und neue noch nicht da sind, aber intensiv gesucht werden. Auch deshalb ist die wieder ausgegrabene Formel aus dem Ende der Adenauerzeit, „Keine Experimente!“, ruinös für unsere Gesellschaft, die ganz unbedingt eines neuen geschichtlichen Lernzyklus bedarf.

Umdenken und Aufmerksamkeitsverschiebungen in dieser spektakulär veränderten Welt erfordern Anstrengungen auf ganz verschiedenen Ebenen. Auch geht es um grundlegende Veränderungen in der persönlichen Ausstattung der Menschen, um ihre Identitätsprobleme, ihre Verhaltensweisen im Denken und Handeln, um den Umgang mit ihren Sinnen und Körpern.

Wenn der Erwerbsgesellschaft mangels Arbeitsplätzen immer mehr kreative Potentiale verloren gehen, die den Reichtum des Gemeinwesens fördern könnten, dann ist auf der Ebene von Kultur und Lernen eine ebenso große Verschwendung von Ausdruckskräften einer lernfähigen und lernbereiten Generation festzustellen.

All dieser Gründe wegen muß sich die Politik eines neuen Oberbürgermeisters in Heidelberg an einer „Ökonomie des ganzen Hauses“ orientieren, er muß Oberbürgermeister für alle Bürger sein. Würzner traue ich zu, das zu können. Caja Thimm und den Grünen hingegen nicht, daß sie es überhaupt erst einmal versuchen. Schließlich hängt aber von solchen Offensiven nicht weniger ab, als der innere Zusammenhalt unserer Kommune, eine Demokratie ohne Demokraten gibt es nun einmal nicht. Und die Demokratie ist die einzige konstituierte Form der Gesellschaft, die gelernt werden muß und die sich nicht von selbst versteht. Ich traue Eckart Würzner auch zu, mit kollektiven Gemeinschaftsformen, die sich im Spannungsfeld von Individuum und Bürgern bilden, verantwortungsvoll nicht nur die gesellschaftliche Verantwortung aufzuwerten, sondern auch individuelle Lebensperspektiven.

Jürgen Gottschling

Nov. 2006 | Heidelberg, Allgemein, Politik | 19 Kommentare