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Der wohl bedeutendste lebende Autor Israels, Amos Oz, entführt uns in seinem neuen Roman „Verse auf Leben und Tod“ in die fabelhafte Welt der Imagination, in der zwischen Sein und Schein kein Unterschied mehr besteht.

Die Welt, in der die Grenzen zwischen Realität und Traum verschwimmen, ist die Welt des Schriftstellers. So zumindest suggeriert es uns Verse auf Leben und Tod, der neue Roman des frischgebackenen Heinrich-Heine-Preisträgers Amos Oz. Man könnte  Verse auf Leben und Tod als Satire auf den schwiemelig-verbiesterten Kulturbetrieb lesen:

Wunderbare Figuren wie der selbstherrliche Kulturbeauftragte Jerucham Schdemati oder die vollkommen verschüchterte Vorleserin Rochele Resnik entstammen deutlich dem farbenfrohen Reich der Parodie. Auch der Literaturexperte Jakir Bar-Orjan, der das neueste Werk des Autors nach allen Regeln der poststrukturalistischen Literaturwissenschaft dekonstruiert, erweist sich als dankbare Zielscheibe beißenden Spotts:
Deshalb stützte er (der Schriftsteller) beide Ellenbogen auf den Tisch, (…) während der Literaturexperte, dessen sommersprossige Glatze im Deckenlicht glänzt, (…) verborgene Strukturen aufdeckt, Ebenen und Stufen unterscheidet, überraschende Zusammenhänge herstellt, sich in die tiefsten Gründe versenkt und dann wieder an die Oberfläche aufsteigt, um schwer atmend den Schatz zu präsentieren, den er aus der Tiefe geborgen hat, Codes entschlüsselt (…).

Es muss nicht verwundern – dieser Satz wird auf beinahe einer ganzen Seite lang fortgeführt. Jedoch ist Verse auf Leben und Tod nicht nur eine Satire auf höchstem Niveau. Der große Erzähler Amos Oz will selbstverständlich weit mehr als das. Sein kleiner Roman, den man im Übrigen mit gutem Recht auch ganz altmodisch eine Erzählung nennen könnte, ist ein gekonntes Spiel mit verschiedenen Realitätsebenen, das schließlich zu einer allgemeinen Reflexion über das Leben eines Schriftstellers – mehr noch – über das Leben überhaupt mutiert.

Beobachter und Regisseur

„Mancher Kluge hat keinen Geist/ Und mancher Narr ein grosses Herz,/und manche Freude endet im Schmerz,/und niemand versteht, was ihn selber treibt.“ So lautet das leitmotivisch eingesetzte Motto des Romans, das Oz dem Werk des vergessenen israelischen Dichters Zefanja Beit-Halachmi entlehnt. Diese im Grunde genommen etwas alberne Spruchweisheit bestimmt die Entwicklung des Romans, denn tatsächlich weiß keiner so genau, was den Text und seine Figuren eigentlich vorantreibt. Es ist der Schriftsteller selbst, der – um mit einem Bild Thomas Manns zu sprechen – vom „Geist der Erzählung“ nur schwer zu unterscheiden ist. Der Schriftsteller träumt sich in eine Parallelwelt ein. Der leicht verrutschte Slip einer Kellnerin wird zum Ausgangspunkt einer abstrusen ménage à trois, das aufmerksam-verträumte Gesicht eines jungen Zuhörers gibt Anlass zur Rekapitulation der eigenen Jugend.

Der Schriftsteller bemächtigt sich seiner Umwelt, er eignet sich das Leben seiner Mitmenschen an, um es zu Literatur zu transformieren. So ist Verse auf Leben und Tod auch Ausdruck der heimtückischen Macht der Phantasie, die in der Lage ist, aus Lebenden Sterbende, aus Glücklichen Tieftraurige zu machen. Nur der Autor selbst steht in dieser Welt sprichwörtlich draußen vor der Tür. Er ist zugleich Beobachter und Regisseur, das Bindglied zwischen Realität und Imagination. Symbolhaft stellt Oz dies in der nächtlichen Affäre des Schriftstellers mit der verschüchterten Vorleserin Rochele dar. Ob jenes erotische Treffen nach einem eher verkorksten Auseinandergehen der beiden nun tatsächlich stattgefunden hat, oder es – wie eben so vieles andere auch – nur eine Ausgeburt der dichterischen Phantasie war, bleibt offen. Sein und Schein sind eben doch enger verschränkt, als manche meinen.

Brillantes Alterswerk

Nichts läge Amos Oz jedoch ferner als eine hoch intellektualisierte Mischung aus Satire und fröhlichem postmodernen Ebenenwechsel- und Anspielungsversteckspiel – auch wenn die poststrukturalistischen Ausführungen des lokalen Literaturkritikers natürlich perfekt auf den vorliegenden Roman passen würden. Oz bleibt bei aller Finesse vor allem eines: ein begnadeter Erzähler. So ist die Rochele-Episode in ihrer zögernden Zärtlichkeit und aufbrausenden libidinösen Rauschhaftigkeit ein Musterbeispiel hochliterarischer Erotik; so entlarvt das Spiel mit Realität und Imagination die Melancholie, die paradoxe Tristesse des vermeintlich wahren Lebens und Sterbens.

Verse auf Leben und Tod ist eines jener kleiner Werke, die trotzdem den Keim zu Großem in sich tragen – eine zugleich humorvolle und tieftraurige Reflexion über die menschliche Existenz. Dass der mit seinen Versen stets präsente, fast vergessene Dichter Zefanja Beit-Halachmi am Ende sterben muss, erscheint dem Leser als nahezu folgerichtig; dass er wohl nur ein Produkt der Phantasie des Autors ist, ebenso. Von ihm bleiben uns lediglich wenige Zeilen und der Titel eines wohltuend unaufgeregten, stilistisch brillanten Alterswerks eines der großen lebenden Schriftsteller unserer Zeit. sk

Amos Oz: Verse auf Leben und Tod. Roman. Aus dem Hebräischen von Miriam Pressler. Suhrkamp Verlag 2008. 121 Seiten. € 16, 80

Jul 2008 | Allgemein, Feuilleton | Kommentieren