Kaum ein Sender, der uns nicht via Glotze das Innenleben von Zoos und deren Bewohnern näher zu bringen versucht. Wir biedern uns diesem Trend an und führen ein Interview mit einem Rhesus-Affen: Wenn der Mensch mit anderen Spezies tatsächlich verwandt ist, müssen sich Hinweise auf Bewusstsein an deren Verhalten ablesen lassen. Forschungen mit Delphinen und Affen seit Anfang der neunziger Jahre deuten tatsächlich darauf hin, dass manche Tiere reflektierend ihr Gedächtnis befragen können. Die amerikanische Psychologin Janet Metcalfe von der Columbia University hat mit ihren Koautoren Nate Cornell und Lisa Son in der Zeitschrift „Psychologie International“ gerade eine Studie veröffentlicht, die belegen will, dass Rhesusaffen imstande sind, außer „ja“ und „nein“ auch „ich bin mir nicht sicher“ zu sagen. Zur Veranschaulichung der Tragweite der Funde haben wir ein Exemplar der betreffenden Art mit Hilfe von Bildtafeln, Tonsequenzen und Zeichensprache interviewt.

Herr Charly, man hat Ihnen monatelang paarweise Linien auf einem Bildschirm gezeigt, ist das richtig?
Ja.
Mussten Sie sich die Farben der Linien merken?
Nein.
Mussten Sie beurteilen, welche Linie jeweils die längere ist?
Ja.
Haben Sie a.) den Bildschirm berührt, um Ihre Antwort zu geben, oder haben Sie b.) Klopfzeichen gegeben?
Charly Bildschirm anfassen ja. Charly Klopfzeichen nein.
Wurden Sie dann im zweiten Durchgang des Experiments aufgefordert, die Richtigkeit ihrer jeweiligen Längenschätzung selbst zu bewerten?
Charly gefragt, ob Charly richtig. Charly Markierungen verschoben. Charly damit gewettet, ob richtig. Wenn Wette Ergebnis gut, Futter neu.
Man hat Sie also nicht einfach für richtige Antworten belohnt, sondern dafür, dass Sie wußten, ob Sie die Antworten genau oder ungenau geben konnten?
Ja.
Die Forscher sind sicher sehr zufrieden mit Ihnen?
Weiß nicht.
Im Laufe der Zeit hat man Ihnen immer komplexere Fragen gestellt, trifft das zu?
Hunger.
Bitte?
Charly Hunger. Test nur weitermachen, wenn Futter neu.
Sie kennen doch die Regeln, Herr Charly. Erst beantworten Sie unsere Fragen, dann gibt’s was.
Nein.
Doch.
Na gut.
Würden Sie mit der Einschätzung der Forscher übereinstimmen, dass das Wissen darüber, was man weiß, der Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Selbstbewusstseins ist?
Forscher durcheinander. Viele Fragen über einfache Sachen, aber Fragen nicht einfach. Forscher zu viel fragen, zu wenig wissen. Charly manchmal ja, manchmal nein, manchmal weiß nicht. Forscher immer weiß nicht, immer fragen.
Wollen Sie damit andeuten, Sie seien gescheiter als die Wissenschaftler?
Andeuten nein.
Wollen Sie es behaupten?
Behaupten ja.
Herr Charly, wir würden Sie gerne mit Ergebnissen einer anderen, älteren Studie konfrontieren. Sind Sie bereit?
Weiß nicht.
Es geht um unseren Verdacht, dass Sie ein ziemlich unaufrichtiger Affe sind. Zusammen mit Ihren Artgenossen. Dass Sie berechnender sind, als die Wissenschaftler meinen. Und weniger niedlich.
Frage wo?
Die kommt schon noch. Also, Folgendes: Vor vielen Jahren . . .
Langweilig.
Hören Sie damit sofort auf. Und werfen Sie nicht dauernd mit diesem Schmutz da.
Du angefangen. Du böse geredet Charly und Freunde von Charly.
Hören Sie jetzt zu? Vor längerer Zeit hat man eine Studie zu Territorialverhalten, Verwandtenhilfe und Brutpflege bei macaca mulatta durchgeführt, mit erstaunlichen Ergebnissen. Es stellte sich Folgendes heraus: Wenn man sie jeweils alleine getestet hat, haben männliche und weibliche Äffchen gleichermaßen heftig und prompt auf Alarmsignale isolierter Jungtiere reagiert. Wenn man aber jeweils dasselbe Männchen und dasselbe Weibchen gemeinsam im Quartier leben ließ, reagierte immer nur das Weibchen, wenn das Junge um Hilfe schrie.
Na und?
Dieser Verhaltens-Dimorphismus ist eindeutig sexistisch.
Charly versteht nicht.
Sie unterdrücken Ihre Weibchen. Vorsätzlich !
Hunger.
Lenken Sie nicht ab. Und gucken Sie nicht so treuherzig. Herr Charly, wie rechtfertigen Sie das?
Forscher auch nicht besser. Weibchen Forscher immer Kaffee kochen, Kinder mitbringen, Futter neu. Männchen Forscher immer Computerspiele, nur kümmern Charly, wenn Weibchen Forscher nicht da. Arbeitsteilung normal. Charly gut versorgt von Weibchen Forscher, Äffchen Junges gut versorgt von Weibchen Äffchen.
Ist das Ihre Erklärung? Die Arbeitsteilung?
Natur schuld. Charly nicht schuld. Weibchen Forscher sagt, Eva Herman auch sagt, was Charly sagt. Weibchen immer große Probleme.
Eva Herman? Sie scheinen sich ja gut auszukennen. Haben Sie schon einmal davon gehört, dass Natur nicht alles ist? Von Simone de Beauvoir, Shulamith Firestone, Judith Butler?
Charly nicht lesen. Charly traurig, kann nichts machen. Armer Charly!
Tun Sie doch nicht so. Wir haben Sie durchschaut. Sie sind bequem und unredlich! Würden Sie nicht auch zustimmen, dass die Forscher bei Ihnen vor lauter „ja“, „nein“ und „weiß nicht“ die viel wichtigere Frage nach der Wahrhaftigkeit der getesteten Tiere . . .
Charly immer wahr, gut und lieb.
Das können Sie Ihren Weibchen erzählen! Sie glauben wohl, dass das hier alles immer nach Ihrem Plan läuft?
Weiß nicht.
Wir wollen Ihnen mal was sagen, Herr Charly! Ihre Tage der Fettlebe und Verlogenheit sind gezählt. Das Ganze ist nämlich im Kern eine demographische Angelegenheit! Da staunen Sie, was?
Charly staunt. Will mehr wissen.
Langzeituntersuchungen der Reproduktion sozialer Insekten haben gezeigt, dass bei Arten, deren Weibchen stärker und aufwendiger großzuziehen sind als die Männchen und bei denen das Zahlenverhältnis der Geschlechter genetisch hinreichend variabel ist, die Weibchen im Falle ausreichender Ressourcen mehr weibliche als männliche Nachkommen haben.
Charly versteht nicht.
Dann wollen wir Klartext mit Ihnen reden: Man hat diese Untersuchungen auf Ihresgleichen ausgedehnt, auf Meerkatzenverwandte. Es stellte sich heraus: Dominante Weibchen produzieren mehr Töchter als Söhne, bei unterwürfigen ist es umgekehrt. Was glauben Sie, was passiert, wenn die Weibchen von diesen Forschungen erfahren?
Charly kriegt Angst.
Ja, das schmeckt Ihnen nicht, wie? Dann müssen Sie eben von den Menschen lernen. In unserer Gesellschaft wird eine rege, offene und manchmal sogar faire Debatte über das Geschlechterverhältnis . . .
Du hast leicht reden – aber selbst die gute Übertragbarkeit von Erkenntnissen bezüglich Verhaltensdispositiven zwischen unsereinem und den Pongiden, zu deren nächster Verwandtschaft der Mensch bekanntlich zählt, ist als Schlüssel für die neuere Soziobiologie, wie nicht nur der direkte Abgleich von Rhesusaffen-Beobachtungen mit solchen zeigt, die man etwa bei pan paniscus, dem aus Film und Fernsehen so beliebten Schimpansen, hat machen können, was insbesondere im Hinblick etwa auf Rangstreben und Territorialverhalten und deren jeweilige Relevanz für die Fortpflanzungswahrscheinlichkeit eines gegebenen Genotyps . . .
Herr Charly?
Ja?
Wo haben Sie denn auf einmal diese interessante Syntax her? Überhaupt, wer hat Ihnen eigentlich beigebracht, die Signaltafeln zu ignorieren und stattdessen direkt fertige Sätze mit elaboriertem Vokabular ins Keyboard zu tippen?
Äh . . . hoppla.
Erwischt! Von wegen Hunger! Von wegen weiß nicht! Herr Charly!
Ohne meinen Anwalt sage ich überhaupt nichts mehr.

Mai 2008 | Allgemein, Junge Rundschau | Kommentieren