Ein Bild aus besseren Tagen: Rabbiner, die Papst Benedikt XVI. während des Weltjugendtages 2005 in der Kölner Synagoge herzlich willkommen heißen; ein zufrieden lächelnder Kardinal Walter Kasper hinter dem Pontifex. Eine Demonstration der Eintracht von Christen mit ihren „älteren Brüdern“.
Zweieinhalb Jahre später ist von dieser Harmonie wenig übrig geblieben. Im Gegenteil: Es knarrt im Gebälk des Religionsdialogs. Prominente Vertreter des Judentums, darunter die deutsche Zentralratsvorsitzende Charlotte Knobloch, stellen diesen Dialog in Frage. Sie empfinden die von Benedikt in die „außerordentliche“ Form des römischen Ritus eingefügte neue Karfreitagsfürbitte als beleidigend. Der Text rede einer „Geringschätzung der jüdischen Religion das Wort, wie sie einer toleranten Theologie zuwiderläuft und daher gefährlich ist“ (Charlotte Knobloch). Anstoß genommen wird vor allem an dem Satz, Gott möge die Herzen der Juden „erleuchten, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller Menschen“. Knobloch und der (liberale) Rabbiner Walter Homolka nennen das eine anmaßende Aufforderung zur Judenmission.
Homolka hat schon vor Wochen aus eben diesem Grund seine Teilnahme am Katholikentag in Osnabrück abgesagt. Just zu Beginn seiner Amerikareise, drei Jahre nach seiner triumphalen Wahl nimmt die Kritik am Papst an Schärfe zu. Sie hoffe, sagt Frau Knobloch, dass Benedikt XVI. nicht auf dieser „sehr diffamierenden Äußerung“ bestehe. Bis zum Osnabrücker Katholikentag im Mai soll er den Text korrigieren, erst dann könne der Dialog weitergehen – das klingt nach einem Ultimatum.
Mit einer Revision der Fürbitte ist allerdings kaum zu rechnen, folgt man Kardinal Kasper. Aus katholischer Sicht sei das Gebet theologisch korrekt, sucht der deutsche Präsident des päpstlichen Einheitsrats das Kirchenoberhaupt zu verteidigen. Und der ebenfalls aus Deutschland stammende Kurienkardinal Paul Josef Cordes argumentiert: Wenn Christus gekommen sei, um den Menschen Heil zu bringen, dann dürfe man den Christen nicht vorwerfen, dass sie für eine Hinwendung der Juden zu Jesus Christus beten. Immerhin gebe es auch im Judentum eine messianische Bewegung.
Besänftigen lassen sich die jüdischen Kritiker so leicht nicht. Sie wünschen eine Rückkehr zu der seit 1970 für die „ordentliche“ Form des Ritus geltenden Formulierung, dass Gott die Juden „in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen bewahre, damit sie das Ziel erreichen, zu dem Gott sie führen will“.
Der Papst war gewarnt worden, als er den neuen Text formulierte. Auch und gerade aus der Kirche in Deutschland. Die Mahnungen wurden überhört. So war es schon bei der großzügigen Erlaubnis der Feier der „alten“ tridentinischen Messe. Benedikt XVI. ein beratungsresistenter Nachfolger Petri? An seinem Moto proprio „Summorum Pontificum“, veröffentlicht am 7. Juli 2007, arbeiten sich noch immer Liturgiewissenschaftler ab. Die Irritationen nehmen von Tag zu Tag zu. Der Bonner Professor Albert Gerhards rechnet mit einer bedenklichen Langzeitwirkung.
Gewiss, Benedikt war schon als Kurienkardinal auf Distanz zur früheren Begeisterung für die Liturgiereform gegangen. Er hat die Freunde der tridentinischen Messe stets ermuntert, standhaft zu bleiben. Zweimal hat er in Deutschland ein Hochamt nach dem alten römischen Missale gefeiert; das Motiv der „inneren Versöhnung“ mit den Traditionalisten, mit dem er das Moto proprio rechtfertigte, war hier schon zu erkennen. Der Erlass, das wurde bisher zu wenig beachtet, beschränkt sich allerdings nicht auf die Messfeier. Es genehmigt vielmehr Taufe, Trauung, Buße und Krankensalbung, Firmung und schließlich das Brevier nach vorkonziliarem Ritus. Damit, so folgert der Erfurter Professor Benedikt Kranemann, geht das Dokument über römische Ausnahmeregelungen in den Achtzigerjahren weit hinaus, die sich allein auf die Feier der Messe bezogen. Über die Liturgie kann es zu einer Kirche in der Kirche kommen.
Dass praktisch alle liturgischen Feiern nach dem alten lateinischen Rituale erlaubt werden, erstaunt auch Kranemanns Münsteraner Kollegen Klemens Richter. Denn das galt nach seiner Darstellung in den meisten deutschen Diözesen nie. Rom habe weder sein Missale noch sein Rituale den Bistümern aufgezwungen: „Wenn ein Bistum eine lange liturgische Eigentradition aufzuweisen hatte, konnte es seine eigene Liturgie beibehalten.“ Welchen Sinn mache es, fragt der Liturgiewissenschaftler, etwa eine Taufe heute vollständig in Latein zu vollziehen, dazu noch mit Exorzismusgebeten, die das Zweite Vatikanum als unzumutbar empfunden habe?
In seinem Moto proprio dachte Benedikt XVI. nach offizieller Lesart vornehmlich an die Anhänger und Nachfolger des verstorbenen exkommunizierten Erzbischofs Marcel Lefebvre, die „Lefebvriani“, für die „das Stehen zum alten Missale zum äußeren Kennzeichen wurde“. Den Italiener Enzo Bianchi, Prior der benediktinischen Gemeinschaft Monastero di Bose, plagen freilich Zweifel. Nach seiner Einschätzung richtet sich die Aufmerksamkeit vor allem auf die Traditionalisten, die in Gemeinschaft mit Rom stehen. Am Horizont sieht Bianchi auch junge Priester auftauchen, die zum alten Ritus zurück wollen, sowie einige kirchliche Bewegungen, die „eine Wiederkehr der fundamentalistischen katholischen Identität erhoffen“. Und nicht ganz ohne Polemik spricht der Benediktiner von militanten Gruppen, die sich der tridentinischen Messe bedienen wollten, um ihre politischen und kulturellen Schlachten zu schlagen – und von Bruderschaften und Ritterorden, die auf Latein feiern möchten, „um ihre Folklore aufzuwerten“. Die Bildung von esoterischen Zirkeln, die in theologischen Fragen Sonderwege gehen – das ist für den Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, eine Schreckensvision.
Ob die faktische Gleichstellung zweier Entwicklungsstufen ein und desselben Ritus ein Gewinn ist, muss sich noch zeigen. Immerhin gilt der jüngere, aus dem Konzil hervorgegangene Usus als die „ordentliche“ Form. Die Bischöfe in aller Welt haben drei Jahre Zeit, Erfahrungen mit der neuen Situation zu sammeln. Dann wird man wissen, was es bedeutet, wenn ein Ritus, wenn auch nur in der „außerordentlichen“ Form, neu gewichtet wird, dem das „Recht auf Partizipation der Getauften geradezu abgerungen werden musste“ (Benedikt Kranemann).
Das Kirchenbild des Zweiten Vatikanischen Konzils ist durch eine Volk Gottes-Theologie geprägt: die Gemeinschaft aller Getauften. Vor dem Konzil hatten die Laien nur das Recht, der Messe fromm „beizuwohnen“. Voraussetzung für die vom Zweiten Vatikanum verlangte „volle, tätige und gemeinschaftliche Teilnahme“ ist, dass die Riten knapp, durchschaubar und „der Fassungskraft der Gläubigen angepasst“ sein sollen. In Rom und draußen in der Weltkirche gibt es aber Kräfte, die hinter das Konzil zurück wollen und von der Rückkehr in eine vermeintlich heile katholische Welt schwärmen. W i r bleiben dabei: Faschismus pur!
Jürgen Gottschling