EU-Recht sieht keinen Euro-Austritt vor
In der Tat beinhaltet der EU-Vertrag keine Regeln zum Austritt eines Landes aus dem Euro. Der Vertrag von Maastricht regelte zwar damals die Einführung der neuen Währung, Bestimmungen über ein Ausscheiden aus der Währungsunion enthielt die 1992 erfolgte Änderung des EU-Vertrags (EUV) jedoch nicht. Auch die späteren Änderungen führten nicht zur Aufnahme spezifischer Euro-Austrittsregeln.
Nur Austritt aus der EU insgesamt geregelt
Seit dem Vertrag von Lissabon ist lediglich geregelt, wie ein Land komplett aus der Europäischen Union austreten kann. Artikel 50 EUV zufolge kann jeder Mitgliedsstaat seinen Austritt beschließen. Die Union verhandelt mit diesem anschließend ein Abkommen, das die Einzelheiten des Austritts und seine künftigen Beziehungen zur EU regelt. Die übrigen Länder beraten und beschließen zudem über den Austritt ohne Beteiligung des betroffenen Landes. Notwendig ist dafür eine qualifizierte Mehrheit aus einer bestimmten Anzahl an EU-Ländern und von diesen vertretener Einwohner. Auch ein späterer Wiederbeitritt wird ausdrücklich ermöglicht.
Einen solchen Austritt eines EU-Mitgliedsstaats hat es bisher nicht gegeben. Größere Verkleinerungen der Gemeinschaft ergaben sich bisher nur durch das Ausscheiden Algeriens, als es sich am 1.7.1962 von Frankreich lossagte. Außerdem schied 1985 das zu Dänemark gehörende Grönland auf eigenes Bestreben hin aus dem Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts aus. Die Beziehungen der größten Insel der Erde zur EU sind seitdem besonders geregelt.
Vertragsbeendigung nach Völkerrecht
Angesichts dessen scheint es unmöglich zu sein, dass ein Land – und damit konkret Griechenland – aus dem Euro ausscheidet. Scheinbar ist lediglich ein Austritt aus der EU, jedoch kein Ausschluss eines Mitgliedsstaats vorgesehen.
Dennoch eröffnet sich ein Weg über das allgemeine Völkerrecht. Art. 62 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) ermöglicht es, einen Vertrag zwischen Staaten zu beendigen. Voraussetzung ist, dass sich die Umstände grundlegend ändern und das bei Vertragsschluss nicht vorausgesehen wurde. Erforderlich ist dafür allerdings, dass diese Umstände erstens eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der Vertragsparteien waren, sich durch den Vertrag zu binden, und zweitens muss die Änderung der Umstände das Ausmaß der aufgrund des Vertrags noch zu erfüllenden Verpflichtungen tief greifend umgestalten. Insofern ist auf die Stabilitätskriterien abzustellen, deren Einhaltung Grundlage für die Aufnahme und Mitgliedschaft in der Währungsgemeinschaft ist. Stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz wurden zu richtungsweisenden Grundsätzen erklärt. Schauen Sie sich diese Petition an. Und – wenn Sie auch so denken – unterschreiben Sie. Bitte!
Insofern kam es bekanntermaßen bereits zu Abweichungen und nicht vorgesehenen Maßnahmen wie ESM und dem Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB. Auch andere Euroländer haben die Kriterien in der Vergangenheit bereits verletzt. Anders als in diesen Fällen weigert sich die derzeitige griechische Regierung jedoch beharrlich, zu ihrer Einhaltung zurückzukehren. Angesichts des Abweichens vom Stabilitätsziel kann die Grundlage für eine Vertragsbeendigung erfüllt sein. Dabei stellte das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem 1993 gefällten Maastricht-Urteil fest, sofern die Währungsunion die Stabilität nicht kontinuierlich im Sinne des vereinbarten Stabilisierungsauftrags fortentwickeln könne, würde sie die vertragliche Konzeption verlassen (Urteil v. 12.10.1993, Az.: 2 BvR 2134/92; 2 BvR 2159/92). Sie sollen eine auf Dauer der Stabilität und insbesondere der Geldwertstabilität verpflichtete Gemeinschaft gewährleisten. Die Einhaltung dieser Stabilitätsgemeinschaft war damals wesentlich für die Verfassungsrichter die gegen die deutsche Zustimmung zum Maastricht-Vertrag eingelegte Verfassungsbeschwerde zu verwerfen. 25 Jahre später erweist sich dies als die härteste Probe für die Zukunft der Europäischen Union in ihrer bisherigen Geschichte.
03.Juli.2015, 15:33
Tsipras und Syriza hätten das Reformprogramm einer linken Regierung entwickeln und damit ihre Verhandlungspartner in Brüssel und Berlin „vorführen“ können. Amartya Sen hat die von der deutschen Bundesregierung durchgesetzte Sparpolitik noch im vergangenen Monat mit einem Medikament verglichen, das eine toxische Mischung aus Antibiotika und Rattengift enthält.
Die linke Regierung hätte ganz im Sinne des wirtschaftswissenschaftlichen Nobelpreisträgers eine keynesianische Entmischung der Merkel’schen Medizin vornehmen und alle neoliberalen Zumutungen konsequent zurückweisen können; aber gleichzeitig hätte sie ihre Absicht glaubhaft machen müssen, die fällige Modernisierung von Staat und Wirtschaft durchzuführen, einen Lastenausgleich vorzunehmen, Korruption und Steuerflucht zu bekämpfen usw.
Der Krisengipfel der EU-Staats-und Regierungschefs zu Griechenland geht am Montagabend ohne Ergebnis zu Ende. Nun kommen die Finanzminister am Mittwoch erneut zusammen. Die aktuelle Situation im Überblick.
Stattdessen hat sie sich aufs Moralisieren verlegt – auf ein blame game, das die deutsche Regierung unter den gegebenen Umständen in die vorteilhafte Lage versetzt hat, in neu-deutscher Robustheit die völlig berechtigte Klage Griechenlands über den cleveren Schlussstrich in den Zwei-plus-vier-Verhandlungen abzuschmettern.
Das schwache Auftreten der griechischen Regierung ändert nichts an dem Skandal, der darin besteht, dass sich die Politiker in Brüssel und Berlin weigern, ihren Kollegen aus Athen als Politiker zu begegnen. Sie sehen zwar wie Politiker aus, lassen sich aber nur in ihrer ökonomischen Rolle als Gläubiger sprechen. Diese Verwandlung in Zombies hat den Sinn, der verschleppten Insolvenz eines Staates den Anschein eines unpolitischen, vor Gerichten einklagbaren privatrechtlichen Vorgangs zu geben.
Denn dann lässt sich eine politische Mitverantwortung umso leichter verleugnen. Unsere Presse macht sich über den Akt der Umbenennung der Troika lustig; er ist tatsächlich so etwas wie eine magische Handlung. Aber darin äußert sich der legitime Wunsch, dass hinter der Maske der Geldgeber doch das Gesicht der Politiker hervortreten möge. Denn nur als Politiker können diese für einen Misserfolg, der sich in massenhaft vertanen Lebenschancen, in Arbeitslosigkeit, Krankheit, sozialem Elend und Hoffnungslosigkeit ausgebreitet hat, zur Rechenschaft gezogen werden.
Der Skandal im Skandal ist die Hartleibigkeit
Angela Merkel hat für ihre zweifelhaften Rettungsaktionen von vornherein den Internationalen Währungsfonds ins Boot geholt. Dieser ist für Dysfunktionen des internationalen Finanzsystems zuständig; als Therapeut sorgt er für dessen Stabilität und handelt daher im Gesamtinteresse der Anleger, insbesondere der institutionellen Investoren.
Als Mitglieder der Troika verschmelzen auch europäische Institutionen mit diesem Akteur, sodass sich Politiker, soweit sie in dieser Funktion handeln, in die Rolle strikt regelgebunden handelnder und unbelangbarer Agenten zurückziehen können.
Diese Auflösung von Politik in Marktkonformität mag die Chuzpe erklären, mit der Vertreter der deutschen Bundesregierung, ausnahmslos hochmoralische Menschen, ihre politische Mitverantwortung für die verheerenden sozialen Folgen leugnen, die sie als Meinungsführer im Europäischen Rat mit der Durchsetzung der neoliberalen Sparprogramme doch in Kauf genommen haben.s
Der Skandal im Skandal ist die Hartleibigkeit, mit der die deutsche Regierung ihre Führungsrolle wahrnimmt. Deutschland verdankt den Anstoß zu dem ökonomischen Aufstieg, von dem es heute noch zehrt, der Klugheit der Gläubigernationen, die ihm im Londoner Abkommen von 1953 ungefähr die Hälfte seiner Schulden erlassen haben.
Aber es geht nicht um eine moralische Peinlichkeit, sondern um den politischen Kern: Die politischen Eliten in Europa dürfen sich nicht länger vor ihren Wählern verstecken und selber den Alternativen ausweichen, vor die uns eine politisch unvollständige Währungsgemeinschaft stellt. Es sind die Bürger, nicht die Banken, die in europäischen Schicksalsfragen das letzte Wort behalten müssen.
Zur postdemokratischen Einschläferung der Öffentlichkeit trägt auch der Gestaltwandel der Presse zu einem betreuenden Journalismus bei, der sich Arm in Arm mit der politischen Klasse um das Wohlbefinden von Kunden kümmert.
Jürgen Habermas
05.Juli.2015, 08:18
Da lass ich doch mal Aristoteles zu Wort kommen und gebe Euch Griechen heute am Tag des Referendums mit auf den Weg, den Ihr beschritten habt;
„Wir können den Wind nicht ändern,
aber wir können die Segel richtig setzen“.
Matthias Faulmüller
05.Juli.2015, 21:07
Respekt für die mutige Entscheidung der Griechen. Widerständige Demokraten haben dem riesigen Druck und den Drohungen aus der EU, nahezu aller Spitzenpolitiker und der meisten Medien, getrotzt und unabhängig entschieden. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Tsipras hatte Recht. Das griechische Volk will sich nicht alles gefallen lassen. Reformen JA aber keine solchen, mit weiteren Spargrausamkeiten zu Lasten der eh schon Armen.
Soviel einseitige Einmischung vor einer Wahlentscheidung in einem Land der EU aus den anderen Länder gab es noch nie. Kaum ein Spitzenpolitiker, der nicht die vermeintliche Chance nutzte, die aufmüpfige griechische Regierung loszuwerden. Viele versuchten gar mit Druck und massiven Drohungen, die Fortsetzung der unverantwortlichen Sparpolitik zu Lasten der Armen Griechenland zu erzwingen. Eigentlich schade. Warum dürfen Griechen nicht frei und unbeeinflußt von Außen entscheiden, was für sie und ihr Land richtig ist? Warum wurde ständig unterstellt, die Griechen wüßten gar nicht, über was sie entscheiden? So wie bisher geht es nicht weiter. Die Sparpolitik der „Rettungsschirme“ ist trotz immenser Opfer der griechischen Bevölkerung gescheitert. Nicht nur in Griechenland.
H. C. S