Der Aktualität des Parteientheaters wegen holen wir das vor einigen Tagen Geschriebene auf dieses Datum vor. Damit es nicht verloren geht …
An erster Stelle, Koalitionen nicht einzugehen, stehen inhaltliche Überlegungen, wie sie jetzt, da eine Neuordnung der deutschen Parteienlandschaft unübersehbar ist, alle Parteien anstellen. Gibt es genug Übereinstimmungen in inhaltlichen Fragen, die eine Koalition möglich machen? Diese Frage werden wir in den kommenden Wochen noch oft hören. Sie hat nicht nur den Vorteil, dass man dabei höchst staatsmännisch wirkt, man gerät auch nicht in der Verdacht, eigene Positionen zu verraten. Denn der Verrat lauert nun im Hintergrund für alle Parteien, so sie sich bewegen: CDU, FDP, SPD und Grüne. Roland Kochs Wahlkampf war der letzte Versuch, eine Wahl durch deutliche Positionierung zu gewinnen. Das Modell ist gescheitert. Allein die Linkspartei kann im Moment mit einer gewissen Gelassenheit auf ihrer Position verharren.
Hamburg
Ein zweiter Grund, eine Koalition nicht einzugehen, liegt in parteistrategischen Überlegungen. Jede Koalitionsaussage bedeutet Wählerwanderung. Es gibt grüne Wähler, die eine Koalition mit der CDU nicht verzeihen werden – genauso wie mancher CDU-Wähler die Grünen nicht schlucken wird. Parteien stellen politische Identifikationsangebote zur Verfügung, die durch Koalitionen modifiziert werden.
Und ein dritter Punkt sind Animositäten. Man sollte sie nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es geht dabei nicht um politischen Kinderkram, sondern den emotionalen Kern einer Partei. Es ist nicht anders als in persönlichen Beziehungen, wo auch die Chemie stimmen muss. Nicht umsonst sprechen Politiker von Koalitionen am liebsten in Begriffen der Partnerwahl, vom Flirt bis hin zu dem Ausdruck, dass man sich mit denen nun nicht gemeinsam ins Bett lege.
Hessen
Oskar Lafontaine, dieser furchtbare Populist, ist wohl der gewichtigste Hinderungsgrund für eine Annäherung der beiden roten Parteien. Es wäre für manchen (SPD)-Genossen Masochismus, sich mit Lafontaine verständigen zu müssen. Trotzdem wäre es für die SPD selbstmörderisch, sich von diesem schwer zu bewältigenden Gefühl in der jetzigen Situation leiten zu lassen.
Ein ahistorischer Gund
Das hat nun ein Parteichef erkannt, der nach bald zwei Berliner Jahren immer noch wirkt wie ein pfälzischer Provinzpolitiker. Dabei führt er konsequent seine Korrektur am Kurs der Schröder-SPD fort, der angesichts der sozialen Situation in Deutschland immer mehr wie ein Verrat an der historischen Rolle der SPD wirkt. Das Erstaunliche ist nicht der Versuchsballon, den Beck vor der Hamburg-Wahl starten ließ, das Erstaunliche ist die einhellige Ablehnung, auf die er damit in der SPD und sogar bei den gewitztesten Kommentatoren der Republik stieß. Es gibt ja gute Gründe dafür, von der Linken nicht überzeugt zu sein, aber sie so zu behandeln, als seien sie die letzte Bastion des Kalten Kriegs, das ist – zumindest- ahistorisch.
Wer sollte Hamburg künftig regieren?
Die CDU hat die absolute Mehrheit verloren, Ole von Beust steht ein schwieriger Koalitionspoker bevor. Wer sollte nach Ihrer Meinung Hamburg regieren?
Große Koalition aus CDU und SPD
CDU und Grüne
SPD, Linke und Grüne
CDU und Linke – das wär‘ doch mal wirklich was!
Neben persönlichen Animositäten gibt es für die SPD keinen Grund, der gegen ihre Öffnung nach links spricht. Inhaltlich ist die Schnittmenge ausreichend, sie ist größer als zur FDP, die in Hessen umworben wird, und sie ist so groß wie die zur CDU, mit der die SPD bekanntlich im Bund regiert. Der rot-rote Senat in der Berlin zeigt, dass die Linke finanzpolitisch nicht so blauäugig ist, wie sie in ihren Wahlkampf-Reden tut. Ächtung ist nicht nötig: Der Zulauf bei der Linken zeigt, dass das die Partei stärkt.
Auch CDU und FDP witterten ihre Chance, ganz kreuzehrlich die sich des Wortbruches sogar selbst bezichtigenden Sozialdemokraten vor sich herzutreiben. Was für eine riesengroße Koalition: Ein Hochamt von Gesinnungsethikern aller Parteien, selbst Grüne und Linke fehlten nicht. In diesem Spiel kam der eigentliche Souverän, die Wähler, nicht mehr vor. Im Namen der neuen Ehrlichkeit wurde seinem Votum Hohn gesprochen; statt sich um die politische Umsetzung des Volkswillens zu kümmern, beschäftigten sich die Parteien nur mit sich selbst. Und dann noch über Politikverdrossenheit schwadronieren …
Die zur Herrschaft gekommene Gesinnung wähnt sich frei von aller Verantwortung und führt geradewegs ins politische Abseits. Wenn Politik aber Handeln aus Freiheit bedeutet und dies wiederum als ein Herstellen von Handlungsanschlüssen zu verstehen ist, dann erleben wir zur Zeit eine weitere Etappe der Entpolitisierung der Politik durch sich selbst. Selbstdemontage und Totalblockade: Die Gesinnungsethik hat die Verantwortungsethik verdrängt. Es ist unübersehbar, dass alle anderen Parteien etwas davon haben, wenn die SPD auf Landes- und Bundesebene die Linke so indigniert behandelt wie Liechtensteiner Staatsbankiers. Keine Partei ist im Moment so gefesselt wie die SPD: Aus Überzeugung kann sie allein mit den Grünen koalieren, wegen der Linken wird sie immer schwächer, so hat sie froh sein zu können, akzeptierte die CDU sie als Partner, sobald es mit anderen nicht reicht.
In Hessen war die Aussage, nicht mit der Linken zu koalieren, taktisch sinnvoll: Alles andere wäre ein Wahlgeschenk für Koch gewesen. Jetzt aber grenzt es an Dummheit, dass Kurt Becks in der Tat des Termins wegen als Dummheit im Raum stehenden Äußerungen von allen Seiten als Ausrutscher qualifiziert wurden, während er daran arbeitet, der SPD neue Spielräume zu eröffnen: Man gewinnt in Hessen dazu, aber trotz deutlicher Anti-Koch-Stimmung gibt es für die SPD keine Möglichkeit zu regieren. Das muss einem SPD-Chef doch zu denken geben.
Würde die SPD beginnen, mit Kurt Beck über die Linke als Lebensabschnittspartner nachzudenken, würde auch das deutsche Parteiensystem an Deutlichkeit gewinnen. Die CDU würde lächerlich, wenn sie sich noch weiter als die eigentlich soziale Partei verkaufen wollte, der das Schicksal des kleinen Mannes mehr am Herzen liegt als der Schröder-SPD. So wäre für die SPD die Möglichkeit, auch in der Mitte Stimmen zu gewinnen, nicht verbaut.
Der drohende Verrats-Verdacht
Und wahrscheinlich ist es doch so, wie es immer ist: Integration würde auch in diesem Fall zeigen, dass der SED-Teufel im Linksgewand viel menschlicher aussieht, als man aus der Ferne dachte. Außerdem wären Annäherung und Integration eine Möglichkeit zu korrigieren, was als historischer Fehler der SPD weithin erkannt ist: Nach der Wende nicht die gemäßigten Teile der SED integriert zu haben.
Warum also wird das Thema von der SPD immer noch als Tabu behandelt? Die Sozialdemokratie ist von allen Parteien dem Verratsverdacht am meisten ausgesetzt. Dabei ist es nicht die alte Volksfrontfrage „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“, sondern der Vorwurf, die Demokratie an eine undemokratische Linke zu verraten, den die SPD fürchtet. Aber glaubt das wirklich noch jemand? Ist es nicht ganz anders: Jahrzehntelang war die SPD die Ständige Alleinvertretung der Linken in der Bundesrepublik. Es ist schwer, diese kommode Position aufzugeben, die doch deutlich sehbar zur Trägheit verführt hat.
Ach ja, bei den Fragen, die gegen Koalitionen sprechen, haben wir eine vergessen. Im eigentlichen Sinne ist eine Koalition die Antwort auf die Frage, wer die Regierung stellt. Will sich die SPD vom Regieren auf absehbare Zeit nicht verabschieden, wird sie sich neu positionieren müssen. Oder sie wird den Machtinstinkt verloren haben. Was das bedeutet? Schaun wir mal …
Jürgen Gottschling