Wer vom Guten reden will, sollte vom Bösen nicht schweigen. Alle Bemühungen um menschenfreundliche Verhältnisse sind nutzlos, solange man keinen Begriff davon hat, weshalb Menschen oftmals nicht das Wünschenswerte erstreben, sondern ihrer inneren Tendenz zur Abwehr, Verachtung oder Zerstörung gehorchen. Offenbar ist es dem Gattungswesen unmöglich, durchweg gut zu sein. Mit seinen Lastern und Unsitten lebt es weit besser als mit auferlegten Pflichten und Tugenden. Dies ist die skeptische Intuition, die Aurel Kolnais Phänomenologie der negativen Gefühle und Haltungen zugrunde liegt.

Ein produktiver Kopf

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Kolnai gehörte wie Karl Mannheim, René Spitz, Georg Lukács oder Karl Polányi zu jenen Emigranten jüdischer Herkunft, die nach dem Ende der ungarischen Räterepublik 1919 nach Wien, Berlin oder Heidelberg flüchteten und die Kultur der Weimarer Republik mitprägten. Dem Schicksal des frei schwebenden Intellektuellen, der allen Richtungswechseln des Zeitgeistes zu folgen pflegt, entging Kolnai durch die frühzeitige Konversion zum Katholizismus. Seine Produktivität war ebenso vielseitig wie umfangreich. Aus seiner Feder stammen neben zahlreichen Artikeln Bücher zur Psychoanalyse und Sexualethik, zur Phänomenologie der Werte, zur Kritik des Utopischen sowie eine frühe Studie zum Weltbild des Nationalsozialismus, die noch immer der Übersetzung aus dem Englischen harrt.

Der vorliegende Band versammelt drei Arbeiten Kolnais aus den Jahren 1929 bis 1935. Trotz ihrer etwas altväterlichen Diktion zeigen sie eindrucksvoll, wozu eine phänomenologische Analyse der Emotionen imstande ist. Jenseits experimenteller Versuchsordnung vermag sie präzise zu rekonstruieren, in welcher Weise Selbst und Welt in den inneren Zuständen des Ekels, des Hasses oder des Hochmuts erlebt werden.

Physischer und moralischer Ekel

Ekel erfasst die Person, wenn ihr ein fauliger Geruch, eine schleimige, klebrige Substanz, ein Gewimmel von Gewürm und Geschmeiss auf den Leib rückt. Verfaulendes Fleisch, Sekret, Exkremente, Abfall, Speisereste besetzen die Nahsinne. Das Ekelhafte ist weniger bedrohlich als in seiner Formlosigkeit störend und zudringlich. Aber es verlockt auch zu genauerer Untersuchung oder gar Einverleibung. Die abrupte Abwehr des Brechreizes wäre gar nicht nötig, verspürte das Subjekt nicht eine heimliche Anziehungskraft. Doch ist es nicht nur das Leben im Übergang zum Tode, das als ekelhaft empfunden wird. Kolnai spricht zu Recht auch von sozialem Ekel, der uns angesichts schleimiger Verlogenheit oder kriecherischer Unterwürfigkeit überkommt. Bei manchen Zeitgenossen, deren «schmutzige Geschäfte» oder heuchlerisches Geschwätz man sofort durchschaut, überkommt einen sogleich nach der Begrüssung eine Aversion, die nur durch höfliche Distanz zu unterdrücken ist. Die innere Zersetzung eines Charakters erregt nicht weniger Abscheu als das, was uns angrinst, anstarrt, anstinkt.

Hochmut vergeht sich an der sozialen Ordnung. Anders als der Stolze, der sich im Glanz seiner Leistung sonnt, genügt sich der Arrogante selbst. Die Intention weist stets auf ihn selbst zurück. «Der Stolze mag seine Bedeutung für die Welt übertreiben; der Hochmütige erkennt der Welt nur eine Bedeutung für ihn selbst zu. Stolz mag verletzen, kann aber auch befeuern, Hochmut vernichtet.» Für Kolnai ist jeder Hochmut «satanisch», da er sein eigener Gott sein will. Allem Bösen haftet eine Tönung der Hybris an. Gegen Zweifel ist der Hochmütige immun. Was immer vorgebracht wird, es prallt an ihm ab. Eisig ist die Arroganz, gleichgültig gegen die Welt und gegen die anderen. Der Hochmütige schliesst sich ab, erträgt nur eine Wüste um sich herum. Für andere Personen hat er nur Verachtung und Vernichtung.

Doppelgesichtiger Hass

All dies wird von Kolnai mit der nötigen Klarsicht beschrieben, und auch die diversen Abstufungen und Unterformen vergisst der Autor keineswegs. Die Affinität des Hochmuts zu Macht, Status und Geldbesitz ist offenkundig. Ob freilich der Streber und Karrierist zu den Hochmütigen zu rechnen ist, erscheint fraglich. Diese Ausgeburten der modernen Leistungsgesellschaft werden von Ehrgeiz, Habgier oder Geltungssucht getrieben, nicht von Arroganz. Entgangen ist dem Sozialphänomenologen Kolnai überdies die Korrespondenz von Hochmut und Unterwürfigkeit. Der Arrogante sieht über alle anderen hinweg. Aber dafür muss er sie so gedemütigt haben, dass sie vor ihm zu Kreuze kriechen.

Auch der Hass ist zuletzt auf Vernichtung aus. Er will sein Objekt aus der Welt schaffen. Rivalen und Nebenbuhler sollen ausgeschaltet, Widersacher beseitigt werden. Hass vergeht nicht, er kann zur Lebensaufgabe werden. Anders als die Liebe ist der Hass eindeutig und eintönig. Er zielt nur auf die Negation seines Gegenübers. Zu Recht weist Kolnai die populäre Meinung zurück, Liebe und Hass verhielten sich wie Licht- und Schattenseite desselben sozialen Verhältnisses. Beide Gefühle gehen jeweils aufs Ganze. Es ist unmöglich, jemanden zu lieben und gleichzeitig einige seiner Eigenschaften zu hassen.

Kolnais zentrale Entdeckung liegt jedoch in der Doppelmotivation des Hasses. Das Hassobjekt löst zugleich Angst und Empörung aus. Es ist gefährlich, und es ist ungerecht, tückisch, hinterhältig. Menschen hassen das Böse, das ihnen Schaden bringt. Besessen sind sie von der Idee, der andere sei der Teufel, der Todfeind. Indem er das soziale Verhältnis entmischt, wirkt der Hass daher selbst böse. Er kreiert den Feind, auch wenn der Gegner harmlos oder der Konkurrent fair gewesen ist.

Den Studien beigefügt hat der Herausgeber Axel Honneth ein vorzügliches intellektuelles Porträt Aurel Kolnais. Dem Frankfurter Philosophen ist es zu verdanken, dass eine wichtige Figur der Geistesgeschichte des vergangenen Jahrhunderts nun endlich die gebührende Beachtung erlangen kann.

Aurel Kolnai: Ekel, Hochmut, Hass. Zur Phänomenologie feindlicher Gefühle. Mit einem Nachwort von Axel Honneth. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007. 176 S., 16.50. €

Feb 2008 | Allgemein | Kommentieren