Wilhelm Fraenger

Wilhelm Fraenger

Gerade füllte, den 125. Geburtstag Wilhelm Fraengers zu feiern, am Freitag (5. Juni 15) ein illustrer Kreis den Großen Salon des Palais Morass im Kurpfälzischen Museums Heidelberg.     Wir waren dabei, haben mitgefeiert und schenken ihm und Ihnen Miszellen zu diesem Anlass: „Ihm sollte mehr als ein Denkmal gesetzt werden -, war doch der Radius seiner geistigen Ausstrahlung, seines Wissens und seiner Darstellungs- und Übertragungsgabe geradezu unerschöpflich“ – schrieb Carl Zuckmayer am 4. April 1964 an Gustel Fraenger, die Witwe Wilhelm Fraengers. Sein ‚Hieronymus Bosch‘ hat ihm zwar eine Art Weltruhm eingetragen, doch wer ihn nicht gekannt und wie wir eine Zeit lang unter seinem Einfluss gestanden hat, ahnt nichts vom Reichtum und der Fülle des Geistes und der Macht seiner elementarischen Phantasie …

Wilhelm Fraenger und Heinrich George (im Hintergrund Georges Bruder Werner) Foto um 1930. Bildrechte: Wilhelm Fraenger-Archiv Potsdam

Wilhelm Fraenger und Heinrich George (im Hintergrund Georges Bruder Werner)  Foto: um 1930.
Bildrechte: Wilhelm Fraenger-Archiv Potsdam

… Ich sehe ihn mit der Laute, – so wie der ‚kleine Walter Becker‘ ihn auf einigen Aquarellen skizziert hat, – ich höre seine Chansons und Kompositionen, Klabund, Werfel, Else Lasker-Schüler, die französischen Balladen (Jean Renaud revenant de guerre…), und unseren Bellman, – ich höre seine Reden und Vorträge, aber noch viel mehr seinen ganz persönlichen Tonfall von Mensch zu Mensch, … Dazu kommt noch der Hauch eines unverfälschten, phrasenlosen Humors, man könnte auch sagen: einer unbekümmerten, scholarenhaften Heiterkeit, die nie an der Oberfläche blieb, immer das Unheimliche und alle Dämonien des Lebens und des Menschengeistes mit einschloss, – jene nächtige Luft, die bei unseren ‚Wolfsbrunnen-Abenden‘ wehte. … Mein Gedenken an Wilhelm Fraenger heisst: Dankbarkeit, und Bewunderung.“

1919-1922 – Eine Erinnerung in Zitaten aus Anlass des 125. Geburtstages von Wilhelm Fraengr: Ein Freundeskreis lässt sich in Namen fassen: Carlo Mierendorff und Theodor Haubach aus Darmstadt, der Rheinpfälzer Carl Zuckmayer, Egon von Ranshofen-Wertheimer, Wolfgang Petzet, Henry Goverts, der Dichter Hans Schiebelhuth, Emil Henk, Percy Gothein und Wolfgang Frommel, …

sportlich großDie Aktivitäten, deren Epizentrum zweifellos Fraenger selbst war, beschränkten sich nicht auf Lesungen, Privatseminare und Lichtbildervorträge, wenngleich auch diese gelegentlich ‚Eventcharakter’ hatten und den akademischen Lehrbetrieb konterkarierten. Fraenger drängte mit Verve nach draußen, ins Freie, ins Feld der künstlerischen Expedition. Legendär waren die Aufführungen beim Wolfsbrunnen in Schlierbach, zu denen ein jugendliches Publikum strömte. Dort trat der Psychiater Hans Prinzhorn mit einer jungen Sängerin auf, den altfranzösischen Text „Aucassin und Nicolette“ vortragend, dort kam eine von Zuckmayer zusammengestellte, lockere Szenenfolge mit Liedern und Texten des schwedischen Barockpoeten Carl Michael Bellman zu Aufführung.

"Weile an dieser Quelle" - mit Harfe und Begleitung

„Weile an dieser Quelle“ – mit Harfe und Begleitung

Entsprechend gestaltete das Programm der ‚Gemeinschaft’ jene kunstvoll inszenierten Begegnungen mit avantgardistischer Kunst. Diese fanden häufig in szenisch arrangiertem Naturambiente statt, wodurch die Wirkung von Vortrag, Gesang und Darstellung mit wandervogelhaftem Naturerleben kombiniert wurde.

Das erste öffentliche Auftreten der ‚Gemeinschaft’ fand am 23. Februar 1919 statt, als Fraenger in der Heilggeistkirche eine Totenfeier für die gefallenen Studenten der Heidelberger Universität durchführte, bei der Fraenger eine Rede hielt. Die Veranstaltung war zugleich dem Andenken an den im Krieg gefallenen Maler Max Zachmann (1892-1917) gewidmet. Das Ausmaß der Provokation, den diese Feier darstellte, mag man sich vorstellen im direkten Vergleich mit der offiziellen Feier zur Ehrung der „Heldentoten des Krieges“, den die Universität im Frühjahr veranstaltete. …

Ein Höhepunkt der ‚Gemeinschaft’ war die sommernächtliche Kokoschka-Feier in einer Waldlichtung nahe dem Speyerhof-Krankenhaus am 23. Juli 1920, bei der der „Brennende Dornbusch“ und „Die träumenden Knaben“  unter maßgeblicher Mitwirkung von Prinzhorn und Goverts aufgeführt wurden. In ungebremster Aktivität reihten sich Ausflüge nach Bad Wimpfen und ins Kloster Maulbronn, nach Schwetzingen, Worms und Frankfurt, zur Mannheimer Kunsthalle, auf den Dilsberg und zur Karlsruher Künstlergruppe ‚Rih’, benannt nach dem Pferd von Kara Ben Nemsi (Karl May), in der sich u.a. die Maler Rudolf Schlichter, Walter Becker; Oskar Fischer und Wladimir Zabotin zusammengeschlossen hatten. Gäste der ‚Gemeinschaft’ waren die Dichter Klabund und Theodor Däubler, die Schriftsteller Otto Flake und Graf Keyserling, über den Friedrich Gundolf schüttelreimte „Als Gottes Atem leiser ging, schuf er den Grafen Keyserling“ und auch Franz Werfel war Gast, und als er auf dem Podium stolperte, rief Fraenger „Der Werfel ist gefallen“.

Paul Hindemith provozierte mit Konzerten und Otto Kokoschka begeisterte als Maler und Dramatiker.

gemeinschaft_fa_sommer_1919Kämpferisch verteidigte die ‚Gemeinschaft’ die Avantgarde gegen das rückständische Publikum, das in Heidelberg Hindemith Kompositionen und in Frankfurt Kokoschkas frühe Theaterexperimente nicht goutieren mochte. Fraenger liegt an einer praktischen Umsetzung der – von seinem Lehrer  Karl Lamprecht – proklamierten kulturstiftenden Gemeinschaft. Er gründet 1919 einen Verein mit dem programmatischen Namen ‚Die  Gemeinchaft’, einen Kreis, der sich mit moderner Kunst, insbesondere dem Expressionismus, moderner Literatur, Philosophie, Musik, Theater und ihren gesellschaftspolitischen Bezügen beschäftigt, und er opponiert damit bewusst gegen die im Heidelberger Universitätsmilieu zusehends an Einfluß gewinnenden völkischen Kreise …

Der Vortrag von Petra Weckel zum 125. Geburtstag Wilhelm Fraengers wurde begleitet von Wolfgang Mettenberger mit Liedern zur Laute von Carl Michael Bellmann (1740 - 1795)

Der Vortrag von Petra Weckel zum 125. Geburtstag Wilhelm Fraengers wurde fulminant begleitet von Wolfgang Mettenberger mit Liedern zur Laute von Carl Michael Bellmann (1740 – 1795) Foto: got

Durch ‚Die Gemeinschaft’ findet Carl Zuckmayer den Weg zu Fraenger und sein Eindruck ist nachhhaltig: „Ungewöhnlich wie sein Geist und seine sprühende Phantasie war seine Erscheinung, die sich von allen anderen Gestalten der akademischen Welt aufs originellste abhob und unterschied. (…) Kam er auf der Strasse daher, (…) so dachte man weder an einen modernen Gelehrten noch an einen zeitgenössischen Bohemien, aber erst recht nicht an eine Spitzweg-Figur oder einen ‚Stillen im Lande“; eher an einen Alchemisten und Goldmacher, einen Geheimbündler der Steinmetzzunft, an einen spitzzüngigen Erzschelm, einen aus der Kutte entsprungenen Mönch, Reformator oder Wiedertäufer, vielleicht auch einen Baalspfaffen, Mystagogen und Laster-Abbé, dem man die Zelebration der Satansmesse zutraute. (…) In den Kreisen der traditionsgetreuen Akademiker galt er als der reine Teufel oder wenigstens dessen mephistophelischer und, was noch ärger war, bolschewistischer Abgesandter.“ – Zuckmayer führte auch seine Freunde aus der Redaktion der linksradikalen Zeitschrift „Das Tribunal“, Carlo Mierendorff und Theodor Haubach bei ihm ein, die Fraenger mit Freude begrüßte. Sie ergänzten den akademischen Vorstandszirkel der ‚Gemeinschaft’ (Hans Ehrenberg, der Psychiater Karl Wilmanns, der Rechtshistoriker Hans Fehr, Marie Luise Gothein Ehefrau des Nationalökonomen und Wirtschaftshistorikers Eberhard Gothein und Mutter von Percy Gothein, der dem Kreis um Stefan George nahe stand, der Philologe Gustav Neckel und der Psychiater Hans Prinzhorn) …

Kokoschka-Matinee in Frankfurt

Der Höhepunkt eines in Hülle und Fülle strotzenden Sommers: die von Fraenger inspirierte Frankfurter Kokoschka-Matinee, die unter Mitwirkung von Heinrich George … und anderen Schauspielern an einem Sonntagvormittag im „Neuen Theater“ stattfand. Fraenger sprach vor Beginn der Matinee im verdunkelten Zuschauerraum aus einer Loge, auf die nur ein Schweinwerferstrahl gerichtet war, mit feierlicher Prädikantenstimme, in hochgeschlossenem schwarzen Rock, über Oskar Kokoschka und sein Werk.

Das Publikum verhielt sich erst einmal abwartend

Erst bei der Präsentation des Dramas „Hiob“ brach der Skandal los. Kokoschka schreibt vor, dass „Das Leben“ in Gestalt einer nackten jungen Frau dem lamentierenden Hiob gegenübertrete, und dies wurde, unter Georges Einfluss, in der Frankfurter Inszenierung wörtlich genommen.
Da sich aber keine Schauspielerin dafür gefunden hatte – wohl weniger aus Prüderie, sondern weil es keine „Rolle“ war, sie hatte nur einen kurzen Satz – war eine wohlgestaltete Dame aus dem Frankfurter „Milieu“ gewonnen worden, das es schon damals gab.
Den Satz: „Guten Tag, mein Freund, das Leben lacht dich an“, den man ihr mühsam eingetrichtert hatte, brachte sie nicht zu Ende, worauf hin sich der Unmut des Publukums in empörten Zwischenrufen entlud:
„Vorhang runter! Aufhören! Schweinerei!“ und so weiter – unterbrachen ihren rhetorischen Versuch. Nur mit – wiewohl fröhlicher – Mühe und unter vielen Störungen konnte die Matinee zu Ende gehen; und  „am Schluss prügelten wir uns für Kokoschka und das Theater mit entrüsteten Mannen, die die Bühne stürmten und die Schauspieler verdreschen wollten.

„Höchst befriedigt, nach einem künstlerischen Kampf-Erlebnis, kehrten wir aus dem unkundigen Böotien in das arkadische Heidelberg zurück …“

 

Jun 2015 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton, Junge Rundschau | 1 Kommentar