„Ja … warum lacht die Mona Lisa? / Lacht sie über uns, wegen uns, trotz uns, mit uns, gegen uns – / oder wie -?“, fragte seinerzeit Kurt Tucholsky. Die Fragen sind berechtigt. Denn die Dame, gut fünfhundert Jahre alt, ist immer wieder für Neuigkeiten gut. Auch wenn das Neueste – gerade als Sensation gemeldet – nur das Altbekannte bestätigt.
Veit Probst, der frühere Leiter der Handschriftenabteilung der Heidelberger Universitätsbibliothek, soll in einem Frühdruck, der einst einem Bekannten Leonardos gehörte, eine handschriftliche Randnotiz entdeckt haben. Und die beweise, dass die Porträtierte tatsächlich Lisa Gherardini sei, die zweite Frau des Florentiner Seidenhändlers Francesco di Bartolomeo di Zanobi del Giocondo. Das wurde in einem wissenschaftlichen Aufsatz ausführlich begründet.
Das Gemälde ist zwar weder datiert, noch signiert. Doch da Giorgio Vasari in seinen Künstlerviten schreibt, Leonardo habe nach seiner Rückkehr nach Florenz „für Francesco del Giocondo, ein Porträt von Mona Lisa, seiner Frau“ übernommen, gilt die geheimnisvoll Lächelnde im Louvre als „La Gioconda“. Ihre Lebensdaten widersprechen dem jedenfalls nicht. Sie wurde am 15. Juni 1479 in der Via Sguazza geboren, das ergibt sich aus Steuerdokumenten des Hauseigentümers. 1495 heiratete sie del Giocondo, der 14 Jahre älter war. Und mit 63 Jahren sei sie im Convent Sant’Orsolo, wo sie nach dem Tod ihres Mannes lebte, gestorben.
Als Auftraggeber kommt ihr Mann in Frage, weil er zu dieser Zeit ein neues Haus bezog und seine Frau im Dezember 1502 ohne Komplikationen den zweiten Sohn, Andrea, geboren hatte. Eine weniger überzeugende Version vermutet, Leonardos Vater, Nachbar der Gherardinis und mit del Giocondo befreundet, habe seinen Sohn zu dem Bild angeregt, um es dem Freund zu schenken. Doch die Giocondi haben es nie besessen. Nach vier Jahren war es, wie Vasari anmerkt, noch immer nicht vollendet. Jedenfalls nahm es Leonardo 1516 mit nach Frankreich und verkaufte es König Franz I. Es hing zuerst im Schloss Amboise, dann in Fontainebleau und Versailles, ehe es in den Louvre kam.
Für Kunsthistoriker wie für Amateurforscher war und ist die „Mona Lisa“ eine ständige Herausforderung. Nicht nur wegen ihres Lächelns. Erst unlängst hat ein japanischer Kriminologe ihren Schädel rekonstruiert – und meint nun zu wissen, wie ihre Stimme geklungen habe. Ihren Namen werden wir auf diesem Wege trotzdem nicht erfahren. Denn dass Vasaris „Mona Lisa“ tatsächlich das Bild im Louvre sei, wollen viele nicht hinnehmen. Deshalb gibt es ein reiches Repertoire von Vermutungen, wer da gemalt sein könnte.
Maike Vogt-Luerssen aus dem australischen Adelaide ist beispielsweise überzeugt, es sei Isabella von Aragon, die Mailänder Herzogin. Andere sehen in Mona Lisa Mätressen von Giuliano I. de Medici oder Charles d’Amboise. Auch Caterina Sforza, die in vielerlei Intrigen und Liebesgeschichten Verwickelte, oder Isabella d’Este, die Herzogin von Mantua, wurden ins Spiel gebracht. Manche meinen, es handele sich um ein camoufliertes Selbstporträt Leonardos, deswegen habe er es nicht weggegeben. Oder um seine Geliebte, wer immer das gewesen sein mag. Oder, da er 1476 beschuldigt wurde, sich an dem 17jährigen Jacopo Saltarelli vergangen zu haben, um seinen schönen Schüler (und wohl auch Geliebten) Gian Giacomo de Caprotti, den er wegen seiner tückischen Gewohnheiten „il Salai“ (Dieb, Lügner, Trotzkopf) nannte. Vasaris Titel „Mona Lisa“ müsse deshalb als Anagramm von „mon Salai“ gelesen werden.
„Mona Lisa“ ist immer wieder kopiert, parodiert, travestiert worden. Duchamps „Mona Lisa mit Schnurbart“ oder die dickliche Madame, die Botero malte, sind zwei Beispiele. Monica Lewinsky als „Mona Lisa“ war der Titelseiten-Kommentar des „New Yorker“ zu einer Präsidentenaffäre. Und im Internet gibt es (unter www.cite-sciences.fr/francais/ala_cite/expo/explora/image/mona/de.php) eine „Mona Lisa“, die man mit Hilfe des Mauspfeils verächtlich, enttäuscht, glückselig, angewidert, ängstlich, fröhlich, überrascht oder aggressiv lächeln lassen kann.
Diese Popularität gewann das Gemälde allerdings erst im 20. Jahrhundert. Zuvor galt es zwar als bedeutend, aber berühmt ist es erst seit dem 21. August 1911, als es gestohlen wurde und für gut zwei Jahre verschwunden war – Camille Corots „Frau mit einer Perle“ musste solange die Lücke füllen. An die damalige Mona-Lisa-Aufregung erinnern Max Brod und Franz Kafka. Unmittelbar nach dem Diebstahl sahen sie in Paris im Kino ein Parodie: „Und nun die Schlusspointe: während alles durch die Louvresäle läuft und sensationell tut, schleicht der Dieb herein, die Mona Lisa unterm Arm, hängt sie wieder an ihren Platz und nimmt dafür die Prinzessin von Velasquez mit. Niemand bemerkt ihn. Plötzlich sieht einer die Mona Lisa, allgemeines Erstaunen und ein Zettel in der Ecke des wiedergefundenen Bildes besagt: ‚Pardon, ich bin kurzsichtig. Ich wollte eigentlich das Bild daneben haben.'“
23.Juli.2012, 13:23
ISABELLA VON ARAGON = MONA LISA: DAS HATTEN WIR SCHON MAL
Die von Maike Vogt-Lüerssen 2003 in ihrem Buch „Wer ist Mona Lisa?“ vorgebrachte These, Isabella von Aragon sei Leonardos sogenannte „Mona Lisa“ / „La Gioconda“, ist in Wahrheit die These Robert Paynes (publiziert 1979 in Paynes Buch „Leonardo“). Vogt-Lüerssen gibt Paynes These in Gänze wieder, mitsamt den als thesentragend gedachten darin eingebundenen Spekulationen. (Zu meiner Verwunderung finde ich in Vogt-Lüerssens Buch keinen Hinweis auf die Urheberschaft Paynes.)
Hier und da trägt Vogt-Lüerssen Eigenes bei – häuft unhaltbare, unhistorische Behauptungen auf, um zum Beispiel einem von Payne erdachten Liebes- und Ehebund zwischen Leonardo und Isabella Realität zu verleihen. Massenweise und erklärungslos etikettiert sie da Bilder um und bringt Isabella und Leonardo in ehelicher Vereinigung hinein. So ‚identifiziert‘ sie Luinis „Vermählung Mariens“ (Santuario della Beata Virgine dei Miracoli, Saronno) als „Die Vermählung von Leonardo da Vinci und Isabella von Aragon“, aus der hl. Maria und hl. Anna in Leonardos ‚Burlington-House-Karton‘ macht sie „Isabella von Aragon (links) und Leonardo da Vinci (rechts, in der Verkleidung der Heiligen Anna)“, u.dgl.m.. Symptomatisch für die Unsolidität ihrer Vorgehensweise ist, daß die Autorin wechselnde und konträre Behauptungen aufstellt: Isabellas Sohn Francesco il Duchetto, den sie einfach mal so zu „Leonardos Liebling“ und zum Latein-Schüler Leonardos (welcher des Lateinischen gar nicht mächtig war) erklärt und den sie gleich in zig von Leonardo oder dessen Schule stammende Bilder hineinphantasiert, läßt sie auch für Leonardos „Johannes der Täufer“ und „Bacchus“ Modell sein – lange nach dem von ihr an anderer Stelle genannten Todesdatum Francescos. Und in ihren anderen Büchern verpaßt Vogt-Lüerssen von ihr bereits ‚identifizierten‘ Porträts wiederum andersartige Identitäten …
Paynes auf Spekulationen gestützte These wird auch durch Wiederholung und durch Hinzufügung neuer Spekulationen nicht besser.
Isabella von Aragon ist nicht „Mona Lisa“.
Übrigens, „Isabella von Aragon = Mona Lisa“ fordert für sich eine eigene, ganz unsinnige Datierung des Bildes und verträgt sich nicht mit der ältesten schriftlichen Quelle zur „Mona Lisa“, der glaubwürdigen ‚De-Beatis-Notiz‘. Die o.g. Autoren scheinen keinen Anstoß daran zu nehmen bzw. die Problematik nicht zu sehen.