Annette Pehnts Entwicklung scheint von einer sublimen Form der Phantastik hin zum sozialen Roman zu führen. «Ich muss los» und «Insel 34» hatten etwas milde Versponnenes; dann wandte sich die Autorin in «Haus der Schildkröten» der viel debattierten Alters-Thematik und dem Elend der Greisen-Asyle zu. Ihr neues Buch trägt das relevante Thema schon im Titel:«Mobbing». Der öffentliche Dienst, die Stadtverwaltung, Bildungseinrichtung, das sind die Umfelder, die in der Literatur meist satirisch traktiert werden,wenn überhaupt.Die haben es warm und bequem in ihren Büros, überarbeiten sich nicht und werden trotzdem gut bezahlt. Andererseits wissen wir spätestens seit «Stromberg»: Büro ist Krieg. Welch unerbittlicher Grabenkampf zwischen den Schreibtischen und Kaffeemaschinen geführt wird,das beschreibt (allerdings ganz ohne satirisches Augenzwinkern) auch Pehnts Roman.
Intrigen, Hinterhältigkeiten und gezielte Demütigungen bestimmten den Alltag der Romanfigur Joachim Rühler seit drei Jahren. Laufende Projekte wurden ihm entzogen und stattdessen «Sekretärinnenarbeit» zugeteilt. Die neue Chefin grüßt ihn nicht und verschwindet vor ihm in ihrem Zimmer, wenn er sie sprechen will. «Sie müssen sich einen Termin holen», ruft sie ihm noch zu, bevor sich die Tür schließt. Aber Termine gibt es für ihn nie. Der Amtsschimmel, der da wiehert, kommt aus dem Kafka- Gestüt.
Psychosomatische Symptome wie Schwindelattacken lassen nicht lange auf sich warten. Selbst bei der Geburt seines zweiten Kindes hat Rühler den Kopf voll mit anderen Sorgen. Mit Recht. Denn schon auf der ersten Seite des Romans liegt sie auf dem Tisch: die Kündigung. Das Hartz-IV-Schicksal, von dem man bisher gelegentlich mit sanftem Gruseln in der Zeitung gelesen hat, droht in die Realität der eigenen Familie einzudringen.
Wahn in zweiter Potenz
Jo, der Ernährer. Offensichtlich war er einmal ein strahlender Behörden-Yuppie, kultiviert und charmant, einer, der überall grüßte und gegrüßt wurde. Jetzt ist er eine zerknitterte Existenz, seine Happy Family wie aus der Windelwerbung wird zur Sorgengemeinschaft. Mit Leuten, die offensichtlich nicht glücklich sind, wollen die meisten nichts zu tun haben und sondern allenfalls ratlos machende Ratschläge ab. Aber nicht nur Freundschaften zerfallen hier, auch der Roman selbst ist in einer Sprachkrise.
«Ich hätte dieser Xenia nichts erzählen dürfen. Ich werde gar nichts mehr erzählen. Man handelt sich nur Ärger ein.» Das ist ein Befund, der über diesen Einzelfall weit hinausreicht; auch das Gespräch zwischen Joachim und seiner Ehefrau funktioniert nicht und produziert immer wieder Missstimmungen. Die Frau des Gemobbten, die mit ihrem schlecht bezahlten Job als Übersetzerin die Familie nicht durchbringen könnte, erlebt einen Wahn in zweiter Potenz, und ihre Sicht bestimmt auf triftige Weise die Erzählperspektive des Romans.Weiß das Opfer im Büro schon nicht, ob das, was ihm widerfährt, Zufall oder schlimme Absicht ist, Paranoia oder Perfidie – so erst recht nicht die Ehefrau, die sich die Dinge nur aus den spärlichen Informationen des Gemobbten zusammenreimen kann. Die Knappheit und Präzision von Pehnts Sprache steht in reizvollem Kontrast zum Diffusen,Ungreifbaren der Vorgänge. Es ist wie ein giftiger Grauschleier,der sich bedrückend und krankmachend auf das vormals farbenfrohe Familienleben legt.
Die Frau soll das Selbstvertrauen ihres Mannes wiederherstellen und wird zugleich unweigerlich in eine intime Vertrauenskrise gezogen. Kann sie sich auf Jos Darstellung verlassen? Ist vielleicht etwas dran an den Anschuldigungen? Meisterhaft schildert Pehnt die verunsicherten Gefühle, die heikle Balance der Loyalität. «Jo verstummte und blickte mich an. Ich wusste, dass sein Blick eine Prüfung war. Es war die Solidaritätsprüfung. Ich musste seinem Blick standhalten, ohne zu gähnen, ohne Mitleid, aber voller Anteilnahme,Empörung und Bewunderung für die Kraft, die es ihn kostete.»
Büro-Sadismen, surreal
Frauen fordern von Männern zwar gerne, diese möchten doch mehr über ihren inneren Menschen sprechen, ihre Sorgen mitteilen. Aber der Mann, der sein angstverseuchtes Innenleben auftischt, ist auch wieder nicht willkommen.Er muss befürchten, dass sein Bild bei der Frau erheblich an Pracht einbüßt.Weil er das weiß, neigt er zur Beschönigung.Und wenn das nicht mehr klappt,wenigstens zur Heroisierung seiner Niederlagen. So auch Jo. Er stilisiert die trostlosen Büroereignisse zum Krieg. «Jo lachte nur, das Lachen des Kriegers, der aus der Schlacht kommt und Dinge gesehen hat, die er nie wird erzählen können, ich ertrug es nicht, aber ich durfte es nicht sagen und schaute weg.» Irritiert beobachtet die Ich-Erzählerin ihren erschöpften, ins Grübeln versunkenen Mann, der nachts schlaflos liegt und tagsüber schläft wie ein Stein. Der Zugewinn an Zeit ist für den Arbeitslosen belanglos, die Leere lässt sich nicht mit Klavierspielen füllen. Was man schon immer wollte und wozu man nie kam, Chinesisch lernen, Philosophie lesen oder Marathon laufen – gerade jetzt will man es eben nicht mehr.
Wem der Boden weggezogen wurde, der kannnicht tanzen.
Bei aller Bitterkeit ist dies jedoch keine depressive Lektüre. Das verhindert der lakonische Witz der Autorin, wenn sie etwa beschreibt, wie die Espressomaschine als postmodernes Kultgerät den Mittelpunkt des Lebens in Büro und Familie bildet. Anrührende Schilderungen der beiden kleinen Kinder (ohne das Ergriffenheits-Tremolo neuerer Väterromane) bilden Gegengewichte zum beruflichen Desaster und zur Teamlüge im Büro.
Am Ende scheint sogar ein Happyend in Reichweite. Jo gewinnt mit Hilfe eines kostspieligen Anwalts vorerst den Prozess beim Arbeitsgericht. Aber wo vorher das Mobbing ebenso subtil wie hinterhältig war, wartet auf den Zwangswiedereingestellten nun eine offizielle Sonderlingsexistenz im Amt. Ihm wird ein telefonloser Büro-Container hinter den Altglas-Containern zugewiesen. Dort hat er Behördenschriftsätze ins Französische zu übersetzen – eine Sprache, die er nicht beherrscht. Am Ende der Woche liefert er seine Texte in einem Umschlag bei der Chefin ab, die sie offensichtlich sogleich in den Mülleimer entsorgt. Das ist böse, zugleich aber auch skurril und erinnert an die leicht ins Phantastische entrückte Realität der beiden ersten Romane Annette Pehnts. Im letzten, erzählerisch stärksten Teil lässt der Roman alle Sozialkolportage weit hinter sich.
Während das Baby Sprache gewinnt und hörbare Fortschritte von bloßen «Konsonantenclustern » zu erahnbaren Wörtern macht («Au Bu!» zum Beispiel, was das erste heftige Verlangen nach Belletristik meint), ist Jos Geschichte die eines zunehmenden Sprachverlusts.Wenn er am Ende,nachdem er das auf die Familie weiter zukommende Elend akribisch aufgelistet hat, gegenüber seiner Frau meint, trotzdem sei er «froh», dann hat sich hier das Wort als Bedeutungsträger verabschiedet. So findet auch die auf den ersten Blick ominöse Antwort der Ich-Erzählerin ihre Konsequenz: «In diesem Moment gab ich auf.» got
Annette Pehnt
Mobbing
Piper Verlag GmbH, September 2007
gebunden – 160 Seiten, 16,90 €