Statt weiterhin eine Linkschleuder zu sein, will Facebook künftig Nachrichteninhalte (mit – was Wunder – noch mehr Gewinn) selber vertreiben.
Facebook will weiter wachsen. Dafür steht ein weiteres Angebot des Netzgiganten bevor. Oberflächlich betrachtet ist „Instant Articles“ nur eine technische Neuerung. Doch dahinter steckt viel mehr. Vor wenigen Tagen bot der Suchmaschinenkonzern Google europäischen Verlagen an, bei einer „Digital News Initiative“ mitzumachen. 150 Millionen Euro sollen in Medieninnovationen gesteckt werden. Nun steht ein weiteres Angebot eines Internetgiganten kurz bevor: Facebook startet „Instant Articles“. Dabei will das Unternehmen Inhalte von Medienmarken direkt auf der Facebook-Plattform anbieten, statt auf Webseiten weiterzuleiten.
Die „New York Times“ ist vermutlich einer der ersten Medienpartner für dieses Projekt. Als weitere Partner nannte die Zeitung in einem Bericht das Online-Angebot „BuzzFeed“ und die Traditionszeitschriftenmarke „National Geographic“. Nach Informationen der „Welt“ wurden auch einige deutsche Medien angefragt, ob sie bei „Instant Articles“ mitmachen wollen.
Oberflächlich betrachtet, ist das Projekt vor allem technischer Natur. Medienunternehmen sind auf sozialen Netzwerken präsent und werben dort um Aufmerksamkeit für ihre Inhalte. Sieht ein Nutzer beispielsweise einen Artikel von „N24“ auf Facebook und findet ihn so interessant, dass er ihn lesen will, wird er über einen Klick auf die Webseite von „N24“ weitergeleitet. Der Anteil der Leser, die über Facebook zu Medienseiten gelangen, ist mittlerweile substanziell.
Inhalte sollen auf Facebook „leben“
„Instant Articles“ bedeutet nun, dass nicht mehr auf die jeweiligen Angebote weitergeleitet würde, sondern dass die Inhalte direkt bei Facebook verfügbar wären. Die Artikel, Fotos und Videos „leben“ dann gewissermaßen in dem Netzwerk. Der Vorteil, mit dem der US-Konzern wirbt, ist Schnelligkeit. Durchschnittlich soll es bisher acht Sekunden vom Klick bis zum Lesestart dauern. Das sei vielen Nutzern zu lang. Ungeduld wird im Netz in Millisekunden gemessen.
Das „Wall Street Journal“ berichtete jüngst über weitere Details zu dem Projekt. Facebook dementierte diese nicht. Demnach bieten die Kalifornier den Medienpartnern an, ihre auf dem Netzwerk ausgespielten Inhalte selbst zu vermarkten. Das heißt, sie könnten Werbung verkaufen und die Erlöse komplett in die eigene Tasche stecken. Falls Facebook die Vermarktung übernähme, gingen 30 Prozent der Werbeerlöse an die Plattform, 70 Prozent blieben für den Medienpartner.
Facebook reagiert damit auf einen der Nachteile, die ein solcher Deal für die Partner hätte. Medien leben davon, Aufmerksamkeit über verkaufte Werbung zu monetarisieren. Lagern sie ihre Inhalte an Facebook aus, bleibt die gesamte Aufmerksamkeit in dem Netzwerk. Die Reichweite der originären Webseite eines Mediums steigt nicht. Dieser Verlust ließe sich ausgleichen, wenn Medien ihre Inhalte via Facebook mit Werbung versehen könnten.
Wer steckt seinen Zeh ins Wasser?
Ein weiterer möglicher Nachteil ist der Verzicht auf Informationen über die Nutzer, die sich für bestimmte Inhalte interessieren. Wie jedes andere Unternehmen möchten auch Medien wissen, wer ihre Kunden sind. Daten über das Nutzerverhalten werden zu Kennziffern eines Produkterfolgs.
Zu dem Deal, den Facebook anbietet, gehört also bis zu einem gewissen Grad der Verlust von Kontrolle über die eigenen Inhalte. Facebook äußert sich bisher nicht zu „Instant Articles“. Sogar die Existenz des Projekts wurde offiziell bisher nicht bestätigt. Inoffiziell ist Facebook bestrebt, Bedenken über einen Kontrollverlust zu zerstreuen. Jedes Medienunternehmen habe die Möglichkeit, seine Inhalte individuell zu präsentieren.
Trotz allem bleibt das Angebot ein zweischneidiges Schwert. Es gilt, zwischen einem Aufmerksamkeitsgewinn und der Aufgabe von Unabhängigkeit abzuwägen. Im Gespräch mit der „Welt“ sagte ein amerikanischer Medienmanager, der namentlich nicht genannt werden will, viele Verlage würden beim Facebook-Angebot „einen Zeh ins Wasser stecken“. Mit anderen Worten: Zunächst werden vermutlich viele Medienmarken bei „Instant Articles“ mitmachen. Doch die Verträge sollen es voraussichtlich möglich machen, jederzeit auszusteigen.
Facebook will seine Macht vergrößern
„Instant Articles“ ist der zweite Versuch von Facebook, Inhalte von Medien stärker als bisher einzubinden. Vor drei Jahren wurde bereits der Versuch unternommen, sogenannte Social Reader zu etablieren. Das allerdings wurde nach etwa einem halben Jahr wieder beendet.
Nun soll „Instant Articles“ Facebooks Rolle erweitern und vergrößern. Die Zeit, die Freunde (Nutzer) mit und auf Facebook verbringen, soll länger werden. Martin Ott, Facebook-Manager für Nordeuropa, nannte bei der Internetkonferenz Republica die Zahl von vier Milliarden Videoabrufen pro Tag. Die Mehrzahl davon erfolgt über mobile Endgeräte, also vor allem über Smartphones.
Ott bekräftigte bei seinem Auftritt die Strategie des US-Konzerns: Facebook selbst wolle kein Produzent von Inhalten werden, sondern sich auf seine Rolle als Plattform konzentrieren. Zunehmend unscharf wird die Rolle als Kanal für Inhalte – denn das Ziel ist nicht, Inhalte zu vertreiben, sondern sie direkt auf dem Netzwerk anzubieten. Aus diesem Grund könnte Facebook zu einer echten Gefahr für die Videoplattform YouTube werden.
In einer kürzlich in der Zeitschrift „Science“ veröffentlichten Studie über Facebook stellten die Autoren fest, Nachrichten würden zunehmend über soziale Netzwerke transportiert und vermittelt. Die „Kuratierung“ von Inhalten, also die Zusammenstellung von Medieninhalten, verlagere sich von Redaktionen hin zu einzelnen Personen beziehungsweise zu sozialen Netzwerken, auf denen diese Menschen aktiv seien. Der Arbeitgeber der Autoren heißt Facebook.