In einem Interview erzählte Laith Al-Deen einmal, er wolle mit seiner Musik „Assoziationen und Gefühle beim Zuhörer wecken“. Die Leute, so sagte er, „sollen sich fallen lassen und ihre Alltagssorgen – wenn auch nur für kurze Zeit – vergessen“. Damit hat der 1972 in Karlsruhe geborene Sänger und Musiker ziemlich genau beschrieben, worum es beim Schmusepop traditionell geht: um das zärtliche Sedieren der Hörer/innen. Das Gute an Al-Deens Worten: Er versucht das gar nicht zu kaschieren, indem er sich hinter Türmen wohl formulierter, aber eben uneinlösbarer Ansprüche versteckt; er betont sein Ansinnen sogar ausdrücklich.

Und so gleitet Al-Deens durchaus charismatische Soulstimme seit der frühen Erfolgssingle „Bilder von dir“ (2000) stets passgenau zum Zitat auf melancholischen Wellen hypersanft durch den Äther. Und erinnert dabei mitunter an das etwas kitschige Bild eines von sattem Grün umsäumten, friedlich dahinfließenden Flusses – kein Toter wurde je aus seinem Lauf geborgen.

Wasser will betextet werden

Der Text von „Fließendes Wasser“, ein Song auf Al-Deens erstem Album „Ich will nur wissen“ (2001), ist ein wortreicher Wahlverwandter dieser fließenden Gesangsstimme. Man könnte es auch so sehen: Irgendwann musste Al-Deen wohl vom Wasser singen; und das fließende Gewässer bietet neben dem Meer ja auch überreiche Assoziationsmöglichkeiten, ist bis heute eine üppige Metaphernlandschaft für jeden romantischen Dichter mit und ohne Wasserambitionen.
laith_al-deen.jpgAl-Deen meint sich oder sein Erzähler-Ich, wenn er singt: „Leg die Hände aufs Wasser und spür / Ich bin noch hier / Alles kommt, wie es kommt / Mit mir oder ohne mich.“ In diesen ersten Zeilen geht es um zweierlei: um die eigene Lebendigkeit, die sich über die unmittelbare Präsenz der Natur, in diesem Fall über den haptischen Eindruck nassen Wassers bestens erspüren lässt.

Und zumindest angedeutet wird hier die geläufige Idee einer geistesartigen, religiös aufgeladenen Natur, deren animistische Macht ungleich größer ist als die jedes Menschen, weshalb man sich seelenruhig in sein Schicksal fügen darf: „Alles kommt, wie es kommt.“ Das fließende Gewässer, im Grunde kann man auch vom Fluss reden, ist bei Al-Deen die zentrale Metapher dieser Einsicht. „Und wie jedes Mal / Kennt nur das fließende Wasser / Den einen Weg, der es so einfach macht“, singt er im Refrain und wäre deshalb selbst gerne so: „Und könnte ich sein / Wie das fließende Wasser / Ich tausche alles gegen diese Kraft.“

Mehr wollen und ans Meer wollen

Vermutlich ohne es zu wollen, erzählt „Fließendes Wasser“ damit auch von der ewigen Hybris des Menschen: Mensch sein, heißt klein und unwissend sein; größer und mächtiger zu sein, wäre um so vieles besser. Allerdings wird Al-Deens Erzähler, anders als die Protagonisten zahlreicher antiker Mythen, für seine Unverschämtheit nicht umgehend bestraft. Was vielleicht daran liegt, dass er ausdrücklich betont, nur Gutes mit dieser Kraft anstellen zu wollen. Mit ihm als Fluss gewordenem Quasi-Gott käme nämlich „die Freude vor der Furcht“ und sogar bei allerschlechtestem Wetter „die Sonne durch“.

Al-Deen scheint überwältigt von der naiven Idee einer ausschließlich guten Kraft der Natur in Gestalt fließenden Wassers. Oder vielleicht doch nicht? Über den Strom singt er: „Wen er trifft, reißt er mit / Und ihm kann nichts widerstehen / Plötzlich scheint alles gleich / Auf einmal bist du wie ich / Alles andere wird leicht.“ Es ist unklar, ob diese Zeilen letztlich vom Tod handeln, dem großen Gleichmacher, und einer anschließenden Erlösung. Der Künstler hält sich möglichst fern von eindeutig negativ konnotierten Worten und bleibt bewusst kryptisch. Vom qualvollen Ertrinken zu singen, das unzählige Menschen in reißenden Flüssen erlebt haben, käme ihm erst recht nicht in den Sinn. Es würde nicht ins musikalische Konzept passen. Wie gesagt: Wir sollen uns fallen lassen und für drei oder vier Minuten unsere Alltagssorgen vergessen.

Jonas

Jan 2008 | Allgemein, Junge Rundschau | Kommentieren