„Offensichtlich gibt es in Teilen des Verteidigungsministeriums kein Bewusstsein für die Bedeutung der Medien als legitime Instanz öffentlicher Kontrolle über das Handeln der Regierung“, sagte Matthias Spielkamp, Vorstandsmitglied von Reporter ohne Grenzen. „Dieser unerhörte Vorgang zeigt ein weiteres Mal, dass die Geheimdienste mehr Transparenz und parlamentarische Kontrolle brauchen, damit Regierungsstellen sie nicht nach Belieben für fragwürdige Ziele einspannen können.“
Medienberichten zufolge setzte sich die damalige Spitze der Ministeriumsabteilung Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung Ende 2013 für ein Vorhaben des Waffenherstellers Heckler & Koch ein, wegen der „negativen und in Teilen falschen Medienberichterstattung“ über das Bundeswehr-Standardgewehr G36 den MAD einzuschalten (http://t1p.de/u766). Geschäftsführer von Heckler & Koch wurden demnach im November 2013 beim damaligen MAD-Präsidenten vorstellig, um dafür zu werben, dass sich der Geheimdienst der Sache annehmen möge.
Der Waffenhersteller und die Ministerialbeamten wollten laut Spiegel Online den MAD dazu bewegen, die Quellen für eine Reihe kritischer Berichte über das Gewehr zu finden und auch die Journalisten auszuspähen (http://t1p.de/msyi). Eine Vorlage, die im März 2014 auch vom Büro der Verteidigungsministerin zur Kenntnis genommen wurde, bezeichnete demnach Artikel von Spiegel, Spiegel Online, Stern, der tageszeitung und der Wochenzeitung Die Zeit als „unwahre Medienkampagne“, die nur der MAD stoppen könne. Der MAD-Präsident lehnte den Berichten zufolge das Ansinnen ab, weil seine Behörde dafür nicht zuständig sei.
KOonkrete Vorschläge für bessere Geheimdienst-Aufsicht
Reporter ohne Grenzen sieht sich durch diese neuen Enthüllungen in der Forderung nach einer umfassenden Kontrolle über die deutschen Geheimdienste bestätigt. Die Organisation hat im März – ein Jahr nach der Einsetzung des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestags – zusammen mit dem Privacy Project, der Humanistischen Union, dem Rechtsanwalt Niko Härting, der Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation sowie dem Whistleblower-Netzwerk konkrete Vorschläge für eine bessere Aufsicht über die Dienste vorgelegt (http://t1p.de/ntyy).
Einige der Kernforderungen lauten:
– Der Bundestag muss das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) finanziell und personell so ausstatten, dass es die Kontrolle der Nachrichtendienste auch tatsächlich gewährleisten kann. Dem PKGr ist gesetzlich ein direkter Zugriff auf alle Vorgänge in und Zeugen aus den Diensten einzuräumen. Alle Mitarbeiter der Dienste müssen dem Gremium stets für eine vollständige Auskunft über ihre Tätigkeit zur Verfügung stehen.
– Die Unterzeichner schlagen die Einrichtung eines Geheimdienstbeauftragten des Bundestages vor, der das PKGr in seiner Arbeit unterstützt.
– Aufgrund der fehlenden öffentlichen Kontrolle ist es im Bereich der Nachrichtendienste besonders wichtig, einen funktionierenden Mechanismus für Whistleblower einzurichten. Insbesondere ist die Möglichkeit einzuräumen, dass sich Mitarbeiter der Geheimdienste ohne Einhaltung des Dienstweges jederzeit uneingeschränkt an die parlamentarischen Kontrollgremien sowie die Datenschutzaufsicht wenden dürfen.
– Das Informationsfreiheitsgesetz muss auch für die Nachrichtendienste gelten, damit abgelehnte Auskunftsbegehren von Gerichten überprüft werden können.
– Das Bundesdatenschutzgesetz muss auch im Bereich der Nachrichtendienste für alle Datensammlungen uneingeschränkt angewendet werden. Der Bundesdatenschutzbeauftragten ist – wie das Gesetz es vorsieht – uneingeschränkter Zugang zu gewähren. Datensammlungen dürfen nicht ohne Genehmigung der Bundesdatenschutzbeauftragten betrieben werden.
Weitere Forderungen betreffen unter anderem die Ungleichbehandlung von In- und Ausländern in den Überwachungsvorschriften sowie die Zusammenarbeit mit ausländischen Stellen. Auch mahnen die genannten zivilgesellschaftlichen Organisationen an, dass jede Maßnahme zur Einschränkung des Post- und Telekommunikationsgeheimnisses verhältnismäßig und notwendig sein muss.
Spiegel online – stern – Handelsblatt – Tagesschau.de –
Ihre Forderungen zur Kontrolle der Geheimdienste haben die Organisationen in einer ausführlichen Stellungnahme dargelegt. Diese finden Sie unter http://t1p.de/b0c1.
Weitere Informationen zur Lage der Pressefreiheit in Deutschland finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/deutschland/.
11.Mai.2015, 13:30
Die BND-Affäre ist um ein schmutziges Kapitel reicher. Der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla hat vor der letzten Bundestagswahl so getan, als seien Deutschland und Amerika auf bestem Wege, ein No-Spy-Abkommen abzuschließen. Also eine Vereinbarung, die amerikanische Spionage in Deutschland für alle Zeiten ausgeschlossen hätte. Das sollte die Wähler in der NSA-Abhöraffäre beruhigen, Vertrauen schaffen. Und Merkels Wiederwahl absichern.
Wie sich jetzt zeigt, war das Ganze offenbar nicht mehr als ein Wahlkampftrick. Interne E-Mails, über die die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, belegen, dass das Weiße Haus wohl nie die Absicht hatte, einem solchen Abkommen zuzustimmen.
Dies muss auch Angela Merkel schon sehr früh klar gewesen sein. Gleichwohl wurde in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, als könne die Regierung die Spitzeleien der NSA durch Gespräche mit den USA alsbald beenden. Mitten im Wahlkampf sollte die Kanzlerin entschlossen und tatkräftig erscheinen, als eine, die sich vom kontrollwütigen Partner jenseits des Atlantiks nichts gefallen lässt.
Dieser bemerkenswerte Vorgang enttarnt die Methode Merkel: Es wird so getan, als habe die Kanzlerin stets alles unter Kontrolle und dabei allein das Wohl des Landes im Blick. Doch selbstverständlich werden im Kanzleramt auch schnöde Parteiinteressen verfolgt. Frei nach dem Motto: Erst die Partei, dann das Land. Sie ist, kurz gesagt: eine ganz normale Kanzlerin.
So wird sie das gleiche Schicksal erleiden wie andere Kanzler. Nach einer gewissen Zeit fliegen die kleinen und großen Tricksereien der Amtsinhaber auf, und so manche ihrer Versprechungen erweisen sich als hohl.
Bislang hat es Merkel verstanden, diesen Beginn des Niedergangs hinauszuzögern. Viele Bürger vertrauen ihr weiterhin, die BND-Affäre erscheint kompliziert, die Details verwirrend. Die Methode Merkel funktioniert. Die Frage ist aber: Wie lange noch?
Viel mehr neue Enthüllungen dieser Preisklasse wird selbst Angela Merkel kaum unbeschadet wegstecken können. Schon jetzt nehmen SPD und die Opposition ihre Fehler genüsslich auf, um ihre Glaubwürdigkeit zu zerdeppern.
Vertrauen ist eine kostbare Ressource. Es geht erst sehr langsam, fast unmerklich zur Neige. Und dann ganz plötzlich ist: Schluss.