Musik und Comics haben schon seit geraumer Zeit ein Verhältnis. Die Geschichte der Bildgeschichte beginnt mit einem Musikcomic – Wilhelm Buschs „Der Virtuos“ von 1865. Busch bildet hier erstmals wirklich dynamische Bewegungsabläufe ab, nämlich das genialisch-exaltierte Gefrickel des Klavierspielers, und erfindet so den Genre-Archetyp.
Wer sich einmal die Biographien heutiger Comiczeichner vornimmt, wird erstaunt feststellen, dass jeder zweite zugleich auch Musiker ist. Robert Crumb rettet mit seinen Les Primitifs du Futur den Salonjazz der 30er über die Zeit; Klaus Cornfield dilettiert im Liedermacherfach, Jim Avignon weitet sein Avantgarde-Konzept mit Neoangin ins Akustische aus; Gary Panter macht einfach nur gequirlten Solokrach; Thomas Ott hat mit The Playboys eine Punkband um sich geschart, ebenso der „American Elf“ James Kochalka, Ahnherr des Comictagebuchs, der mit James Kochalka Superstar die College-Radios kujoniert; und Joe Sacco, der später, in Berlin gestrandet, unter anderem Konzertplakate für City Slang entwirft, hat in den frühen 90er-Jahren immerhin die Punkband Miracle Workers während einer Europa-Tournee als Roadie begleitet.
Aber wie im richtigen Leben auch ist die Liebe bisweilen innig und aufrichtig – bisweilen hingegen auch nur gekauft. So hat sich die Musikindustrie schon immer gern der grellen, opulenten und also werbewirksamen Schauwerte des Comics bemächtigt und die Meister der Zunft nicht zuletzt für das Cover-Artwork arbeiten lassen. Moebius, der vermutlich einflussreichste Comiczeichner des 20. Jahrhunderts, der mit seinen Sci-Fi-Storys für das Magazin Heavy Metal die Coverkunst nicht zuletzt der härteren Rockmusik indirekt, aber dafür umso maßgeblicher beeinflusst hat, ließ sich etwa für ein Doppelpack-Reprint der Hendrix-Alben „Are You Experienced + Axis: Bold As Love“ gewinnen; Philippe Druillet zeichnete eine alternative „Electric Ladyland“-Version, Robert Crumb einige Alben von Janis Joplin beziehungsweise Big Brother and the Holding Company, Charles Burns ist verantwortlich für das Cover von Iggy Pops „Brick By Brick“, Daniel Clowes für Urge Overkills „Supersonic Storybook“, Mark Marek für „Dirty Work“ von den Rolling Stones, Mark Beyer hat Alben von The Residents, Snakefinger und John Zorn verschönert, Simon Bisley hat für Motörhead und Danzig gearbeitet, Richard Corben für Meat Loaf, Gary Panter hat Alben von Red Hot Chili Peppers, Frank Zappa und Duke Ellington gestaltet usw. usw. Es ist ein sehr weites, kaum wirklich ausmessbares Feld.
Robert Crump mischt mit
Überdies haben die Plattenfirmen gern auch die Popularität des Genres selbst für die Auratisierung und massenwirksame Vermarktung ihrer Stars genutzt. Bereits die Monkees bekamen ihren eigenen Comic – die Beatles mit „Yellow Submarine“ sogar einen Zeichentrickfilm -, viel später auch die Ärzte und der Wu-Tang-Clan; Kiss, ohnehin als inkarnierte Superhelden an die Öffentlichkeit getreten, ließen sich eine mehrteilige wilde Räubervita zeichnen und versuchten die Grenzen zwischen Fiktion und Realität noch ein weiteres Mal symbolisch aufzuheben, indem sie Gerüchte streuten, man habe ihr eigenes Blut in die Druckfarben gemischt. Na ja, man muss schon Fan oder mit einem enormen Trash-Bedürfnis gesegnet sein, um all dem einen ästhetischen Mehrwert abgewinnen zu können, aber hier ging es ja auch nur um den monetären.
Es gab jedoch auch immer wieder ästhetisch avancierte Versuche, sich dem Thema anzunähern. Zuallererst muss man wohl Robert Crumbs biografische und auch stilistisch kongeniale Annäherungen an die alten Bluesmen nennen, bereits 1993 gesammelt in „Robert Crumb Draws the Blues“ (Last Gasp) und immer noch nicht übersetzt. Joe Sacco hat seine Tourerfahrungen mit den Miracle Workers in einer Comic-Reportage festgehalten, nachzulesen in „But I Like It“ (Fantagraphics), einem schönen, leider auch noch nicht übersetzten Sammelband seiner frühen Arbeiten, der neben Konzertplakaten und Stones-Illumination auch seine grandiose Reportage über das Fat-Possum-Label enthält („The Rude Blues“). Jacques Loustal entwirft in „Besame Mucho“ (Schreiber & Leser) eine atmosphärisch stimmige Introspektion des Jazzmilieu der Nachkriegszeit, dessen Held, der Saxofonist Barney Wilem, offensichtlich Stan Getz nachempfunden ist. Und das Duo José Muñoz und Carlos Sampayo zeichnet in ihrem empathischen Porträt „Billie Holiday“ (Edition Moderne) die Erfolgs- und Passionsgeschichte der Jazz-Chanteuse nach.
Solche „Biographics“ haben sich in den vergangenen Jahren auf dem deutschsprachigen Comicmarkt, gewissermaßen parallel zur Konjunktur der Musiker-Biopics, als so eine Art Bonsai-Trend durchgesetzt – durchaus auf einem gewissen Niveau. „Zappaesk“ (Ehapa) von Andreas Rausch muss man hier erwähnen. Weniger eine Biografie als eine ambitionierte, durchgeknallte und insofern wirklich kongeniale Adaption der Collage-Ästhetik Zappas. Reinhard Kleists „Cash – I see a darkness“ lässt sich schon eher als – wenn auch notwendig etwas kursorische – Lebensbeschreibung von Johnny Cash lesen. Kleist hat ein gutes Auge für historische Lokalitäten, evoziert mit der gleichen Souveränität die Baumwollfelder von Dyess, Mississippi, das Sun-Studio und den Folsom-Knast. Überdies wirkt hier ein feinfühliges Sensorium für Stimmungen und Atmosphären. Seine Illustrationen etwa des Folsom-Prison-Auftritts und der kanonischen Cash-Songs sind mimetische Meisterleistungen.
Der gerade erschienene, ebenfalls von Kleist zusammen mit Titus Ackermann herausgegebene, von diversen Zeichnern gestaltete Band „Elvis – die illustrierte Biographie“ (Ehapa) fällt dagegen enorm ab. Wie schon in dem von Jörg Scheller und Christoph Tauber besorgten „Inter View“-Band (Ehepa) stört die stilistische Heterogenität. Aber da war das zumindest motiviert durch die Vielzahl der musikalischen Hausheiligen – von Adam Green bis Lemmy -, denen sich die unterschiedliche Zeichnertemperamente nähern sollten. Hier wird der Mythos zum bloßen Flickenteppich. Fast noch schwerer wiegen die bisweilen erschreckende Schlichtheit der Dialoge sowie der Umstand, dass diese biografischen Skizzen auch inhaltlich nie über die üblichen Allgemeinplätze hinauskommen. Das hat einem ja auch schon bei „Kurt Cobain – Godspeed. Sein Leben als Comic“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf), dieser grafisch sogar recht überzeugende Kollaboration des Zeichners Flameboy mit den Szenaristengespann Legg und McCarthy, den Spaß verdorben.
Die Elvis-Fraktion haben sich in Geduld geübt, es hat sich gelohnt. Zu Weihnachten erschien Rich Koslowskis „The King“ (Edition 52), da geht es zwar nur um einen Elvis-Imitator, aber der könnte ja auch der Echte sein! Und auch danach steht noch einiges zu erwarten in diesem Marktsegment: Arne Bellstorf sitzt an einer Beatles-Buch, wie man hört, und Bob Dylan fehlt ja auch noch!
Eine weitere Untergruppe im Genre Musikcomic bilden die Fiction-Comics. Hier könnte man differenzieren zwischen jenen Werken, in denen in erster Linie die Rezeption von Popmusik, und jenen, in denen das Musikmachen selbst thematisiert wird. In Andreas Michalkes autobiografisch fundierten Büchern „Smalltownboy“, „Monovision“ und „Bigbeatland“ (Reprodukt) etwa oder in der „Love and Rockets“-Serie der Brüder Hernandez (Fantagraphics) ist Musik, vornehmlich Punk und Indie, integratives Element einer bestimmten Jugend- und Gruppenkultur und zugleich wesentlicher Sozialisationsfaktor. So auch in Peter Bagges „Hate“-Serie um seinen Jedermann Buddy Bradley. Im Sammelband „Buddy does Seattle“ (Fantagraphics) beispielsweise fängt Bagge ziemlich sensibel den Habitus, die Dress- und Sprachcodes der 90er-Jahre-Slacker-Kultur ein und lässt Buddy unter anderem eine Band managen, in der auffällig viele Mitglieder den Namen Kurt tragen.
„Die Band“ selber, so der Titel des besten einschlägigen Comics von Mawil (Reprodukt), hat die gleiche Schutz- und Trutzfunktion, nach außen abgrenzend, nach innen solidarisierend, und kommt deshalb nicht von ungefähr vor allem in Coming-of-Age-Geschichten zum Einsatz. So auch in Ai Yazawas großartigem, die Tokioter Jugendkultur der Jetztzeit ausleuchtendem Mädchen-Manga-Epos „Nana“ (Ehapa, bisher 18 Bände) um die Punksängerin Nana Osaki. Oder in Gipis gerade erschienenen „5 Songs“ (avant). In seinem rohen, impressionistischen Skizzenstil, der durch die nachträgliche Aquarellierung aber noch etwas sublimiert wird, schildert er die Freuden und Nöte einer jungen Rockband. Mit ein paar exemplarischen Szenen gibt er nicht nur allen vier Musikern ein unterscheidbares Charakterprofil, er beschreibt auch sehr eindrücklich die normalschrecklichen Familienbande, aus denen sich die Jungs mithilfe ihrer Instrumente herausstemmen. Allerdings merkt man dem Buch an, dass sein Sujet recherchiert und eben nicht selbst erlebt wurde. Mawil ist einfach noch dichter dran.
Alex Robinson ist super
Mit Alex Robinsons wunderbarer, vielschichtiger, frisch ins Deutsche übertragener Graphic Novel „Ausgetrickst“ (Edition 52) kommen wir zu einem der Höhepunkte des Musikcomics. Im Zentrum steht der zynische, inspirationslose Songwriter Ray Beam, der seit fünf Jahren keinen Song mehr geschrieben hat, bis ihm das Latino-Girl Lily wieder auf die Sprünge hilft. Parallel dazu erzählt Robinson auf vier weiteren, zunächst locker, dann immer enger verknüpften Plotsträngen die Schicksale von Nick, dem manischen Aufschneider und Fälscher von Baseball-Devotionalien, von Phoebe, die ihren schwulen Vater sucht, von Steve, dem schizophrenen Nerd und Ray-Beam-Fan, der sein Medikamente absetzt und langsam abdreht, und schließlich von Caprice, der Wuchtbrumme mit Bindungsängsten.
Virtuos arrangiert Robinson diese komplexe Handlung und lässt am Ende alle Personen ohne auffälliges Krachen im Gebälk zu einem großen Showdown zusammenfinden. Zudem gibt er seiner polyperspektivischen Story das nötige Unterfutter, indem er bei allen Protagonisten das Motiv der Täuschung, des trügerischen Spiels mit Images und Identitäten variiert – und die grafische Umsetzung ist stupend und überaus ambitioniert. Sein Strich ist klar, detailgenau und facettenreich, die Seitengestaltung vielfältig und bisweilen fast experimentell. Nicht zuletzt die aus Steves Perspektive erzählten Szenen, in denen sukzessive der Wahnsinn um sich greift, demonstrieren eindrucksvoll Robinsons zeichnerisches Potenzial. „Ausgetrickst“ ist herausragend, nicht nur in dem hier umrissenen Subgenre.
magnus