In erhaben schlichter Einfachheit: Der Vatican

Die Firma Kirche ist ein überaus großes öffentlich-rechtliches Unternehmen, welches Filialen, die sogenannten Pfarrgemeinden, auf der ganzen Welt hat. Der Hauptsitz ist jedoch in Rom, von wo aus besonders wichtige Dinge angeordnet werden. Im Gegensatz zu herkömmlichen Firmen hat die Kirche feste Stammkunden, die in allen Altersstufen vertreten sind. Es gibt keine Produktpalette mit gegenständlichen Dingen, die verkauft werden müssen. Alle Kunden bezahlen einen festen Beitrag, mit dem sie die Firma sponsoren und im Gegenzug dafür alle Dienstleistungen in Anspruch nehmen dürfen.

Dazu zählen vor allem soziale Angebote, wie Tagesgruppen, Seelsorge bei Bedarf, Gespräche, Vorträge etc. Aber auch grundsätzliche Dinge wie Hochzeit und eine Beerdigung sind Dienstleistungen, die Kirche leistet. Auch wenn dies keine Gegenstände sind, die perfekt vermarktet werden müssen, muss sich auch die Kirche am Markt behaupten. Denn was die Kunden verbindet, ist kein bestimmtes Interesse an einzelnen Produkten und deren Qualität, sondern das Thema Religion.

Geht man von der wörtlichen Übersetzung des Wortes aus, bedeutet Religion „festhalten“. An einer Überzeugung wie an einer Reling eines Schiffes auf hoher See festhalten. Folglich gibt es viele Arten von „Religionen“, an die man sich klammern kann. Ein Beispiel ist zum Beispiel ein Talisman, an den man fest glaubt oder im weitesten Sinne der Okkultismus. Nun kommt es darauf an, sich gegen diese Konkurrenz zu behaupten und dennoch eigenen Idealen treu zu bleiben. Doch woraus besteht diese Firmenphilosophie bei der Kirche?

Ziel der Firma ist, den Glauben an Gott für alle
präsent und gegenwärtig zu machen

Alle Mitarbeiter sind deshalb verpflichtet, nach den Grundzügen des Glaubens zu leben und den Menschen näher zu bringen. Es geht dabei nicht um ausgeklügelte Methoden, wie es die Konsumgesellschaft besonders in Werbung und Reklame vormacht, sondern darum die Menschen „…anzusprechen, zu faszinieren, zu öffnen, damit sie sich vom Größeren, Weiteren, Tieferen und Schöneren, von Gott selber fangen lassen“, wie es der Bischof Bode formuliert hat. Um diese Ziele zu erreichen, müssen die Mitarbeiter versuchen, einladende Gottesdienste zu halten und sich den Menschen ihrer Gemeinde in konkreten Nöten widmen.

Eines der wichtigsten Mittel dazu ist die Sprache selber, die oft mehr bewegen kann als Produkte. Von den Mitarbeitern wird erwartet und vorausgesetzt, daß sie neben dem nötigen Basiswissen der Theologie auch Interesse an den Menschen haben und auf diese in besonderer Weise zugehen. Dabei gibt es keine festen Arbeitszeiten – Pfarrer sein bedeutet einen „Fulltimejob“. Für ihn gilt eine besondere Art Kündigungsschutz: Sein Chef hat versprochen, daß er lebenslänglich für den Pfarrer sorgen wird. Das hat den großen Vorteil der freien Meinungsäußerung für ihn, weil er nicht arbeitslos werden kann. Im Gegenzug hat der Pastor dem Chef „Gehorsam“ versprochen. Das bedeutet, daß er beispielsweise mit häufigen Versetzungen in andere Städte rechnen muss und sich an bestimmten anderen Auflagen halten muß. So ist dieser Beruf gar nicht mit einer Familie vereinbar, weil ein Pfarrer grundsätzlich ehelos bleiben muss.

Im Lauf der Jahre ist das Interesse Theologe zu werden, gesunken

Das bedeutet aber, daß ein Studienabsolvent sehr gute Chancen hat, auch eingestellt zu werden. Da die Firmengeschichte mehr als 2000 Jahre umfasst und Pfarrgemeinden auf der ganzen Welt vorhanden sind, ist es schwierig eine Marktanalyse zu machen. Es ist auf jeden Fall zu beobachten, daß ein Rückgang der Zahlen beim Kirchenbesuch und bei Priester- und Gemeindenachwuchs zu verzeichnen ist. Man könnte annehmen, daß die Botschaft Jesu heute nicht mehr richtig bei den Menschen ankommt. Doch auch im normalen Alltag heute merkt man doch die bedeutende Rolle der Religion. Jugendliche setzen sich im Internet mit dem Thema auseinander, stellen Fragen, diskutieren auf einem eigens für den Austausch geschaffenen Forum. Sie engagieren sich in Jugendgruppen der Kirche, setzen gemeinsam Zeichen für den Frieden, veranstalten zum Beispiel ein Weltjugendtreffen für alle Nationen der Erde.

Derzeit ist ein Heft „Kraft zum Leben“ auf dem Markt

Dies Heft soll Menschen über Glauben informieren und mit Bibelinhalten neuen Mut spenden. Die Resonanz ist überwältigend, die Hefte werden von vielen hunderttausend bezogen. Es zeigt, wie aktuell das Thema Religion ist und wie sehr sich Menschen dafür interessieren. Religion ist sogar Auslöser momentaner Auseinandersetzungen wie z. B. in Nordirland und Afghanistan. Das zuletzt genannte Beispiel macht zudem deutlich, wie leicht sich aus einem Glauben Fanatismus entwickeln kann und wie sehr man unter diesem Thema Menschen soweit begeistern kann, daß sie dafür in den Krieg ziehen.”
“Mir würde es wohl nicht gelingen, die Firmenphilosophie der kath. Kirche zu erläutern, jedoch ist das Hauptaugenmerk auf die Stärkung der Gemeinschaft und des Glaubens gerichtet. Hinzu kommen noch unzählige weitere entscheidende Faktoren. Die Firmengeschichte sowie Größe des „Betriebes“ sind nicht eindeutig. Die Firmengeschichte startet vor mehreren Jahrhunderten, ein entscheidender Einschnitt war vor gut 2000 Jahren die Geburt Christi. …

Im Pfarrhaus gibt es etwa zehn Personen,
die dort auch ihre Arbeit verrichten

Hierzu gehören Pastor, Kaplan, Gemeindereferenten, Sekretärinnen und eine Haushälterin. Es arbeiten überwiegend Frauen im Pfarrhaus, Ausnahme natürlich Pastor und Kaplan. Insgesamt ist es ein moderner Betrieb, der ohne neue Techniken, wie z. B. Computer nicht mehr vorzustellen wäre. …
Auf der finanziellen Seite ist es schwer etwas zu sagen, da der Betrieb nicht auf Gewinn aus ist, zumindest nicht im eigentlichen Sinne. Demnach sind auch die Gehälter der Angestellten nicht überdurchschnittlich, wobei hier die Leistung auch nicht wegen des Geldes, sondern allgemein gesagt, wegen des Erfolges erbracht wird.”

“So viel zu St. Johann als „Gebäude“ – doch hinter dieser Kirche steckt noch viel mehr als eine interessante historische Geschichte, nämlich eine Menge Liebe und Mühe vieler Menschen. Und Menschsein ist in der Kirche unbedingt nötig. Hier nämlich kann keine Arbeit von einer Maschine übernommen werden, da hinter jeder Aufgabe eine Überzeugung stecken muss.

Erklärtes Ziel eines jeden Mitarbeiters ist,
Kirche als Gemeinschaft von Gläubigen
vor Ort aufrecht zu erhalten und zu fördern

Und genau hier liegt der Unterschied zum Beispiel zu einem Dienstleistungsbetrieb: Hier wird der Dienst am Menschen geleistet, und nicht im Handel Geld gegen Leistung. Fragt man in der Gemeinde jemanden nach einer „Firmenphilosophie“ dann wird sofort die Ethik Jesu genannt, der hier ja auch alles zu Grunde liegt. Da stellt sich natürlich die Frage: Kann man heute eigentlich noch nach den Prinzipien von Jesus leben oder ist dies in der heutigen Welt völlig unmöglich? …
Im Gegensatz zu dem, was einige Vorurteile verbreiten, herrscht in der Kirche genauso Gleichberechtigung wie in anderen „normalen“ Betrieben. Allerdings ist dies dadurch eingeschränkt, daß in der katholischen Kirche bis heute nur Männer Priester werden können. Aber sonst kann jede Frau genauso Gemeindereferentin, Küsterin oder Pfarrsekretärin werden wie jeder andere Mann. Außer für die Priester gibt es eine Personalvertretung, die bei Unstimmigkeiten zum Einsatz kommt.”

In Szenario:

Es wäre auch heute noch eine Sensation – trotz aller Globalisierungsgewöhnungen (?), trotz zig Fluglinien und Flugverbindungen, trotz Computervernetzung, trotz E-mail, Fax und Handy: eine Firma, die am Tag der Gründung in 18 Ländern, in 18 Sprachen Fuß fassen und loslegen kann. Das bedürfte einer gigantische Planung, müßte eine riesigen Vorlauf haben, eine gewaltige Organisation auf die Beine stellen.
Aber so oder ähnlich spukt das Bild in unseren Köpfen. Der beispielhafte global player ist jung, dynamisch, fit, elektronisch hochgerüstet, hat seine Anteile gut geparkt. Er ist aber kein Er, keine Sie – sondern ein Betrieb, ein Konzern, eine Holding, ein Mischkonzern. Die Fühler sind ausgestreckt in diverse Branchen, am besten in möglichst vielen Kontinenten, Ländern und Märkten. Überhaupt – der Erdball ist der vorrangige Spielball: ein Markt. Das eröffnet Chancen, aber auch Risiken …

Fulminanter Start

Selbst wenn der Vergleich etwas halsbrecherisch und gewagt ist – im Kern ist es das, was Lukas in seiner Apostelgeschichte von der Gründung der Firma Kirche sagen will (vgl. Apg 2). Die Tradition hat das auch immer verstanden, wenn sie das Pfingstfest als das Gründungsdatum der Kirche ansieht und feiert – und auch stilisert. Mit einem Schlag, zumindest aber in kürzester Zeit – Lukas schreibt aus der Perspektive einer Erfahrung von nur wenigen Jahrzehnten mit dieser Firma Kirche – fasst Kirche, fassen junge, frische und faszinierende Gemeinden Fuß bei ganz unterschiedlichen Menschen, in ganz unterschiedlichen Kulturen: Parter, Meder, Elamiter, Mesopotamier, Ägypter, Römer und und und …

Product placement.

Der Erfolg muß einen Grund haben. Das Produkt, das diese Firma Kirche verkauft, muß gut sein. Ein Exportschlager. Die Leute müssen schnell begriffen haben, daß ihnen da keine Mogelpackung untergejubelt wird. daß sich das Produkt (man verzeihe die Ausdrucksweise ausnahmsweise), das Evangelium von Tod und Auferstehung Jesu so schnell, so durchschlagend durchsetzen kann, ist schon auf den ersten Blick ein Wunder. Denn der Markt ist heiß umkämpft. Es gibt eine Fülle von Anbietern: Staatsreligionen wie die in Rom, Kaiser- und Königskulte, die ihre politischen Führer ohne Umschweife zu Göttern erklären, Geheimkulte, Mysterienreligionen mit oft sehr ausschweifenden Festen, Feiern und Liturgien, es gibt volle Götterhimmel in Ägypten, Griechenland und sonstwo. Es gibt altehrwürdige, ernste und tiefe Glaubenswege wie den jüdischen, aus dem Jesus ja hervorgeht, ohne den das Christentum undenkbar ist. Multikulti ist so neu nicht …
Das genau will Lukas (besonders in der Apostelgeschichte) mit den vielen Namen sagen. Die Länder- und Völkerliste signalisiert: Es geht um die eine und ganze Welt. Der Heilige Geist erfasst alle Völker. Er führt sie trotz der kulturellen und politischen Unterschiede zusammen. Und er wirkt in der Vielfalt der Sprachen Verständigung (ein mühsames Geschäft, aber ein spannendes!).

Standort: Eine Welt

Universalismus ist der Kirche in die Wiege gelegt, ins Stammbuch geschrieben. Sie ist von Pfingsten her auf alle Menschen ausgerichtet, auf alle Völker und Nationen. Vom ersten Augenblick ihres Daseins an spricht sie alle Sprachen und ist doch eins in demselben Geist. Sie ist nicht erst im Laufe der Zeit universal geworden, indem sie durch die Missionare von Stadt zu Stadt, von Land zu Land sich ausgebreitet hat; sie ist es kraft des Heiligen Geist vom Ursprung her. Unser Standort ist von Anfang an die Eine Welt. Das ist auch unser Standpunkt. Die Kirche ist der global player: Geht hinaus, verkündet allen Menschen, verkündet bis an die Grenze der Erde! Das ist das Echo des jesuanischen Auftrags. Und die Verkündigung spielt sich auch auf den Marktplätzen ab. Man erinnere sich nur Paulus‘ zwischen Agora und Areopag in Athen – Apg 17 ist in dieser Hinsicht ein hochinteressanter Text!

Global – ein Fremdwort?

Als Christen sind wir nicht zuerst Kroaten oder Polen oder Deutsche und dann katholisch, sondern wir sind zuallererst katholisch, und dann sind wir eben auch kroatisch oder polnisch oder deutsch. Das ist ein riesengroßer Unterschied. Christentum ist mit Nationalismus nicht zu vereinen. Nationalkirchen sind Katholiken fremd. Die christliche Vision vom Miteinander der Völker ist alles andere als selbstverständlich. Sie ist nicht angeboren, sitzt nicht in Fleisch und Blut. Im Blut sitzt uns etwas ganz anderes: Blut und Boden (oder die dumpfe Gewalt, in die die Angst vor dem Fremden so leicht umschlägt!). Da müssen wir hellwach sein. Christen suchen ihre Identität nicht im Blut, sondern im Geist. Das will gelernt und erlebt werden.

Kirche erfüllt nur dann ihre Sendung,
wenn sie allen Völkern in gleicher Weise zugewandt ist

Zugewandt auch allen Märkten, Marktplätzen, Lebensräumen und Lebenswelten, wenn sie Anknüpfungspunkte an die Wirklichkeitserfahrungen von höchst unterschiedlichen Menschen sucht. Wir haben nicht eine Kirche in der sogenannten Dritten Welt (als hätten wir dort Kolonien oder Ableger), wir sind Weltkirche. Wenn die Kirche in allen Völkern lebt und alle Sprachen spricht, wird sie von selbst farbig, bunt (und auch ein wenig unübersichtlich!). Sie darf sich nicht auf einen Staat oder eine bestimmte Kultur festlegen. Sie darf nicht nach den Erfahrungen und Vorstellungen, dem Kirchenmodell eines Landes ausgerichtet werden, auch nicht allein auf Europa. Der Weg, der uns heute aufgetragen ist, führt von der Westkirche zur Weltkirche. Es ist ein mühsamer Weg. Und das hat auch damit zu tun, daß wir nicht zuerst Hardware anbieten (Autos, Technik, konkrete Konsumgüter), sondern weiche Ware, nicht so leicht zu fassen, nicht so leicht zu beschrieben: Sinn und Deutungsmuster für die endlosen Fragen nach dem Woher und Wohin, dem Wie, dem Warum.

Für den global player, den weltweiten Mitspieler Kirche stellt sich, so scheint mir, die Aufgabe, diese Fragen lebendig zu halten, immer dringlicher – und zwar nicht nur für die Befriedigung individueller Heilssehnsüchte (das macht Esoterik erheblich geschickter, marktgängiger, aber auch um so viel verkürzter: Kennzeichen der Esoterik ist die Auslöschung der sozialethischen Dimension. Da gibt es fast nur die eigenen Bedürfnisbefriedigung, aber nirgends die Wahrnehmung der Verantwortung für andere, für die in den anderen Ländern, Kontinenten, Schichten …).

Ethische Aufgaben, Maßstäbe

Eine Globalisierung, die allein unter dem Diktat des technischen Fortschritts und des ökonomischen Nutzens steht, gerät in einen Teufelskreis: Wachsender Gewinn der einen geht in aller Regel auf Kosten anderer, und derzeit nicht zuletzt auf Kosten der Erde und ihrer Atmosphäre. Was Not tut, ist eine soziale Globalisierung, eine Globalisierung des Verantwortungsbewusstseins. Das Weltenhaus muss noch andere Räume haben als Küche, Vorratskammer und Tresor, wenn Menschen auf Dauer darin leben wollen. Hier sind wir gefordert mitzugestalten – mitzuspielen …

Was kennzeichnet das zu Ende gehende zwanzigste Jahrhundert?

Ich meine, ganz typisch ist der Blick des Weltraumfahrers auf die Erde. Wir kennen das Bild: Unser blauer Planet mitten im schwarzen All. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte haben wir die ganze Welt vor Augen, nicht nur in unseren Träumen und Phantasien, sondern real. Ungeheuerlich: Der Blick von außerhalb auf den Globus. (so Bischof Franz Kamphaus). Das hat unsere Perspektive von Grund auf verändert. Globalisierung, sagen wir, nicht von ungefähr. Die Entfernungen zwischen den entlegensten Enden der Erde spielen kaum noch eine Rolle: globale Kommunikation, globale Wirtschaftsbeziehungen, globale Finanzmärkte. Eine Welt! Nur durch den Markt? Nur durch die harte Währung? An einem Punkt stehen wir mit der Globalisierung noch ganz am Anfang. Ohne eine religiöse und moralische Globalisierung hat die Eine Welt keine Zukunft. Gerade an diesem Punkt seien Christen herausgefordert.

Wer die wirtschaftliche Globalisierung bejaht und forciert,
öffnet damit ausdrücklich den Raum
des wirtschaftlichen Handelns auf die ganze Welt hin

Der Handelnde übernimmt dort, wo er tätig wird, immer auch Verantwortung – unmittelbar für die Folgen seines Handelns vor allem für die Menschen, mittelbar für die Umwelt. Ist der Raum des wirtschaftlichen Handelns global, wird auch die Verantwortung global. In einer Weltgesellschaft darf das Gemeinwohl nicht auf die engen nationalen Grenzen beschränkt bleiben. Gemeinwohl können wir heute nicht ohne die Länder der Dritten Welt definieren, schon gar nicht mit dem Rücken gegen sie. Das bedeutet, daß zur Wahrnehmung unserer Verantwortung nicht nur individualethische Maßstäbe gefragt sind (Tugenden), sondern auch sozialethische Normen (wie ja auch die Menschenrechte nicht nur individuelle Schutzrechte sind, sondern auch soziale, kulturelle und wirtschaftliche Rechte beinhalten).

Glaube als Gegenbewegung

In den vergangenen Jahren ist der Zweifel gewachsen, ob das Christentum so, wie es geworden ist, die Moderne überleben wird. Der große Zusammenbruch ist in der westlichen Welt und in Deutschland ausgeblieben. Doch den schleichenden Auszug von ungefähr 250 000 Menschen im Jahr aus den Kirchen kann keine noch so pfiffige PR-Kampagne stoppen; nicht nur im Osten, auch in den alten Bundesländern gibt es mittlerweile mehr Nichtchristen als Christen. Wer bleibt, zählt häufig zu den treuen Fernstehenden, die eine schöne Hochzeit wünschen und eine tröstliche Grabesrede, aber näher mit (längst nicht mehr ihrer) Kirche nichts zu tun haben wollen.

Säkularisierung wird fortschreiten, unabwendbar

Es wird nicht weniger Religiosität geben, wohl aber werden die traditionellen Handlungs- und Deutungsmuster der Kirche für weniger Menschen maßgeblich sein. Ihr politischer und gesellschaftlicher Einfluß wird sinken. Indizien dafür gibt es genug. Die Kirchen werden trotzdem die größten Institutionen im Land bleiben und weiter ihre Kirchensteuer erhalten; einflußreiche Kirchengegner gibt es ohnehin kaum noch. Den leise schrumpfenden Institutionen droht vielmehr Gefahr durch ängstlich-hilflose Einflusßicherung, durch die Larmoyanz angesichts vergangener Herrlichkeit.

Der Kirche droht die Marginalisierung
durch selbst verordnete Mittelmäßigkeit

Wenn sie dem entgehen will, muß sie lernen, sich auf die neue Situation einzustellen – darauf, daß sie weniger Mitglieder, weniger Geld, weniger Einfluß haben wird. Sie darf sich dabei nicht einfach auf das einlassen, was gerade als besonders zeitgeistig vorkommt – über die Wir-auch-Pastoren in ihrem merkwürdigen Mühen, auch irgendwie modern auszusehen, hat schon Kurt Tucholsky seine Witze gemacht. Und sie muß der fundamentalistischen Versuchung des Rückzugs auf den Heiligen Rest der hundertprozentig Gläubigen widerstehen, die in der jüngsten Zeit verstärkt spürbar geworden ist.

Zu-Mut-ungen

Lernt, zum Eigenen zu stehen, riet vor einigen Jahren die Unternehmensberatung McKinsey dem evangelischen Dekanat München. Das ist eine richtige Erkenntnis. Die Kirche ist eben kein Wohlfahrtsverband unter vielen, keine Sinn-Agentur, die zufällig Christentum im Angebot hat, aber auch kein Verein zur Erhaltung von Tradition und Folklore. Sie hat dann Zukunft, wenn sie die Zumutung des Glaubens ernst nimmt: Der Gott der Christen ist, um der Menschen willen, radikal bis zum tiefstmöglichen Punkt gegangen, bis zum Tod am Kreuz. Der Platz der Christen ist demnach dort, wo sonst keiner hingeht. Ihre Rede ist der Einspruch, ihre Grundhaltung quer zum allzu Einfachen, zum Machbarkeitsdenken, zur Vergötzung der Leistung, des Erfolges, des Reichtums.

Dies alles ist nicht einfach links und nicht einfach rechts

Dazu gehört, Anwalt von Flüchtlingen zu sein, für die sonst niemand spricht – aber auch der Schutz des ungeborenen Lebens (wozu sich auch Donum vitae bekennt und dennoch vom Vatican und der oberen Hirarchie des göttlichen Bodenpersonals diffamiert wird), das Engagement gegen Abtreibungen, wobei über die Wege und Methoden zu diskutieren ist. Es gibt eine Grundhaltung des zumutenden Christentums: Seine Anhänger müssen Einspruch erheben, wenn der Mensch zum Objekt wird, seine Funktion, sein Marktwert zum Maßstab wird, wenn ihm die Orte genommen werden, wo er Mensch sein kann und sonst nichts weiter, wenn Armut und Alter, Krankheit und Tod verdrängt werden.

Zumutung der Kreuzes-Religion – das klingt düster

Aber zu dieser Zumutung gehört die lebensfrohe Seite: Die Kirchen könn(t)en Ort der Freiheit und der Würde werden, wo der Mensch Subjekt sein kann: als Gläubiger und Zweifler, Arbeitsloser und Arbeitsbesitzer, als Mystiker und politisch Engagierter, als junger und als alter Mensch. Schließlich gehören für den Christen die Zumutung des Kreuzestodes Christi und die Auferstehung zusammen.
Grenzenlos. Diese Zumutungen des Glaubens haben noch nie vor irgendwelchen nationalen Grenzen halt gemacht. Man mag sich mit Recht streiten, ob der christliche Missionsauftrag in der Geschichte immer auf eine wirklich christliche Weise umgesetzt worden ist. Der Kampf um religiöse Marktanteile in der einen Welt ist da dem rein wirtschaftlichen Kampf der global players um weltweite Märkte oft zu ähnlich gewesen. Das darf aber nicht verdecken, daß die Ur-Intention des Katholischen geradezu ein Niederreißen von Grenzen markiert (und zwar von sehr verschiedenen, vgl. Gal 3,28). Das bekennen wir, sofern wir katholisch (also weltumfassend, also allgemein, so die exakte Übersetzung des griechischen Worten katholikos) sind.

Spielregeln moderner Globalität
und Multikulturalität kennenlernen

Das bleibt eine dringliche Aufgabe für dieses Spiel, in das Glaube und Kirche auch und gerade heute verwickelt sind. Aber diese Regeln sind nicht einfach blind zu übernehmen, sondern vor der biblischen Devise: Prüft alles, das Gute behaltet! (1Thess 5,21). Daß es hier Möglichkeiten gibt, die von Bedeutung sind, sei an drei Beispielen erläutert: Wenn sich – erstens – beispielsweise Ordensgemeinschaften fast wie selbstverständlich neuester Medien bedienen, dann optimiert diese Vernetzung die Arbeit und den Einsatz für die Menschen vor Ort erheblich, dann stärkt dies auch den inneren Zusammenhalt. Selbst der Missionar in den Anden ist heute schnell verbunden mit seiner römischen Ordenskurie, mit Mitbrüdern, die schnell informiert eben schneller handeln können. Wenn sich – zweitens – Franziskaner und Franziskanerinnen verschiedenster Gemeinschaften zu einer sogenannten Nicht-Regierungs-Organisation mit Sitz und Stimme bei der UNO zusammenschließen, dann nutzen sie moderne globale politische Strukturen, um ihrem Evangelisationsauftrag nachzukommen und ihren Anliegen Gehör zu verschaffen auf dem großen Markt der Möglichkeiten.

Von anderem Zuschnitt ist das dritte Beispiel

Nie hat ein Papst derartige Medienpräsenz gehabt wie Johannes Paul II. – für die Nichtchristen unserer Zeit ist er die Symbolfigur des Christlichen überhaupt. Man mag überrascht oder verwirrt davon sein. Der unbefangene und offene Umgang mit weltweiten Medien haben gerade diesem Pontifikat Wirkung verliehen, die ansonsten kaum zu realisieren gewesen wäre. Das Treffen der Religionen in Assisi 1986, die Papstreisen nach Israel und Palästina – sie sind weit mehr als nur globale Medienereignisse, aber sie sind es eben auch.

Im Schlagschatten der säkularen Globalisierung gibt es neben den kritikablen Dimensionen also auch Entwicklungen zu entdecken, die an die Grunddimensionen des Katholischen neu erinnern – der Blick geht über die Tellerränder hinaus.

Freilich geht es nicht allein darum, ausschließlich mitzuspielen in der einen, der vernetzten, der globalen Welt. Der global player Kirche hat seinen Auftrag darin für den global prayer zu sorgen, für nämlich die Möglichkeit des grenzenlosen Gebetes

 

Feb. 2024 | Allgemein, Essay, Kirche & Bodenpersonal, Senioren, Wirtschaft | Kommentieren