„Wonne, Wonne über Wonne“: Veritas, „die Gnadensonne“
Da wird uns alleweil und allüberall das “Hohe Lied der Arbeit” gesungen, einer Arbeit, die angeblich unverzichtbar zur Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit gehörte. Der veritanisch disponierte Mensch – also einer im Vorstadium seines wissenschaftlichen Studiums an der “Veritanischen Akademie zu Heidelberg” begegnet solchen Ideologien mit grundsätzlichem Unbehagen und tiefem Misstrauen. Durch unsere Akademie wird der Adept theologisch davon unterrichtet, dass nach Genesis 2,8 Gott einen Garten Eden pflanzte und Adam, den Menschen, mitten hineinsetzte, in ein Paradies also, in dem dieser Mensch ein müheloses und sorgenfreies Leben hätte führen können. Hätte können.
Es begab sich nun aber zu der Zeit, dass ein Gebot von den Herrschenden ausging, dass in aller Welt gearbeitet werden müsse. Wie war es dazu gekommen und wie begegnen wir dem?
Epikur (341 – 271 v. Chr.) hat dazu, und wir schließen uns ihm ausdrücklich an, geschrieben, : „Wir sind ein einziges Mal geboren; zweimal geboren zu werden ist nicht möglich; eine ganze Ewigkeit hindurch werden wir nicht mehr sein dürfen. Und da schiebst du das, was Freude macht auf, obwohl du nicht einmal Herr bist über das Morgen? Über dem Aufschieben schwindet das Leben dahin, und so mancher von uns stirbt, ohne sich jemals Muße gegönnt zu haben“. Wir Veritaner wollen so jedenfalls nicht sterben und fordern eben drum:
Muße heute, jetzt und immerdar
Das wussten nicht nur die alten Griechen, Epikuräer allüberall in der Welt wissen das auch heute noch. Die Damaligen pflegten die Muße in der Weise, als sie sich auf philosophische Gespräche einließen, und erörterten auf diese angenehme Art mathematische, geometrische, politische und astronomische Probleme. Das alles nannten sie “skolé” und spazierten dabei entweder im Schatten von Pinien und Zypressen, oder aber sie gastmahlten:
“Skolé” nämlich bedeutet nicht Schule, sondern Muße. Dafür gab es ein anderes Wort, nämlich “didaskaleion”, was soviel wie Lehranstalt heißt. Erst die Römer machten aus “skolé” ihre “schola” und wer über all dies auch nur ein ganz klein wenig mehr als gar nicht nachdenkt, wird leicht erkennen, dass unsere Schule, wie wir sie heute kennen, im eigentlichen, im griechischen Sinn ein komplettes Miss – verständnis ist – wie nota bene Sokrates` Verhältnis zu Alkibiades damals und heute!
Mithin wird an unserer veritanischen Akademie zu Heidelberg gelehrt, es gehöre zur Mittelmäßigkeit, sein Selbstwertgefühl vorwiegend aus der Arbeit zu stabilisieren und die Freizeit totzuschlagen, statt sie der Muße zu widmen um sie so zu genießen. Wir Veritologen leben nach der Erkenntnis, dass der Fleiß Mittelmäßiger allemal mehr Schaden anrichtet, als die Faulheit der Begabten. Deshalb werden wir auch nicht müde werden (man verlasse sich darauf), das Mittelmaß und die mit ihm verbundene Selbstgerechtigkeit bloßzustellen.
Arroganz sei´s nicht – das Panier
Nun ist es aber eine Form – auch – der Arroganz, Mittelmaß und Mittelmäßigkeit entlarven zu wollen, wenn zumal die Einsicht fehlt, dass man ja selbst auch dazu gehört. Die Herausforderung an uns Veritologen besteht nun darin, diesen Zustand zu reflektieren und damit zu transzendieren. Wir wissen, dass ein Mensch, der keine Dummheit macht, auch nichts Gescheites zuwege bringt. Doch wird er – sie natürlich auch – wir Veritologen sind für diesmal politisch korrekt, sich auch nicht mit der Feststellung begnügen, dass gesellschaftlich kaum etwas so erfolgreich sei wie die Dummheit, wobei das Recht auf Dummheit schließlich sogar von der Verfassung geschützt ist, gehört es doch zur Garantie für die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Es darf nun aber andererseits der Klügere unter den Mittelmäßigen, also der Veritologe, nicht, wie das geflügelte Sprichwort es nahelegt, Volkesmundes wegen nachgeben; würde doch so die Weltherrschaft der Dummen gefestigt.
Wir, wer wüßte das besser als Jürgen Gottschling, schaffen uns keine Freunde unter jenen, die wir (auch künftig!) mit veritologischem Florett attackieren. Dabei halten wir es mit Jean Paul Sartre, der wusste, dass, “wer die Dummköpfe gegen sich hat, Vertrauen verdient”. Im Vertrauen auf Sartre und auf uns sagen wir eine Katharsis voraus:
Nämlich die emotionale und psychische Reinigung anderswo wie auch und gerade heute und hier! Wann und wo denn sonst?
Hier nun unsere Buchempfehlung als aktuelle Anmerkung:
Edward Picton-Turbervill, unser Freund aus Cambridge,
hat all das begriffen and, without “didaskaleion”
(wenngleich zu guter Letzt dann doch mit
– wahrscheinlich – einem wenig Hilfe von seinen Freunden
im St John´s College, Cambridge) 2016 ein wunderschönes,
mit Holzschnitten von Angela Lemaire Buch versehenes,
bei „The Old Stile Press“ erschienenes Buch „Talking Through Trees“ vorgelegt.
Das Buch zu lesen und anzuschauen, das hat uns große Freude gemacht – wir werden es demnächst ausführlich besprechen. Versprochen!
Weh und ach, beinahe hätte ich vergessenich was nun aber wirklich nicht völlig vergessen werden darf:
Der Akademie memento mori – „bedenke, dass Du sterblich bist“,
Dies nämlich gilt zwar dem diesseitigen Leben, nicht aber dem Seelenheil, weil: Den Tod zu sehen und anzuerkennen ist ein guter – und vielleicht der – einzig zwingende – Grund dafür, die Tauglichkeit des Endlichen zu erkennen. Gibt es nämlich keine Zukunft jenseits des Sterbens, gibt es keine Gründe, die Gegenwart wegzuwerfen; und weil der Tod das gewußte Ende ist, hat auch die Sparsamkeit – an Lust, an Liebe, an Genuss – nur begrenzt Sinn. Dieses eine Leben ist für den einzelnen Menschen alles, die letzte Zeile ist vorgegeben, und jeder lebt nur sein Essay, seine Kolumne – mit oder ohne „in vino: veritas“.